Die Nähe der Nornen. Kerstin Hornung

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die Nähe der Nornen - Kerstin Hornung страница 9

Die Nähe der Nornen - Kerstin Hornung Der geheime Schlüssel

Скачать книгу

eine ganze Armee von Mädchen damit beauftragt, die Böden zu schrubben und Staub zu wischen. Sie hoffte, dass bei dem Durcheinander, das sich daraus ergab, keiner merken würde, dass sie selbst fehlte. Siebzehn Jahre Dienst im wichtigsten Hause der Kirche – einem Haus, welches das Wohlwollen des Herrn hätte erwecken sollen, nun aber täglich Beweise dafür erbrachte, dass es hinter Gottes Angesicht lag – hatten nicht ausgereicht, um ihre Schritte auch nur ein einziges Mal in die Verliese zu lenken.

      Doch heute würde sie es tun. Sie musste es tun, denn ihre bisherigen Versuche, dem rothaarigen Wesen zu Hilfe zu kommen waren gescheitert. Viel zu lang hatte sie gebraucht, um herauszufinden, wer der Elbin regelmäßig das Essen brachte. Dann hatte sie weitere kostbare Zeit darauf verschwendet, mit dem taubstummen Mann Kontakt aufzunehmen und ihn in ihren Plan einzubeziehen. Schließlich musste sie sich eingestehen, dass er nicht nur taubstumm, sondern auch einfältig war. Es selbst zu versuchen, war ihre letzte Möglichkeit, und sie hoffte inständig, dass sie nicht zu spät kam, denn die Elbin befand sich seit mehreren Wochen dort unten.

      Die Kerker lagen in dem u-förmig angeordneten Gebäudekomplex auf der geschlossenen Seite. Für den Fall, dass jemand es wagen würde, ihr, der obersten Haushälterin, den Zutritt zu verweigern, hatte sie ein Schreiben verfasst und es mit dem Siegel des Heiligen Vaters versehen.

      Der Wachmann, der vor der obersten Tür herumlungerte, ließ sie jedoch ungefragt passieren, als sie, mit Putzeimer und Schrubber bewaffnet, an ihm vorbeirauschte. Er war neu und wusste nicht, dass ihr Aufgabenbereich normalerweise vor dieser Tür endete.

      Die Treppen, die nach unten führten, waren verdreckt und zum Teil abgesplittert. Die Luft roch faulig und feucht. Je weiter Elfrieda hinabstieg, umso dichter wurde der Gestank. Das Atmen fiel ihr schwer. Zwischen den beiden Türen, die die Welt dort oben von der darunter trennten, hallte jeder ihrer Schritte. Ihr Herz schlug heftig in der Brust, aber weniger aus Angst davor aufzufliegen, als davor, was sie hinter der nächsten Tür erwarten würde.

      Unter welch unwürdigen Bedingungen fristeten die Menschen, über die im Namen Gottes gerichtet werden sollte, hier ihre Tage? Elfrieda war der Meinung, dass ein allmächtiger Gott es nicht nötig hatte, durch die Hand eines Menschen zu strafen, und darum Menschen nicht das Recht hatten, dies in seinem Namen zu tun.

      Als sie die nächste Tür öffnete, trieb ihr der Gestank die Tränen in die Augen. Die Hand schützend vor Mund und Nase gepresst, sah sie sich in dem dämmerigen Raum um. Sie hatte fest damit gerechnet, auch hier mindestens einem Wachmann zu begegnen, aber der Vorraum war leer. Elfrieda stellte den schweren Eimer in eine Nische und steuerte, dicht an die Wand gedrängt, den hinteren Teil der Verliese an, wo sie die Elbin vermutete. Hin und wieder hing eine Öllampe an der Wand. Ihr eigener langer Schatten verfolgte sie aus dem einen Lichtkreis in den nächsten. Es war gespenstig still. Darum erschreckte sie der erste Laut, der hinter einer der schweren Eisentüren erschallte, so sehr, dass sie sich mit einem leisen Aufschrei in eine Nische drängte. Erst als sich ihr Herzschlag etwas beruhigt hatte und das Rauschen des Blutes in ihren Ohren leiser wurde, erkannte sie, dass jemand sang. Die Stimme war rau, eine Melodie war kaum zu erkennen, und das Geräusch von schleifenden Eisenketten mischte sich immer wieder dazwischen.

      Nachdem Elfrieda sich nach allen Seiten umgesehen hatte und immer noch keine Bewegung in dem Gang wahrnehmen konnte, schlich sie weiter. Eigentlich hatte sie sich vorgenommen, aufrecht und mutig zu sein. Das Schreiben, das ihren Aufenthalt hier unten rechtfertigen sollte, steckte schließlich in der Tasche ihres derben Rockes. Sie hoffte, dass niemand merken würde, dass es sich um eine Fälschung handelte. Zumindest nicht, solange sie hier unten war.

      Natürlich würde es keinem auffallen, beruhigte sie sich selbst. Niemand wusste, dass sie des Schreibens mächtig war. Sie war schließlich eine Frau, und obwohl sie über eine kleine Armee von Dienstmägden gebot, war sie doch nur eine Hausbedienstete. Außerdem zweifelte sie daran, dass auch nur einer der Wachen mehr als das Siegel des Archiepiskopos erkennen würde.

      Der Plan war gut, aber sie hatte nicht mit der bedrückenden Macht dieser Gewölbe gerechnet. Nicht mit diesem Gestank.

      Obwohl ihr Herz immer noch heftig flatterte, zwang sie sich dazu, mit straffen Schultern und entschlossenen Schritten weiterzugehen. Es war ausgeschlossen, dass sich kein Wachposten hier aufhielt. Andererseits war sie jetzt schon so weit in den Kerker vorgedrungen und niemandem begegnet, dass sie der Verdacht beschlich, jemand müsste die Wachen weggeschickt haben. Der Gedanke war noch nicht zu Ende gedacht, da war sie sich sicher, dass es nur so sein konnte.

      Wer hatte die Macht, die Wachen wegzuschicken? Der Archiepiskopos selbst. Aber der Archiepiskopos würde diesen Keller niemals betreten. Abgesehen davon, dass es hier erbärmlich roch und zudem feucht und dreckig war, hätte er mindestens hundert Schritte von seinem Audienzsaal bis hierher gehen müssen. Dann die schmalen Stufen hinunter – es war vollkommen abwegig. Wäre er hier, hätte sie keinen Schritt auch nur in die Nähe der Tür tun können. Wer … Elfrieda blieb wie angewurzelt stehen, denn plötzlich wusste sie, wer sich in den Verliesen aufhielt. Wenn er es war, dann war er genau dort, wo sie hinwollte.

      Flucht, nur weg von diesem Ort, war ihr erster Gedanke, doch gleichzeitig zog sich ihr Magen schmerzhaft zusammen. Sie konnte nicht gehen und die Elbin dem Zauberer überlassen. Hastig raffte sie ihre Röcke und eilte den Gang hinunter.

      ***

      Feodor saß vor dem Feuer und starrte in die Glut. Kein Gedanke passte mehr in seinen Kopf, er fühlte sich müde, ausgebrannt und einsam.

      Einsam! Obwohl er den ganzen Tag seine Kinder um sich hatte und von überall freundlichen Zuspruch erhielt. Doch nach wie vor wusste niemand, wo sich Phine befand, und nach wie vor war Lume’tai nicht bereit, sich von jemand anderem halten und trösten zu lassen als von ihm oder einem seiner Söhne. Sie hielt ihn gefangen hier an diesem fremden Ort. Sie verhinderte, dass er sich mit seinen immer noch wunden Knochen auf die Suche nach seiner Frau machen konnte.

      Manchmal war er zornig auf Lume’tai. Sie war hier zu Hause unter ihresgleichen, aber alles, was sie wollte, war die Nähe derer, die ihr vertraut waren. Von dem zufriedenen Kind, das er kannte, war nichts mehr da. Es war genauso verschwunden wie seine Zuversicht, genauso verschwunden wie Phine …

      Oft hielt er die Kleine im Arm und erklärte ihr, was unerklärlich war. Er bat sie, ihn freizugeben, damit er Phine suchen konnte, aber Lume’tai sah ihn mit ihren großen, blauen Kinderaugen an und kuschelte dann ihr Köpfchen trostsuchend an seine Brust.

      Die Elben näherten sich nur scheu und ehrerbietend, wenn er so mit ihr dasaß. Offensichtlich hatte sie Großes geleistet. Aber es überstieg Feodors Auffassungsgabe, zu verstehen, von was die Rede war, wenn sie sagten, sie hätte den Lichtkreis geschlossen und Machtworte gespiegelt. Möglicherweise würde Ala’na es ihm erklären. Aber sie war noch so geschwächt, dass sie nur für ihren engsten Familienkreis zu sprechen war. Manchmal sah Feodor Rond’taro auf den Pfaden von Pal’dor.

      Obwohl er immer freundlich war und sich stets nach seinem Befinden erkundigte, wirkte er irgendwie abwesend.

      Solange Feodor noch in Iri’tes Obhut gelegen war, hatte er ab und an über Ala’nas Gesundheitszustand Auskunft erhalten. Nicht viel und nur das, was ihn unmittelbar betraf, aber es vermittelte ihm zumindest einen kleinen Eindruck davon, wie sehr sich die Elbin angestrengt haben musste, um Josephine zu finden. Es zeigte ihm aber auch, was seine Frau und Lume’tai geleistet hatten, um ihr den Weg zurück in ihren Körper zu ermöglichen.

      Feodor schüttelte den Kopf. Das alles war so fern von seinem Leben, es war so unglaublich und unverständlich wie das Buch, das Josua neulich in der Hand hatte, mit den Bildern unbekannter Tiere und voll mit Runen, die er nicht entziffern konnte.

      Er fühlte sich ausgesetzt in dieser fremden

Скачать книгу