Auf getrennten Wegen. Christian Linberg
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Читать онлайн книгу Auf getrennten Wegen - Christian Linberg страница 12
Während sie ihre Erinnerungen vertieften, bemerkte Kmarr erste Anzeichen einer äußerlichen Veränderung an ihr, auch wenn es ihn Kraft kostete, die Augen offen zu halten.
Anayas Haut verfärbte sich allmählich immer dunkler. Als flösse die grüne Farbe langsam in den Boden, wurde ihre Haut immer brauner. Gleichzeitig wurde sie hart und rissig, wie die Borke eines alten Baumes. Ihre Beine wurden dicker, ihr ganzer Körper massiger, sie sank einige Fingerbreit tiefer in den Schlamm ein, durch den Kmarr Wurzeln kriechen sah, die aus Anayas Füßen wuchsen und Halt im Untergrund suchten.
Ihre Haare wurden struppig, dicker wie die Nadeln von Bergkiefern. Ihre Arme verwandelten sich in knorrige Äste, ihre Finger in kräftige Triebe, die sie langsam in seine Richtung ausstreckte.
Unterdessen formte ihr Geweih eine wundervolle Baumkrone voller bunter Blätter unterschiedlicher Bäume.
Nur ihr Gesicht veränderte sich nicht, außer dass ihr Hautton das tiefe Dunkelgrün von Moos annahm, bis nur noch ihre Augen wie zwei kleine Juwelen daraus hervorstachen, den Blick in die ferne Vergangenheit gerichtet. Erstaunlich sanft umfassten die jungen Triebe der neu geborenen Dryade Kmarrs Arme. Er fühlte, wie sie sich vom Nacken bis zum Steiß hinter seinem Rücken verschränkten. Danach trat ein langer Moment der Ruhe ein, in dem sich Anaya langsam wieder zurück in das Hier und Jetzt tastete.
Ihr Blick bohrte sich in seinen: „Bereit?“, fragte sie ihn mit der unfassbar tiefen Stimme des Waldes, die seinen ganzen Körper erbeben ließ.
„Nein“, grollte er zurück: „Fang an.“
Anaya zog Kmarr so schnell zu sich heran, als wöge er nicht mehr als ein Kind.
Sein Gebrüll erschütterte die gesamte Umgebung, selbst die Blutbäume schienen davon beeindruckt, denn ihr Kreischen verstummte einen Augenblick, um dann bei dem Geruch von frischem Blut doppelt so laut zurück zu kehren.
Kmarr sank in Anayas Armen auf die Knie. Nur ihre Baumähnliche Kraft hielt ihn noch aufrecht. Langsam schwanden ihm die Sinne. Dieses Mal wehrte er sich nicht.
Anayas Finger tasteten nach den Verbänden, die bereit lagen. Sie presste die Moospakete nacheinander auf die Wunden an Bauch und Rücken. Rasch schlang sie die Verbände um seinen Leib, ehe sie ein letztes Mal die Kraft bemühte, um ihn vorsichtig auf die unverletzte Seite zu betten.
Danach kippte sie selbst wie ein gefällter Baum um.
1 - 11 Belohnungen -
Missmutig wartete er ab, bis aus dem Wolkenbruch ein feiner Sprühregen geworden war, dann packte er Jiang samt Gepäck wieder mit dem Maul und trabte weiter am schlammigen Fluss entlang.
Unterdessen floh Jiang aus Shâo. Beschämt, entehrt. Verfolgt von den Schattenmeistern des Jadekaisers, schlief sie in der Gosse, unter Marktkarren oder in Schweineställen. Ihre Kleidung war verfilzt und starrte vor Dreck. Ihre Haare waren als Zeichen der Schande geschoren worden, trotzdem hatte sie Läuse bekommen.
Sie stahl Essen, wo immer sie konnte, litt dennoch Hunger. Sie mied Siedlungen, wo es ihr möglich war, reiste nachts oder in der Dämmerung. Ihre Verfolger verloren mehrfach ihre Spur, aber es gelang ihr einfach nicht, sie abzuschütteln. Immer wenn sie glaubte, endlich aus ihrer Reichweite gelangt zu sein, tauchten sie wieder auf.
Shadarr hörte, wie Jiang leise in ihrer Sprache etwas flüsterte. In ihren Fieberträumen hörte sie auch die höhnischen Antworten der Hofdamen, als sie versuchte, zu erklären, dass sie nicht versucht hatte, Zi tsin Tau zu verführen, sondern er sie vergewaltigt hatte. Doch der unschuldig wirkende Jüngling, der zugleich ein hoher Beamter am Hof war, war natürlich über jeden Zweifel erhaben gewesen. Also hatte Jiang ihn mit seinem eigenen Messer kastriert und zusehen lassen, wie sie sein bestes Stück verbrannte, während er auf seinem Bett verblutete.
Danach hatte sie sein Haus angezündet und war geflohen.
Natürlich hatte man sie gefangen. Sie spürte noch immer die kalten Fesseln und die Folter, die ihrer Hinrichtung vorausgegangen war. Wieder und wieder versuchte sie sich zu befreien, doch es gab kein Entrinnen.
Für Shadarr waren ihre Bemühungen lästig, aber auch wenn sie in ihrem Fieberwahn kräftig zappelte, hatte er am Ende keine Mühe, sie festzuhalten. Unbeirrt trabte er weiter.
Unterdessen zitterte Jiang einsam in einem tiefen Kerkerloch, das stets beinahe hüfthoch unter Wasser stand. Nur ein enges Gitte unendlich weit am Himmel über ihr ließ manchmal ein wenig Licht zu ihr hinein.
Sie hing nackt und halb ertrunken auf ein Bambusgitter gefesselt im eisigen Wasser. Stinkender Unrat trieb auf der Oberfläche, die Wärter verrichteten lachen ihr Geschäft durch das Gitter. Sie zielten dabei immer auf ihren Kopf oder schlossen Wetten darauf ab, wer den besten Treffer landete. Die Küchenmägde kippten ihre Abfälle hinunter.
Sie wollte sich waschen, doch sie war gefesselt und konnte sie nicht bewegen. Bald schon würden die Henker kommen, um sie zur öffentlichen Hinrichtung zu bringen. Sie würde nackt gefesselt der Menge gezeigt werden, dann würde man ihr ihre Verbrechen vorlesen und sie anschließend langsam erwürgen.
Fast sehnte sie den nächsten Morgen herbei, damit alles endlich ein Ende finden würde, doch als er endlich kam, flackerte ein letzter Rest ihres Selbst auf. Einen Augenblick der Klarheit trotz des Fiebers, dass sie dem Unrat in der Zelle zu verdanken hatte, ließ sie das riesenhafte Monster erkennen, dessen Beute sie geworden war. Es trug sie gerade in seinem Maul durch den scheußlichen Geistersumpf in der Provinz des Tigers hinter dem Min Tsâo nahe des Nebelklosters von Tiang zao Lung. Wie sie aus ihrer Zelle dorthin gelangt war, konnte sie nicht sagen, doch ihr Schicksal schien kaum besser zu werden.
Dabei hatte sie Kun Lung Tar, der oberste Kanzler des Jadekaisers höchstselbst aus der Zelle holen lassen. Sie war mit groben Bürsten und eisigem Wasser sauber geschrubbt worden, man hatte ihre Wunden verbunden. Dann hatte er sie in einem kleinen Gemach in eine Seidenrobe gehüllt empfangen. Er bot ihr die Freiheit, offenbarte ihr, dass man wusste, dass ihr von Zi tsin Tau Gewalt angetan worden war und das, hätte sie gewartet, dieser in aller Stille entsprechend bestraft worden wäre. Sie selbst wurde nicht für ihre Tat bestraft, sondern dafür, dass sie das Recht und Privileg des Kaisers verletzt hatte, in dem sie diesem die Möglichkeit genommen hatte, Gerechtigkeit walten zu lassen.
Flucht und Verbannung waren ihr einziger Weg, zu überleben.
Natürlich hatte sie gezögert. Sie war eine treue Dienerin des Kaisers. Ihr Land für immer zu verlassen, kam ihr unvorstellbar vor. Der Tod war der bessere Ausweg. Offenbar hatte Kun Lung Tar dies erwartet, denn bedauernd hatte er ihr mitgeteilt, dass es bereits so beschlossen worden war. Sie würde nun Kleidung, Schuhe und Proviant erhalten und aus einer geheimen Pforte den Palast verlassen. Natürlich würde man sie verfolgen.
Aber ihre Verfolger würden nach Süden ziehen, sie dagegen nach Norden.
Und weil Kun Lung Tar all dies für sie arrangiert hatte, würde sie sich sicherlich dankbar zeigen.
Er ließ sie von seinen Wachen festhalten und bestieg sie wie ein Tier. Als er fertig war, ordnete er seine Kleidung, bevor er ohne ein weiteres Wort verschwand.
Seine Wachen waren äußerst beflissen. Sie nahmen sich ein Beispiel an ihrem Herren und taten es ihm nach.
Einer