Die Nähe der Nornen. Kerstin Hornung

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Читать онлайн книгу Die Nähe der Nornen - Kerstin Hornung страница 10

Die Nähe der Nornen - Kerstin Hornung Der geheime Schlüssel

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langsam auf. Josua war der Erste gewesen, der sich neugierig in diese neue Welt stürzte. Jaris und Jaden hatten die Vorteile auch schnell herausgefunden und ließen sich wie streunende Katzen an allen möglichen Stellen verwöhnen. Schließlich waren ihnen die beiden Großen gefolgt, wobei sich Johann am schwersten tat. Aber auch ihn brachte seine kindliche Neugier weiter, als Feodor zu gehen vermochte.

      Nach seiner ersten Erleichterung, alle in Sicherheit zu wissen, wurde ihm immer beklemmender bewusst, dass er an einem Ort war, an den er nicht gehörte. Zwar war er keine vier Stunden Fußmarsch von seiner Heimatstadt entfernt, aber er hätte genauso gut auf einem anderen Stern sein können. Und das alles ohne Phine.

      Zum ersten Mal in seinem Leben fragte sich Feodor, worauf er sich eingelassen hatte.

      Als die alte Helena ihnen damals vor fast siebzehn Jahren eröffnete, dass ihr Vater ein Elbe aus Mu … Ma … – der Name dieser Elbenstadt fiel ihm nicht mehr ein – war, hatte er das stillschweigend aufgenommen und zu seiner Liebe hinzugezählt wie ein Muttermal an einer geheimnisvollen Stelle.

      Er spürte heute noch einen Hauch von dem schlechten Gewissen, das er verspürt hatte, als er Josephine mit sich nahm, obwohl sie nicht seine angetraute Frau gewesen war. Die Notwendigkeit, dies zu tun, stand damals vor dem Anstand, und da seine Absichten ehrenhaft waren, hatte er sie und das Kind ihrer Schwester, keusch – und darauf legte er großen Wert – bis ins Kloster Wilhelmus gebracht, wo der Abt erst die Trauung und dann die Weihe des Kindes übernommen hatte.

      Philip war ihm so schnell ans Herz gewachsen wie später jedes seiner leiblichen Kinder, und manchmal vergaß Feodor, dass dieses Kind nicht sein eigen Fleisch und Blut war. Wo war Philip? Wie ging es ihm? Mit Phine war auch der lose Kontakt zu seinem Ältesten abgerissen. Irgendwie ahnte sie meistens, ob es ihm gut oder schlecht ging und sie wusste, ob er lebte. Erst seit Philip nicht mehr da war, spürte Feodor den Druck der Verantwortung, die er damals leichtherzig übernommen hatte und die ihn nie belastet hatte, solange der Junge in seinem Haus lebte, wuchs und gedieh und sich zusehends zu einem verantwortungsbewussten Menschen entwickelte. Als Philip das Erwachsenenalter erreichte, hatte Feodor Phine einmal gefragt, ob es nicht an der Zeit wäre, ihm die Wahrheit zu sagen. Aber Phine war der Meinung gewesen, dass es besser wäre, noch ein Jahr zu warten und ihn solange in dem Glauben zu lassen, dass er das Mannesalter noch nicht erreicht hatte. Doch der Tag der Aussprache war nie gekommen, und es reute Feodor mehr als alles andere, dass ein Fremder Philip die Wahrheit seiner Herkunft erklären würde.

      Traurig dachte er daran, dass nichts so gekommen war, wie es hätte kommen sollen. Die Zufriedenheit, die ihm früher innewohnte, wenn er den Jungen ansah, war durch Zweifel und Ängste erstickt worden. In letzter Zeit dachte er oft daran, dass Philip ein Sohn von Königen war. Manchmal dachte er es mit Stolz, doch meistens mit Kummer und Schmerz. Die Mitglieder des geheimen Schlüssels hatten schon Philips Vater auf den Thron vorbereitet und Feodor zweifelte nicht, dass sie es auch mit Philip versuchen würden. Das Land brauchte einen neuen König! Aber warum ausgerechnet seinen Sohn?

      Lume’tai rekelte sich, schlug die Augen auf, und als sie ihn nicht sofort bemerkte, begann sie zu schreien.

      »Ich lass dich nicht allein, kleiner Engel«, flüsterte Feodor und hob sie sacht aus ihrem weißen Bettchen. Er setzte sie auf seinen Schoß und tröstete sie, bis sie sich beruhigt hatte und ihn aus den kleinen Seen, die ihre Augen waren, ernst ansah.

      »Phine hat gesagt, du bist unser kleines Mädchen. Am Anfang und am Ende halte ich ein Kind in den Armen, von dem ich weiß, dass es nicht meins ist, aber mein Herz ist blind, es erkennt keinen Unterschied zwischen dir und meinen Söhnen.« Er seufzte. Er wusste, dass er nicht an Phine denken durfte, solange Lume’tai wach war, darum stand er auf und ging langsam unter den Bäumen spazieren. Immer noch schmerzten seine Glieder und er fühlte sich wie ein alter Mann.

      ***

      Vor der nächsten Ecke blieb Elfrieda wie angewurzelt stehen. Die Luft war zum Schneiden dick. Sie flimmerte und knisterte vor Spannung. Elfrieda konnte nichts Genaues erkennen. Der neue Gang war beinahe noch düsterer als der, in dem sie stand. Sie lauschte. Selbst wenn es stimmte, dass Menschen gegen die Macht eines Zauberers gefeit waren, so war er immer noch ein Mann und ihr körperlich überlegen. Möglicherweise war er bewaffnet. Außerdem galt sein Wort mehr als ihres. Sie konnte nur verlieren. Trotzdem war es zu spät, um umzukehren. Vorsichtig lugte sie um die Ecke. Funken sprühten und in ihrem verglimmenden Licht stand eine verhüllte Gestalt. Elfrieda spürte, wie sich die Härchen an ihren Armen sträubten und ihr ein kalter Schauer den Rücken hinunterlief. Die Gestalt stand genau an der Stelle, an der die Zelle der Elbin sein musste. Sie kam zu spät.

      Zitternd lehnte sie sich an die staubige Wand und schloss verzweifelt die Augen. Die schlurfenden Schritte hörte sie erst, als sie schon ganz nah waren. Erschrocken stieß sie sich von der Wand ab und huschte den Gang zurück. Wo war die letzte Nische gewesen? Ihr Herz jagte wild und drohte, ihr aus der Brust zu springen. Ihre Augen suchten die kahlen Wände nach einem Versteck ab und in ihren Ohren dröhnten die nahenden Schritte wie Trommelschläge. Bald würde er um die Ecke biegen und sie sehen. Sie fühlte sich wie eine Maus, die auf freiem Feld ein Versteck vor dem wachsamen Auge der Eule sucht. Ein Blick über die Schulter sagte ihr, dass er sie noch nicht entdeckt hatte, doch da verfingen sich ihre Füße in einem der Unterröcke. Sie stolperte, konnte jedoch gerade noch verhindern, der Länge nach hinzufallen, indem sie sich an dem Riegel einer Zellentür festhielt. Fast lautlos glitt er zurück. Die Tür öffnete sich mit einem leisen Stöhnen. Egal was hinter dieser Tür war, es konnte nicht schlimmer sein, als das, was jeden Moment um die Ecke biegen musste. Sie zog sie noch etwas weiter auf, quetschte sich hindurch und blieb regungslos stehen. Sie wusste, dass sie die Tür noch mindestens hinter sich hätte zuziehen müssen, aber irgendetwas sagte ihr, dass die verhüllte Gestalt bereits um die Ecke gebogen war und die Bewegung der Tür bemerken würde.

      In der Zelle war es dunkel wie in einer Gruft. Elfrieda schob sich vorsichtig noch etwas tiefer in den Schatten und hoffte, dass sie über nichts stolperte, was sie verraten würde. Sie musste ihre Zähne zusammenbeißen, damit sie nicht laut klapperten, so sehr zitterte sie. Zweimal hörte sie noch das Klackern der Absätze auf dem rauen Steinboden, dann war es still. Elfrieda hielt den Atem an. Etwas raschelte, dann gab es einen Donnerschlag und sie stand in vollkommener Finsternis. Der graue Schatten im Türspalt war verschwunden.

      Er hat mich eingesperrt, dachte sie seltsam ruhig.

      Irgendwo in ihrem Kopf rebellierten ein paar verirrte Gedanken, aber sie griffen nicht über. Vollkommen von sich gelöst, sank sie zu Boden. Ihr Herz schlug ruhig und gleichmäßig, ihre Hände lagen schwer auf dem feuchten Boden.

      Eingesperrt.

      Sie konnte nicht sagen, wie lange sie regungslos dagesessen hatte, ehe die Starre langsam von ihr abfiel. Ob schon Abend war? Ihr Gesäß fühlte sich taub an, und die Knie schmerzten, als sie sich aufrichtete. Sie tastete sich an der Wand entlang, bis sie das kalte Eisen der Tür unter ihren Fingern spürte.

      Vorsichtig drückte sie dagegen, dann mit ihrem ganzen Körper, aber die Tür bewegte sich nicht. Noch nie in ihrem Leben hatte sich Elfrieda so sehr nach einem Funken Licht gesehnt. Das Gefühl, nicht atmen zu können, wurde übermächtig. Nur mit äußerster Willenskraft gelang es ihr, einen wütenden Schrei zu unterdrücken. Sie zwang sich, ruhig zu bleiben und zu überlegen.

      Ruhig bleiben, überlegen, ruhig bleiben, überlegen … Ihr sonst so reger Verstand war unfähig, auch nur den kleinsten vernünftigen Gedanken zu formen. Sie stand vor der Tür, den Kopf an die kalten Eisenbeschläge gelehnt. Die Zeit rauschte vorbei oder stand still. Es war bedeutungslos. Niemand wusste, dass sie hier unten war. Wenn sie still ausharrte, würde sie hier sterben. Wenn sie sich bemerkbar machte, lief es auf das Gleiche hinaus. Als sich die erste Verzweiflung gelegt hatte, fiel ihr ein, dass die Tür nur einen

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