Der Schundfilm meines Lebens. Emmi Ruprecht
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Ich muss zugeben, dass ich durch mein langjähriges Angestelltendasein mit geregeltem Einkommen hoffnungslos verwöhnt bin. Bei aller Leidenschaft für Bühne und Leinwand bezweifle ich, dass meine Liebe groß genug ist, um meinen nicht üppigen, aber durchaus komfortablen Lebensstandard zu opfern, um zukünftig in einer engen, feuchten Kellerwohnung zu hausen und bei trocken Brot und ab und zu einem welken Salatblatt Drehbücher zu verfassen, die kein Mensch lesen, geschweige denn verfilmen will. Ja, ich muss zugeben, dass ich nicht einmal schlecht bezahlte Aushilfsjobs als Zukunftsperspektive akzeptabel finde, nur um mich weiter der Illusion hinzugeben, irgendwann ein Drehbuch, welches die Grundlage für einen bedeutenden Filmklassiker schafft, an einen Sender verkaufen zu können. Also was soll ich jetzt tun? Ist es an der Zeit, mich von der Drehbuchschreiberei zu verabschieden und mich wieder einem regulären Broterwerb zuzuwenden, so wie in meinem früheren Leben?
Meine Gedanken werden davon unterbrochen, dass mein Rücken schmerzt. Kein Wunder, so wie ich auf meinem Schreibtischstuhl zusammengesunken bin! Seufzend strecke ich meine Glieder und stehe auf. Ich muss nachdenken, und das kann ich am besten bei einem Becher Kaffee und einer Zigarette auf dem Balkon.
Ich gehe in die Küche, wo der braune, bratensaftähnliche Sud schon seit mindestens zwei Stunden auf der Warmhalteplatte vor sich hin brüht, als ich ihn endlich erlöse und in meinen fröhlich gelben Becher gieße. Fröhlich ist mir selbst leider gar nicht zumute! Ich öffne die Balkontür, die von der Küche auf einen kleinen, mit schmiedeeisernem Gitter begrenzten Platz im Freien führt. Kaum mehr als ein winziger Bistro-Tisch und zwei zierliche Stühle passen hierher. Ich setze mich auf den einen von beiden, stecke mir eine Zigarette an und lege meine Beine auf dem Geländer ab, was mein Rücken wieder nicht so toll findet, aber da muss er jetzt durch: Nur eine Zigarettenlänge lang!
Der Blick in die Ferne, knapp über die Dächer der umgebenden Häuser hinweg, beruhigt mich, sodass ich mich nach einigen Zügen von meiner Zigarette erneut auf meine Situation konzentrieren kann, um eine Lösung zu finden. Was soll ich tun? Soll ich wieder eine Anstellung in der PR- und Öffentlichkeitsarbeit eines Unternehmens suchen, ähnlich dem Job, den ich vor meinem Ausstieg innehatte? Der Gedanke liegt nahe, doch mit Freude erfüllt mich diese Perspektive nicht.
Vor anderthalb Jahren habe ich noch so eine Stelle bekleidet. Die anfängliche Begeisterung für den Job war nach wenigen Jahren endgültig der Frustration gewichen – oder meiner Ankunft in der Realität, je nachdem, wie man es sehen will. Meine Ideen wurden nur allzu oft ausgebremst und stattdessen standen Intrigen unter Kollegen mehr und mehr auf der Tagesordnung. Spätestens nach der Fusion vor zwei Jahren, die mir einen neuen Chef, mit dem ich nicht warm wurde, neue Kollegen, die mich misstrauisch beäugten, und einen harten Überlebenskampf um die verbliebenen Aufgaben einbrachte, wurde es unerträglich. Eine kleine Erbschaft verschaffte mir gerade rechtzeitig den nötigen Freiraum, um mich von dieser ungemütlichen Situation zu verabschieden. Und was noch viel besser war: Sie verschaffte mir auch die Gelegenheit, einen lang gehegten Lebenstraum zu verwirklichen: endlich ein Drehbuch für einen richtigen Film zu schreiben!
Damals, also vor anderthalb Jahren, hatte ich gerade meinen vierzigsten Geburtstag gefeiert und fand: Jetzt oder nie war der Zeitpunkt für eine berufliche Neuorientierung gekommen! Ich war noch jung genug, um etwas aufzubauen, ich war flexibel genug, um Neues zu lernen, und idealistisch genug, um mich auf ein Abenteuer einzulassen, von dem meine Eltern und Freunde kopfschüttelnd abrieten. Doch der Erfolg, gleich für das erste Drehbuch schon den Produzenten eines Filmstudios begeistern zu können, gab mir ja sogar recht!
Zunächst jedenfalls.
Dann jedoch war der erfolgte Absprung des Senders und damit die Beerdigung meines Films nicht nur für meinen Ehrgeiz eine Riesenenttäuschung, sondern auch für mein Bankkonto. Das Honorar, das ich für die Vorarbeiten, insbesondere die wegen der Änderungswünsche des Produzenten und der Fernsehredaktion notwendigen Überarbeitungen, erhalten hatte, reichte gerade so eben aus, mein finanzielles Polster zur Lebensunterhaltung für zwei zusätzliche Monate zu sichern.
Doch nun neigen sich meine gesamten Ersparnisse dem Ende zu, und auf das Einkommen meines Lebensgefährten kann und will ich mich bestimmt nicht verlassen. Mich von einem Mann durchfüttern zu lassen, kommt nicht infrage! Schließlich sind wir nicht verheiratet und aus wirtschaftlichen Gründen würde ich ihn auch nicht an mich ketten wollen. Ich möchte meinen Liebsten als Partner und nicht als Versorger!
Konstantin … ich lächele bei dem Gedanken an ihn. Seit sieben Jahren sind wir nun schon ein Paar und seit fünf wohnen wir sogar zusammen in dieser großen, wenn auch durch die Schrägen sehr ungünstig zu möbilierenden Dachwohnung. Konstantin ist die Liebe meines Lebens! Ein wahr gewordener Traum! Groß, blond, gesegnet mit dem Aussehen eines Unterwäschemodels und immer bestens gelaunt!
Meistens jedenfalls.
Na ja, in letzter Zeit eher selten.
Das liegt jedoch nur an seinem Job, der momentan sehr belastend ist. Wenn sich ein wichtiges Projekt dem Ende neigt, dann steigt seine Anspannung ins Unermessliche, dann werden seine Arbeitstage immer länger und Konstantin immer wortkarger – bis der Auftrag endlich seinen guten Abschluss gefunden hat, der Druck von ihm abfällt und er wieder zum heiteren Sonnenschein wird!
Doch dieses Mal ist es leider besonders schlimm. Das Projekt und die damit verbundene, nur mit viel Liebe zu ertragende schlechte Laune meines Gefährten scheinen kein Ende nehmen zu wollen. Seit Monaten schon befindet Konstantin sich im Ausnahmezustand, ist oft abwesend, gereizt und wortkarg.
Seufzend nehme ich einen Zug von meiner Zigarette. So richtig gut läuft es gerade bei uns beiden nicht. Ob es jemals wieder bessere Zeiten geben wird?
„Hanna, du bist undankbar!“
Kopfschüttelnd rufe ich mich zur Besinnung. Schließlich habe ich den Mann meines Lebens an meiner Seite. Wir wohnen zusammen, sind gesund und Geld ist auch genügend da. Okay, bei mir wird’s langsam eng, aber dann muss ich mir eben wieder einen normalen Job suchen. Stücke schreiben kann ich schließlich auch weiterhin, wenigstens ein bisschen, soweit es mein zukünftiger Broterwerb zulassen wird.
Ich seufze noch einmal und nehme einen weiteren tiefen Zug von meiner Zigarette. Tränen steigen mir in die Augen. Ärgerlich darüber, so nah am Wasser gebaut zu haben, zwinkere ich sie weg. Doch dann gesellt sich zur Trauer ein flaues Gefühl im Magen. Die ungewisse Zukunft macht mir zu schaffen. Viel Zeit habe ich nicht mehr bis zum erzwungenen Abbruch meines Experiments. Und kann ich überhaupt davon ausgehen, eine Stelle in meinem angestammten Beruf zu finden? Heutzutage? Mit über vierzig?
Mir wird noch ein bisschen flauer im Magen. Was, wenn tatsächlich nur das Taxi bleibt? Oder die Nachhilfe?
Ich schüttele mich. Dann lieber Tellerwäscher in der Spülküche. Da habe ich wenigstens die Chance, den Beruf eines Millionärs von der Pieke auf zu lernen!
Meine Zigarette ist zu Ende. Ich stecke mir eine neue an und zwinge mich dazu, jetzt sofort eine Lösung für das Problem zu finden, wie ich meine Zukunft sichern kann! Leider führt dieses Ansinnen nur dazu, dass sich erneut angstvolle Visionen vor meinem geistigen Auge auftun, die immer wieder damit enden, dass ich ein kärgliches Lager unter einer zugigen Brücke beziehe ...
Schluss jetzt!
Ich ziehe die Notbremse und mein Gedankenkarussell kommt zum Stehen. Unwillkürlich schüttele ich mich, um die deprimierenden Bilder meiner Zukunft loszuwerden. Dabei erwacht mein Widerspruchsgeist. Wer sagt denn bitteschön, dass ich mich von nun an mit Aushilfsjobs herumschlagen und meinen Traum, als Drehbuchschreiberin zu arbeiten, begraben muss? Wer? Und vor allem warum? Schließlich kann ich Drehbücher entwickeln, und das gar nicht mal so schlecht!