Lady Hamilton. Alexandre Dumas
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– Ich zögerte. »Gute Nacht denn, schönes Kind,« sagte die elegante Frau und tat einen Schritt, um sich wieder zu ihrem Wagen zurückzuverfügen. »Madame! Madame!« rief ich ihr nach.
– »Nun, haben Sie sich entschlossen?« – »Wenn mir morgen die Absichten, welche Sie mit mir haben, nicht zusagen, wird es mir dann freistehen, Sie wieder zu verlassen?« – »Jawohl; aber es versteht sich, daß Sie mir dann die Auslagen wieder erstatten, die ich vielleicht für Sie gemacht haben werde.« – »Ich folge Ihnen, Madame.« – Ich erhob mich. Der Regen troff mir von den Kleidern herab. – »Setzen Sie sich auf den Vordersitz und schmiegen Sie sich so viel als möglich zusammen.« Ich gehorchte.
Sie schüttelte den Kopf. »Sie befinden sich in einem traurigen Zustand! – Apropos, Sie haben doch nicht etwa eine Geschichte mit der Polizei auszumachen?« – »Ich?« – »Ja, Sie.« – »Wie sollte ich etwas mit der Polizei auszumachen haben? Ich habe erst diesen Morgen meine Wohnung verlassen.« – »Ah, Sie hatten eine Wohnung?« – »Ja.« – »Und wo befand sich Ihre Wohnung?« – »In Piccadilly.« – »Piccadilly ist aber keines unserer Quartiere.« – »Keines Ihrer Quartiere? Ich verstehe Sie nicht.« Die elegante Frau sah mich wieder an und spitzte die Lippen. »Das ist wohl möglich,« sagte sie. »Sie haben wirklich ein ehrliches Gesicht und das macht sich sehr gut.« – »Madame,« sagte ich, über diese triviale Ausdrucksweise fast erschreckend, »wenn Sie das Anerbieten, welches Sie mir gemacht haben, bereuen, so bin ich bereit, wieder auszusteigen.« – »Nein, nein, bleiben Sie.« – Dann schlug sie die Wagentür selbst zu und sagte zu dem Kutscher: »Nach Hause!« – Zehn Minuten später hielt der Wagen an der Tür eines Hauses in Haymarket, dessen Fenster sämtlich geschlossen waren.
Es fror mich sehr, als ich aber dieses Haus betrat und die Tür sich hinter mir schließen hörte, fror mich noch mehr. Es war mir, als träte ich in ein Grab. Es war auch in der Tat ein Grab, ein Grab der Keuschheit und Tugend, welches man niemals wieder verläßt, ohne die Spuren jenes moralischen Todes an sich zu tragen, welche noch weit furchtbarer sind als die des physischen.
21. Kapitel.
Mein dringendstes Bedürfnis, selbst noch vor dem der Speise und Trankes, war ein vollständiger Wechsel der Kleidung und ein Bad. Mistreß Love – war dieses Wort, welches »Liebe« bedeutet, ein Spitzname, den ihr die Stammgäste ihres Hauses gegeben, oder eine Laune des Zufalls? – Mistreß Love begriff dieses doppelte Bedürfnis sehr gut, denn sofort nach unserer Ankunft gab sie Befehl, ein Bad zu bereiten und dann wurden frische Wäsche und ein Negligé in das Zimmer gebracht, welches sie für mich bestimmte. Als ich dieses Zimmer betrat, sank ich fast bewußtlos, vernichtet, erstarrt und kaum bemerkend, was um mich her vorging, in einen Lehnstuhl. Mistreß Love beaufsichtigte mit auffallendem Eifer alles selbst und ihr Blick verwendete sich keinen Augenblick von mir. Als das Bad bereitet war, wollte sie selbst die Dienste einer Zofe bei mir verrichten. Sie unterzog sich diesem Amt mit einer Sorgfalt, die ich mir nicht erklären konnte, um die ich mich aber in der Stumpfheit, in welcher ich befangen war, weiter nicht kümmerte.
Mein Kleid klebte mir auf den Schultern – man trug zu jener Zeit sehr enge Kleider. Mistreß Love riß es ohne weiteres auf und durchschnitt den Senkel meines Schnürleibes mit der Schere. Ehe noch viele Augenblicke vergangen waren, sah ich mich nackt. Obschon ich mich nur in Gegenwart einer Frau befand, so empfand ich doch ein rasch aufsteigendes Gefühl von Scham, welches meine Wangen rötete. Ich flüchtete mich in meine Badewanne, deren durchsichtiges Wasser mir nur einen ungenügenden Schleier ließ. Als ich in dieses laue Wasser hineinkam, empfand ich ein unaussprechliches Gefühl von Wohlbehagen. Meine Brust weitete sich und mein Atemzug ward regelmäßig und leicht. »Ach, Madame,« sagte ich, ohne mich um den Grund zu kümmern, der meine seltsame Wirtin bewog, so an mir zu handeln, »wie danke ich Ihnen!« – »Schon gut, schon gut,« sagte sie. »Man wird Sie pflegen, liebe Kleine; seien Sie unbesorgt. Sie sind schön genug dazu.« Dann zog sie die Klingel, verlangte eine Tasse Bouillon und fügte leise einen Befehl hinzu, den ich nicht verstand. Es herrschte in diesem Hause ein seltsames Gemisch von Luxus und Gemeinheit. Ein Dienstmädchen, welches für eine Kammerzofe zu elegant und für eine Dame nicht elegant genug war, brachte eine ausgezeichnete Bouillon in einer Tasse von gewöhnlichem Porzellan.
Meine Lippen näherten sich dem Gefäß nur mit Widerstreben. Ich hatte seit einem Jahre luxuriöse Gewohnheiten angenommen. Ich, das arme Landmädchen, verstand jetzt nur von Silbergeschirr zu essen und aus Kristall oder chinesischem Porzellan zu trinken. Als ich getrunken, setzte Mistreß Love sich an das Kopfende meiner Badewanne, nahm einen Kamm, band mein Haar auf und kämmte es mit einer Sorgfalt und Geschicklichkeit, welche einem Friseur von Profession zur Ehre gereicht hätte. Nachdem sie dies getan, band sie mir das Haar wieder auf und arrangierte es mit einer Eleganz, die ich, als ich mich in einem Spiegel betrachtete, anerkennen mußte. In dem Augenblick, wo sie mit dieser Verrichtung fertig war, trat die Dienerin wieder ein und sagte Mistreß Love einige Worte ins Ohr. Diese Worte schienen ihr zur lebhaften Befriedigung zu gereichen. »Jetzt, liebe Kleine« sagte sie, »ist es, glaube ich, Zeit, daß Sie das Bad verlassen. Ein allzulanges Verweilen im lauen Wasser ist nicht bloß der Gesundheit, sondern auch der Schönheit nachteilig. Steigen Sie daher heraus, damit ich Sie selbst abtrocknen kann.« Ich hatte mir rasch die Gewohnheit angeeignet, mir alle Dienste bei der Toilette durch eine Zofe leisten zu lassen und ich folgte daher Mistreß Loves Aufforderung ohne weiteres Zögern. Das gutverschlossene, mit Teppichen belegte Zimmer war mild erwärmt.
Ich stieg aus der Badewanne, ohne wie Venus Aphrodite den Schleier meines langen Haares zu haben.
Mistreß Love näherte sich mir mit einem Negligégewand; plötzlich aber wendete sie sich zu der Dienerin und sagte: »Was ist das für grobe Leinwand? Haltet Ihr diese junge Dame denn für ein Schenkmädchen? Tragt diese Lappen fort und bringt Hemden und ein Negligé von Battist.« Die Dienerin entfernte sich. Ich sah ihr erstaunt nach und suchte mich wie eine antike Statue mit meinen beiden Händen zu verschleiern. Mistreß Love fing an zu lachen. »Ah,« sagte sie, »Sie kommen wohl aus einem Pensionat für junge Damen? Wenn dies der Fall ist, so hätten Sie mir es sagen sollen. Dann hätte ich erst Handschuhe angezogen, ehe ich Sie berührt hätte, und würde nur in gedämpftem Tone mit Ihnen gesprochen haben. Stehen Sie jetzt gerade und halten Sie die Hände in die Höhe, damit das Blut abwärtsströme.«
»Aber, Madame –«
»Frieren Sie?«
»Nein.«
»Nun, dann lassen Sie sich um alles andere unbesorgt und gestatten Sie mir, Sie mit Muße zu betrachten. Ich sage es noch einmal, Sie sind schön, sehr schön.« Diese Lobsprüche fingen an mich zu beunruhigen, ohne daß ich jedoch einen wirklichen Grund zur Unruhe gehabt hätte.
»Ich bitte Sie dringend, Madame,« sagte ich »gestatten Sie mir, mich wieder anzukleiden.«
»Man muß Ihnen doch erst passende Wäsche bringen. Obschon Sie sich übrigens so zieren, so bin ich doch überzeugt, daß Sie sich in dem Kostüm, welches Sie jetzt tragen, schon mehr als einmal im Spiegel betrachtet haben, denn sonst wären Sie nicht Weib. Indes, hier ist Ihre Wäsche, Sie können sich nun ankleiden. Gestatten Sie mir, Ihnen bloß noch eins zu sagen, nämlich daß, wenn Sie keine Törin sind, Sie Ihr Glück in den Händen haben; verstehen Sie mich?« – »Ja, Madame, ich verstehe, obschon nicht ganz.« – »Nun gut denn, Miß Clarissa, dann wird man Ihnen jemanden schicken, der sich deutlicher erklären wird. Kleiden