EINFACH. ÜBER. LEBEN.. Maxi Hill

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EINFACH. ÜBER. LEBEN. - Maxi Hill

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konnte ich hören, auf welcher Etage die Mumuilas gerade ihre Waren anboten. Mein Blick erfasste die Weite der Landschaft, die südlich-östlich bis zum Horizont reichte. Auch von dieser Seite umzingelten endlose Elendsviertel die stabilen Häuser entlang der Straße.

      Ein Luftzug trug den Geruch nach gärender Milch, nach Zwiebeln und Schweiß durch das Treppenhaus. Die letzten Sonnenstrahlen kündeten schon von der raschen Dämmerung, als sie barfüßig, beinahe lautlos, den regennassen Betonboden betraten.

      Wie viele Menschenalter war ihre Zeit stehengeblieben? Noch traute ich mich kaum, meinen Blick genauer auf die halbnackten Körper zu richten. Auch wagte ich nicht, in den gelbstichigen Augen des einzigen Mannes das Misstrauen zu deuten, das bei jedem Besuch zu spüren war.

       Auf diesem einen Planeten, wo die andere Welt nach fernen Sternen griff und sich anschickte, in unseren Genen die Handschrift der Schöpfung zu entziffern, leben diese Menschen einfach, nur um zu überleben.

      Wie sehr ich irrte, wurde mir erst später klar. Ihr Leben war einfach, ja, aber sie lebten in Würde und hatten ihre Ideale, wie wir die unseren hatten.

      Die Haartracht der Frauen, mit einem Gemisch aus Kuhdung und roter Erde angereichert, thronte kunstvoll geformt über der kahlgeschorenen Stirn. Die bloßen Oberkörper der jungen Mädchen schimmerten wie Hämatit. Kreuzweise gelegte Perlenketten, bunte Schnüre und bestickte Bänder umspielten knospengleiche Brüste, deren Fleisch fest und deren rosige Warzen prall und spitz waren. Nur bei den älteren hing die Haut aschfahl und trocken um die ausgemergelten, schlaffen Brüste. Man sagte mir, der monströse Halsschmuck — mit Perlen besetzte Bastwülste — lasse die soziale Stellung der Frauen erkennen. Ich vermochte es nicht. Noch nicht.

      Zu dieser Zeit wusste ich nicht viel über das Land und seine Kultur. Bücher über Afrika waren rar in der DDR und Angola war wohl der weißeste Flecken auf den Landkarten der Welt. Die Bücher, in denen der Staat sein Land beschrieb, waren in Moskau gemacht und strotzten vor Patriotismus. Über die Menschen und deren Geschichte wusste ich rein gar nichts. Wie sollte man so in die Seelen blicken können? Woran sollte man erkennen, ob sie zufrieden sind und ob die altväterliche Kultur ihr wahres Heiligtum ist?

      Mais velho, das Oberhaupt der Gruppe, trug abgelederte Sandalen aus alten Autoreifen und einen dicken, zerlumpten Wollmantel, schien aber immer noch zu frieren. Mit herrischer Miene wies er auf eine der Frauen, die er Ngula nannte und die ihr Baby in einem Tuch auf dem Rücken gebunden mit sich trug. Diese Frau öffnete die Bündel aus grobem Sackstoff, in dem ihre Waren verstaut waren. Nur noch drei Eier, etwas Maniok und Süßkartoffeln kullerten durcheinander. Ihr Misstrauen blieb, und mein Misstrauen wuchs, dabei wünschten wir beide den raschen Austausch. Ich begann zu feilschen, aber weder meine Strickjacke noch die Kernseife aus der hiesigen loga gefielen dem Alten, wenngleich die Blicke der Frauen heller wurden und ihre Hände sich danach streckten.

      »Pano«, sagte der Alte forsch. Ich besaß keinen Stoff. Inzwischen hatte ich den universellen Wert von Stoffen für diese Menschen begriffen, heuchelte aber angesichts des geringen Gegenwertes mein tiefes Bedauern. Kranke, gelbe Augen irrten wirr umher, bis er energisch durch sein lückenhaftes Gebiss schnalzte: »Acucár?«

      »Nein, ich habe auch keinen Zucker«, log ich ziemlich gereizt. Er würde ihn doch nur für das Teufelsgebräu brauchen, das ihre Augen gelb, ihre Sinne trüb machte. Gujóme hieß es. An ganz bestimmten Tagen schöpften die Frauen im Schatten großer Bäume diese stinkende Brühe mit Blechbüchsen aus Blechtonnen. Ein widerliches Zeug und äußerst gefährlich. Sie brauten es nicht nur in ausgedienten, verrosteten Tonnen, sie gaben auch hinein, was wir als Sondermüll entsorgten, um eine Kontamination des Erdreiches zu verhindern: Batterien.

      Bitterstoffe mussten sein, egal woher sie stammten. Jeder fragte sich, wie ihre Leber aussehen mochte und wie lange sie die Welt noch mit ihren Augen erleben durften.

      Ich fuchtelte mit sechs Fingern vor seiner Nase herum, um anzudeuten, wie viele Eier er für eine Tüte Zucker herausrücken müsse, die Ngula gar nicht mehr hatte.

      Ich weiß nicht mehr, was mich an jenem Tag so wütend gemacht hatte. Es kann nur das mütterliche Herzweh gewesen sein, das nicht nachlassen wollte. Freundlich brauchte ich jetzt nicht mehr zu sein, aus dem Geschäft würde nichts werden.

      Ngula packte bereits mit wütendem Blick ihr Bündel zusammen. Dabei drehte sie sich zum Himmel, als wollte sie an die nahende Dämmerung erinnern. Ihr merkwürdiges Stöhnen und ihr Zucken verrieten etwas Bedrohliches. Ich folgte ihrem Blick über die unendliche Weite des Hochplateaus, das sich von hier scheinbar bis in die Unendlichkeit erstreckte. Natürlich sah ich Neuweltmensch nur etwas Wundervolles. Mit letzter Kraft hatten die Sonnenstrahlen einen prächtig schillernden Regenbogen vor die abziehende, dunkle Wolkenwand gespannt. Wie eine winzige Krone thronte die fade Sichel des Mondes darüber, der schon am langsam ermattenden Himmel hing.

      Ngula zerrte das Bündel mit ihrem Baby nach vorn und auch die anderen Frauen schnürten die Bündel zusammen. Mais velho klopfte mit einem der hölzernen Schlangenstöcke auf den Betonboden und trieb die Frauen mit merkwürdig schnalzendem Ton an.

      Es war jene Zeit, als ich noch wissbegierig jede Vokabel zu lernen versuchte. Baloico und lua, nur so viel konnte ich später von den ängstlichen Worten in mein Gedächtnis zurückrufen. Mühsam fügte ich sie einzeln aus dem Wörterbuch zusammen und verstand nicht, was oder ob es etwas bedeuten könnte: »Mond und Schaukel?«

      Ich huschte zurück in die spartanische Küche und vergrub mich in längst fälliger Kleinarbeit. Überreife Guaven-Früchte mussten noch ausgeschält und zu einem süßen Brotaufstrich eingekocht werden. Bei stupider Arbeit meldete sich zumeist mein Gewissen. Ich hatte die Balance im Umgang mit diesen mir fremdartigen Menschen noch nicht gefunden und war dem Heulen nahe. Sie brauchten, was wir hatte, wie wir brauchten, was sie uns geben konnten.

      Ich war alles andere als lebensunerfahren, aber Arne, der schon vor sechs Monaten vorausgereist war und diese Welt besser verstand, hatte mich gewarnt. Wenn man denen die Hand zu weit ausstrecke, bekäme man sie nie wieder los.

      Warum hatte er das gesagt? Warum bin ich hier? Warum ist dieser Tag so schwer?

      Nicht lange danach ersann ich eine gute Tat, um meinen Seelenfrieden, meine Achtung vor mir selbst wieder herzustellen. Etwas herauszufinden, war nicht schwer. Es durchzuführen schon eher. Arne würde mir zu dieser Stunde strikt verbieten, die Wohnung zu verlassen. Doch Arne saß im kleinen Zimmer an seinem Schreibtisch und las die ersten Kapitel der Diplomarbeit seiner Studentin Celestina. Wenn ich aber aus der separaten Küchentür schlüpfte, würde er es gar nicht hören.

      Unbemerkt erreichte ich das lichtlose Treppenhaus und lief hinunter in die Vorhalle, wo immer ein bewaffneter Posten stand, der uns zu beschützen hatte. Hier herrschte Krieg.

      »Boa noite«, grüßte ich blind vor Dunkelheit und streckte ein halbes Stangenbrot und die Schüssel mit dem Rest lauwarmer Makkaroni vorsichtshalber weit von mir. Die fremden Augen waren besser an die Finsternis gewöhnt. Zielsicher aber nicht hastig griffen zwei eiskalte Hände danach.

      »Bon apetite!« sagte ich, diesmal betont freundlich. Die Gestalt eines besonders jungen Burschen erschien für einen Moment im faden Lichtkegel eines vorbeifahrenden Autos. Er trug die Kalaschnikow vor dem Körper und sein Drillich schlappte um den schmächtigen Körper herum. Aus der Dunkelheit klang die helle Stimme: »Obrigado Senhora! Obrigado!«

      Ich spürte geradezu, wie er buckelte. Nur schemenhaft konnte ich sehen, wie seine Augen glänzten, wie die Zähne blitzten. Die schwarze Haut seines Gesichtes verlor sich im Nichts.

      Rekrutieren die jetzt

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