Friedrich Gerstäcker: Blau Wasser. Gerstäcker Friedrich
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„Jetzt kam das Boot wieder längsseits, die Blöcke wurden eingehakt, oben an Deck zog es die Mannschaft unter seine Krahnen. Bei der Bewegung des Schiffes und der Stellung des Steuerruders, das ich von der Luke aus genau beobachten konnte, fand ich aber, dass wir den alten Kurs wieder aufgenommen hatten, bis nach etwa einer halben Stunde der Befehl zum Wenden gegeben wurde und die ‚DUCHESSE‘, wie das Fahrzeug hieß, über Stag ging (Beim Lavieren oder gegen den Wind Aufkreuzen nennt man die verschiedenen Bewegungen des Herüber- und Hinüberfahrens, um etwas gegen den Wind aufzuarbeiten, Wenden oder „über Stag“ oder auch „über den andern Bug gehen“.), um das, was sie in Ost verloren, in West wieder aufzuholen. Hol's der Henker, ich saß indessen auf der Cognackiste und zerbrach mir den Kopf, wie ich aus der ganz verzweifelten Lage herauskäme und der Strafe entginge, bis mir auf einmal ein kostbarer Gedanke kam, den ich auch, eben gefasst, augenblicklich ausführte.
„Die Sonne war indessen dem Untergange nahe, und wie ich vier Glasen (Sechs Uhr) an Deck schlagen hörte und nun wusste, dass die Leute zum Schaffen (Essen) gingen und nicht gerade über Bord gucken würden, kletterte ich aus meiner Luke heraus, wobei ich die Flaschen natürlich zurücklassen musste, lief auf dem Leistenbrett mit Hilfe der Rüsteisen bis vorn an den Larbordbug, ließ mich im Lee leise ins Wasser gleiten, schwamm eine fünf oder sechs Strich vom Schiff ab und schrie nun mein „Hallo – hallo the ship!“ so laut und lustig in die Welt hinein, dass der Mann am Rad erschreckt mit dem Ruder aufkam, das Schiff glücklich durch den Wind gehen ließ, dass alle Segel gegen die Masten schlugen und die ‚DUCHESSE‘ natürlich baumfest auf dem Wasser lag.
Ehe der Kapitän aber nun seine gewöhnliche Anzahl Flüche los werden konnte, ging schon wieder der Schrei „Mann über Bord“ durch das ganze Schiff; dieses Mal ersparte ich ihnen aber das Bootaussetzen; denn wenn auch das Fahrzeug im ersten Ansatz noch etwa seine eigene Länge von mir fortgelaufen war, hielten es die zurückgeschlagenen Segel jetzt desto fester, und ich bekam Zeit, aufzuschwimmen.
„Werft nur ein Tau herunter!“ schrie ich jetzt, als ich nahe genug war. „Hallo da oben, lasst einen Kameraden nicht sitzen – ein Tau her!“
„Zehn sprangen gleich zu, und der Koch warf mir das Ende eines Bramseils gerade über den Kopf, das ich erwischte, um den linken Ellbogen schlug und mich an Deck ziehen ließ. Aber, Jungens, die verblüfften Gesichter hättet Ihr sehen sollen, wie die mich erkannten! Rhody, wo kommst du her? – Rhody nannten mich die Mounsiers, – Menschenkind, wo hast du gesteckt?
„Hätt' ich es nur allein mit den Kameraden durchzufechten gehabt, wäre die Sache nicht so schwer gewesen; so aber mischte sich auch der Kapitän ins Mittel und verlangte Aufschluss über das Geschehene, von dessen wahrem Bestand er keine Ahnung zu haben schien. Da hielt ich es denn für besser, erst noch einmal ohnmächtig zu werden, wodurch die Sache einmal natürlicher wurde und ich auch etwas länger Zeit bekam, mich zu sammeln, und ein paar der Leute schleppten mich jetzt nach vorn unter die Stevenpumpe und fingen an, mich zu begießen. Ich kam jetzt allerdings wieder zu mir, war aber noch so schwach, dass ich kein Wort herausbringen konnte, und so ließen sie mich denn die Nacht liegen, damit ich mich erst wieder ordentlich erholen möge.
„Am nächsten Morgen half übrigens nichts, ich musste mit meiner Geschichte heraus. Nun wussten wir aber alle miteinander, dass der alte Kasten dicht am Wind erbärmlich schlecht segle und reichlich sieben Strich brauche, um halbwegs vorwärts zu kommen; darauf hin log ich ihnen geradezu vor, dass ich am Mittag über Bord gefallen wäre und mir nachher fast den Arm ausgerenkt und die Lunge wund geschrien hätte, um gesehen und gehört zu werden. Das Boot habe aber in ganz anderer Richtung gesucht, und als es bald darauf wieder an Bord zurückgekehrt und das Schiff in seinem Kurs fortgesegelt sei, da wäre ich schon einmal in Verzweiflung entschlossen gewesen, mein Leben aufzugeben und mich wegsinken zu lassen. Die Lebenslust sei aber doch zuletzt stärker gewesen, und ich wäre nun, in der Hoffnung, dass das Schiff bald über Stag gehen müsse, gerade in den Wind hineingeschwommen, dessen genauen Kurs mir das leichte Kräuseln des Wassers gezeigt. So habe ich meiner Rechnung nach wohl eine gute Seemeile zurückgelegt, als das Schiff wirklich wieder in Sicht kam und fast gerade auf mich zuhielt. Mehr aber wüsste ich nicht; die letzten Minuten erschienen mir selbst jetzt noch wie ein wirrer Traum, und ich glaube, ich sei ohnmächtig geworden, selbst ehe ich das Deck erreicht habe.“
„Was für andere Beweise wollt ihr, als eines Mannes Wort?“ lachte einer seiner Kameraden.
„Und ließ sich der Alte wirklich leimen?“ fragte ein Anderer.
„Was wollt' er machen?“ lachte Rhode Island; „an die Luke hinten dachte niemand, da sie der Steward selber abends spät zugemacht und von innen verriegelt hatte, und fort war ich gewesen und jetzt wieder da – das ließ sich nicht ableugnen. Außerdem kannten sie mich schon als einen guten Schwimmer; denn wie sie mich auffischten, hatt' ich ihnen schon früher einmal aufgebunden, dass ich drei Tage und drei Nächte geschwommen hätte.“
„Auf Mannes Wort?“
„Oh, geht zum Teufel und mutzt einem nicht jede Silbe auf! – Aber das war noch nicht alles; denn verdammt will ich sein, wenn sich der Alte nicht eine von den nämlichen Flaschen heraufholen ließ, die ich schon einmal beigesteckt gehabt, und mir einen steifen Grog machte, dass ich mich erholen sollte, und dann die ganze Geschichte sauber und eigenhändig in sein Tagebuch eintrug. Dort steht sie noch unter meinem eigenen Namen, und ihr könnt sie bis auf den heutigen Tag lesen.“
„Haha haha, Rhode Island – Du bist eine prächtige Hand zum Aufbinden!“ lachte ein Kamerad – „unserem Alten dürftest du aber damit nicht vor den Bug kommen; der holte 'was anderes als Cognac.“
„Klar zum Halsen!“ ging der Ruf über Deck, die Wache sprang auf und das Schiff wurde, da die See zu schwer von vorn kam, um ordentlich wenden oder über Stag gehen zu können, vor den Wind über den andern Bug gebracht oder „gehalst“, immer bei so hoher und stürmischer See ein nicht ganz gefahrloses Manöver. Der Kapitän verstand aber sein Geschäft aus dem Grunde, die Leute, die recht gut wussten, wie viel dabei von ihrer Schnelligkeit abhing, führten die Befehle, kaum gegeben, rasch und vortrefflich aus, und wenige Minuten später peitschte die See den andern Bug, jetzt wieder nach Süden hinunterhaltend, damit sie über Nacht dem zu Starbord befindlichen Lande nicht zu nahe kämen.
Der kurze Tag, der in diesen Breiten zur Winterszeit in der Tat nur wenige Stunden dauert, neigte sich seinem Ende. Die Wache, in der Rhode Island war, ging bald zu Koje, und als sie wieder an Deck kam, hielt sie eine gesprengte Pardune beschäftigt. Im Dunkeln ließ sich aber nicht gut etwas Weiteres damit tun, als sie vorläufig mit Hilfe eines vierscheibigen Flaschenzuges wieder zusammenzubringen und mit umgeschlagenen Tauen notdürftig zu befestigen, bis sie am nächsten Morgen ordentlich gespließt werden konnte.
Es war in der Morgenwache, und der Sturm hatte wohl etwas nachgelassen, wehte aber doch noch immer scharf genug, und die See ging hoch und hohl.
Der alte Tom war eben vom Ruder abgelöst worden und kam nach vorn, seinen gewöhnlichen Sitz wieder in Lee von der großen, mitten auf Deck stehenden Barkasse nehmend; Rhode Island hatte indes versucht, auf dem Leegangwege auf und ab zu gehen; die Bewegung des Schiffes war aber zu stark und besonders durch die hohe See zu unregelmäßig. Sich also neben den Alten niedersetzend, wie er ihn kommen sah, sagte er:
„Hallo, Tommy, ich wollte Euch eigentlich um 'was fragen.“
„Und das wäre?“
„Ihr spracht gestern, wie Ihr uns die Geschichte von dem Wrack der ‚BUCKEYE BELLE‘ erzähltet, von jemand, den ihr nicht wieder zu sehen hofftet. Wer ist