Die Nähe der Nornen. Kerstin Hornung

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Читать онлайн книгу Die Nähe der Nornen - Kerstin Hornung страница 7

Die Nähe der Nornen - Kerstin Hornung Der geheime Schlüssel

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wandte sich ab. Leron’das΄ Worte trafen ihn, aber er wusste nicht mehr, was er denken, was er fühlen sollte. Hilflos suchte er nach Worten, die es erklären konnten.

      »Seit ich mein Elternhaus verlassen habe, weiß ich, dass es Geheimnisse gibt, von denen sie mir nichts erzählt haben. Nach und nach habe ich in schmerzlichen Erfahrungen selbst einiges herausgefunden, und es erschien mir wichtiger, denn je, nach Corona zu kommen.« Er drehte sich um und sah den Elben an. »Es ist so schrecklich! Ich habe keinen Boden mehr unter den Füßen. All die furchtbaren Dinge, die geschehen sind: Theophils Tod, meine Flucht durch den Wald, die Stimme des Zauberers in meinem Kopf, sie bekommen ein ganz anderes Gewicht. Aber auch das Stillschweigen meiner Eltern.« Er begann, sein Pferd zu satteln.

      »Trägst du noch das Hemd der Albara’n?«, fragte Leron’das.

      Philip hielt überrascht inne. »Ja«, sagte er.

      »Ich habe herausgefunden, wie du dazu kamst.«

      Philip war sich nicht sicher, ob er noch eine weitere Wahrheit hören wollte, oder ob es nicht besser war, etwas nicht zu wissen. Doch er sagte nichts und Leron’das fuhr fort.

      »Peredur hatte eine Geliebte in Pal’dor. Meine traurige Base Sili’rana. Sie schenkte ihm das Hemd zum Abschied, als er Pal’dor für immer verließ. Das Hemd und die Silberpappel, die er auf dem Turmberg einpflanzte. Zwischen ihren Wurzeln vergrub er sein Geheimnis, den goldenen Schlüssel der Könige. Solltest du je den Wunsch verspüren, das Vermächtnis deiner Ahnen zu kennen, werde ich dich zu der Türe bringen. Sie zu öffnen, liegt allein in deiner Hand.«

      Frendan’no sagte, dass er Philip den beschwerlichen Weg in die Berge gerne durch geebnete Pfade erleichtert hätte. Aber da Philip die Höhe nicht gewohnt war, gab es für ihn nur die Möglichkeit, Schritt für Schritt höher zu steigen, dann wieder hinab in das nächste Tal zu gehen und schließlich weiter hinauf.

      Viele Tage gingen sie gemeinsam in einem endlosen Labyrinth von Tälern zwischen schroffen Bergflanken nach oben. Obwohl sie keinen einzigen Gipfel erklommen, stieg ihr Pfad beständig an. Manche Täler waren so schmal und tief, dass die Sonne ihren Grund nur um die Mittagszeit für einige Augenblicke streifte.

      Nach vier Tagen standen sie zum ersten Mal auf einem Gipfel. An den Hängen unter ihnen lagen verstreut einige Bergdörfer und Hirtenhäuser. Dabei waren viele Hänge so steil, dass es aussah, als würde der Berg senkrecht aus dem Boden wachsen.

      Wie lebte es sich wohl in einem solchen Gebirgsdorf, wo man den ganzen Winter über von der Außenwelt abgeschottet war? Sogar hier im Süden, wo die Winter dafür bekannt waren, mild und schneearm zu sein, gab es in dieser Höhe, auch jetzt mitten im Launing, noch weitläufige Schneefelder.

      »Wenn du dein Auge bemühst, kannst du vielleicht schon den Pia’tar de Giaz sehen, auf dem Munt’tar liegt. Die Menschen hier oben nennen ihn Elbenstein.« Frendan’no lächelte verschmitzt. »Dabei lautet seine richtige Bezeichnung Eisstein.«

      »Wissen die Menschen hier oben von euch?«, fragte Philip.

      »Wenn du fragst, ob manche von ihnen schon einmal in Munt’tar waren, dann sage ich: nein. Rond’taro ist meines Wissens der Einzige, der in den letzten tausend Jahren die Tore einer Elbenstadt für Menschen geöffnet hat. Aber wir treffen die Menschen ab und an in der Stille der Berge. Wenn Lawinen Dörfer überrollen, versuchen wir, ihnen zu helfen. Manche von ihnen nennen uns deswegen auch Lawinendämonen.«

      »Das ist nicht die Form von Dankbarkeit, die zu erwarten wäre«, sagte Philip empört, aber Frendan’no lächelte mild.

      »Es geht uns nicht um ihre Dankbarkeit. Wenn sich ein Schaf verläuft, helfen wir ihm auch zurück zu seiner Herde, und sobald es sie sieht, rennt es blökend davon. Die Berge sind wilde, unberechenbare Geschöpfe. Wer hier wohnt, liebt sie. Die Menschen wie die Elben und die Tiere. Wir alle wissen um diese Liebe des anderen, und trotzdem bleibt jeder am liebsten unter seinesgleichen.«

      Philip nickte und versuchte, unter all den weißen Spitzen die eine auszumachen, die Frendan´no Eisstein genannt hatte.

      »Aber meine Urgroßmutter war doch in Munt’tar«, bemerkte Philip plötzlich.

      »Sie war meine Tochter, eine halbe Elbin, auch wenn sie sich für ein menschliches Leben entschieden hatte.«

      »Wie geht das?«, fragte Philip. »Kann man sich das aussuchen?«

      Frendan’no lachte. Es war das erste Mal, dass Philip ihn lachen hörte, aber als der Elbe Philips verständnislosen Blick bemerkte, wurde er wieder ernst.

      »Es gibt viele Entscheidungen, die man in einem Leben treffen kann, auch in einem kurzen Menschenleben. Wusstest du, dass dein Vorfahre Peredur auch die Wahl zwischen Sterblichkeit und Unsterblichkeit hatte? Du hast diese Wahl auch, aber in deinem Fall verhalten sich die Dinge etwas anders.«

      »Ich verstehe nichts!«, gestand Philip.

      »In den frühen Zeiten, als die Menschen und die Elben noch nebeneinander in Frieden lebten, kam es öfter vor, dass sich zwei ungleiche Wesen ineinander verliebten. Die Liebe ist das Wichtigste, aber sie ist nicht das Einzige, was benötigt wird. Blut besiegelt einen solchen Bund und ein Ort der Macht. Die meisten von uns werden an einem solchen Ort geboren.«

      »Dann kann also jeder Mensch unsterblich werden?«

      »Wenn er von einem Elben geliebt wird und diese Liebe auf Gegenseitigkeit beruht.«

      »Das heißt, Peredur wurde von einer Elbin geliebt«, stellte Philip fest. Leron’das hatte dies bereits erwähnt, aber damals war Philip nicht nach Geschichten zumute gewesen.

      Frendan’no nickte. »Von mehr als einer. Er wuchs in Pal’dor auf.«

      »Aber wieso habe ich diese Wahl?« Endlich hatte Philip jemanden gefunden, der bereitwillig seine Fragen beantwortete.

      Frendan’no lächelte. »In deinen Adern fließt mein Blut, und auch wenn du nicht Rosis Schoß entsprungen bist, so bist du dennoch in gewisser Weise auch mein Kind und genau so liebe ich dich. Wenn du es willst, wird dein Leben so lange währen, wie deine Verbundenheit mit den Elben besteht.«

      »Warum hat Rosi das nicht gemacht? Warum keins ihrer Kinder bisher?« Philip bereute seine Frage, kaum, dass er sie ausgesprochen hatte.

      Frendan’nos Gesicht wurde traurig, das Licht in seinen Augen trübe, aber er antwortete trotzdem. »Warum Rosi es nicht tat, kann ich nicht sagen. Viele Nächte dachte ich darüber nach. Sie hat meinetwegen viel erduldet, aber sie scheute sich, mit mir zu gehen. Meine Tochter und auch deren Kinder, genauso wie deine Mutter und Josephine erfuhren von mir erst nach ihrem Eintritt ins Erwachsenenalter. Sie alle hatten sich zu diesem Zeitpunkt bereits für ihr Leben gebunden.«

      Philip spürte Frendan’nos Blick, aber er fürchtete sich davor, ihn anzusehen. Er fürchtete sich davor, in den Augen des Elben den Wunsch zu sehen, der in dessen Worten mitgeschwungen war. Er dachte an Arina. Zum ersten Mal seit jener Nacht auf der Lichtung ließ er den Gedanken an sie zu. Es war schmerzhaft. Philip hatte ihr versprochen, nach Eberus zu reisen, und er wünschte sich mehr als alles andere, er könnte dieses Versprechen einhalten. Würde sie verstehen, dass er sich auf gar keinen Fall zu erkennen geben konnte? Mehr denn je zweifelte Philip daran, dass es eine Zukunft für sie beide gab, aber er wusste, dass, solange sie lebte, solange er lebte, ein Funken Hoffnung in ihm glühen würde. Er konnte den Weg, den Frendan’no ihm gezeigt hatte, nicht gehen.

      »Wenn

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