Hinter verborgenen Pfaden. Kerstin Hornung

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Hinter verborgenen Pfaden - Kerstin Hornung Der geheime Schlüssel

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geschehen war. Wie oft hatte sie sich in den letzten Wochen gefragt, ob sie ihn nicht doch hätte bitten sollen, bei ihr zu bleiben. Aber sie hatte ihm die Möglichkeit, noch einmal frei von Verantwortung an einer Jagd teilzunehmen, nicht nehmen wollen. Es war schließlich nicht zu erwarten gewesen, dass diese Jagd so lange dauern würde.

      Und jetzt war auch noch das Kind zu früh gekommen.

      Laut den Berechnungen von Ala’na der Weisen wären noch vier Wochen Zeit gewesen. Vier Wochen, in denen Jar’jana erst die Ruhe des Waldes in sich aufnehmen sollte, um dann auf der Warte ihre Seele mit der des Kindes in Einklang zu bringen, bevor die Zeit der Geburt und des Lebens begann. Im geborgenen Kreis ihrer Liebsten, unter dem fürsorglichen Blick der drei Schicksalsnornen, hätte sie schließlich das Kind in die Arme nehmen sollen.

      Doch die Kleine hatte sich nicht an die Rituale der Elben gehalten.

      Vorsichtig streckte Jar’jana die Hand nach ihrer winzigen Tochter aus und berührte ihre Wange. Sie fühlte sich an wie der Flügel eines Schmetterlings. Sanft strich sie ihr über die kleine Brust und über die Ärmchen.

      »Lume’tai«, flüsterte sie, nahm ihr Kind auf den Arm und hielt es unsicher.

      Jar´jana wusste nicht, wie lange sie so dagesessen hatte. Schließlich löste sie Lume’tai von ihrem Körper und betrachtete das friedliche Gesicht. Die Kleine war makellos schön. Dünne Härchen glitzerten auf ihrem Kopf, die Hände waren zu winzigen Fäustchen geballt, die Fingernägel wie Perlen am Ende jeden Fingers.

      Sie strich mit einer Hand über die Wange ihrer Tochter, und Lume’tai schlug die Augen auf. Wie gebannt starrte die Elbin ihr Kind an. Solche Augen hatte sie noch nie gesehen.

      »Wirst du leben?«, hauchte sie.

      Die Augenlider des Kindes flatterten. Beim Einatmen röchelte es in seinen Lungen.

      »Oh, Lume’tai!« Tränen der Verzweiflung flossen über Jar’janas Wangen, perlten an der samtenen Haut des Kindes ab und versickerten im Waldboden.

      Weinend streichelte sie den kleinen Kopf, die Arme, die Beine. Ihre Finger erkundeten die zarte, fast durchsichtige Haut, die kühl und stellenweise noch feucht war. Jar’jana erschrak. Weder Kälte noch Hitze konnte einem erwachsenen Elben etwas anhaben, aber galt das auch für ein Neugeborenes. Ein zu früh Geborenes?

      Sie riss einen großen Streifen aus ihrem Unterrock und wickelte Lume’tai darin ein, dann legte sie sich, ihr Kind im Arm, auf den weichen Waldboden und versuchte, zu Kräften zu kommen.

      Sie erwachte von fremdartigen Geräuschen. Lauschend richtete sie sich auf, wurde aber sogleich von starken Schmerzen im Unterleib übermannt. Durch das dichte Blätterdach sah sie den Morgen heraufziehen. Doch es war kein ruhiger Morgen. Irgendetwas störte den Frieden des Waldes. Sie horchte, aber sie konnte nicht erkennen, was es war.

      Lume’tais Köpfchen war im Schlaf leicht zur Seite gefallen. Vorsichtig legte Jar’jana die Kleine ins Moos und versuchte aufzustehen. Stöhnend sank sie zurück. Die Schmerzen waren furchtbar, sie keuchte. Aber hier im Wald konnte sie nicht länger bleiben. Sie musste sofort nach Hause. Ihre Eltern mussten ihr sagen, was mit dem Kind zu tun war.

      Mit schwindenden Kräften stemmte sie sich auf die Beine. Alles um sie herum schien sich zu drehen. Sie stützte sich an einen Baum und bemühte sich, ihre Sinne beisammenzuhalten.

      Die Bewegung in der Ferne wurde deutlicher. Etwas, das vorher nicht da gewesen war, kam taumelnd auf sie zu.

      Eine böse Vorahnung beschlich Jar´jana und eine nie dagewesene Angst bemächtigte sich ihrer. Sie löste sich von dem Baum. Ihr Kleid war blutgetränkt. Schwarze Kreise tanzten vor ihren Augen, und die Schmerzen wurden noch schlimmer. Da schallte ein Horn in der Ferne. Vor Pal’dor!? Waren das Kampfgeräusche? Wurde die Stadt angegriffen?

      Das konnte nicht sein. Die Stadt war verborgen. Niemand konnte Pal’dor finden. Nur geheime Pfade führten dorthin, und die Eingänge waren versteckt. Es gab strenge Rituale, die man befolgen musste. Keiner entdeckte zufällig die Tore. Niemand konnte die Stadt angreifen.

      Jar’jana taumelte, ihre Sinne drohten zu schwinden. In ihrem Kopf drehte sich alles.

      Lume’tai erwachte. Sie wimmerte leise.

      Jar’jana musste sie hier fortbringen. Sie benötigten beide Hilfe. Die Ältesten mussten erfahren, dass das Ritual gestört war, dass es keine Geburt unter den blanken Sternen auf der Warte geben würde.

      Unerträgliche Schmerzen zwangen Jar’jana zu Boden. Auf Knien rutschte sie zu ihrem Kind. Sie spürte die Dunkelheit, die ihre Arme nach ihr ausstreckte und sie zu überwältigen drohte. Verzweifelt, aber kraftlos wehrte sie sich dagegen. Dann brach sie neben ihrem Kind zusammen.

      1. Waldoria

      Mit einem Buch hatte sich Philip auf den Dachboden verzogen. Er hatte sich ein Nest aus Decken gebaut, das gut verborgen hinter einem Haufen alter und kaputter Möbel lag, die sein Vater irgendwann reparieren wollte.

      Sein Reich.

      Unten im Haus gab es keinen Platz, an dem er ungestört lesen konnte. Seine fünf jüngeren Brüder taten alles dafür, um ihn den ganzen Tag zu stören. Und wenn die Plagegeister einmal nicht um ihn herumschwirrten, hielt ihn seine Mutter mit Botengängen und Hilfsdiensten auf Trab. Ab und zu musste er auch dem Vater in der Schmiede helfen. Vor allem dann, wenn dessen Gehilfe Ruben sich um seine gebrechliche Mutter kümmerte.

      Mit einem leisen Seufzen lehnte sich Philip zurück und strich über den ledernen Einband des Buches, das ihm sein Lehrer unter größter Geheimhaltung anvertraut hatte. »Pal’dor«

      Das Bild einer schlanken, hochgewachsenen Gestalt mit langen Haaren und fließenden Kleidern zierte den Deckel. Das Wesen sah menschlich und doch fremdartig aus. Die gerade Nase und das vorspringende Kinn wirkten entschlossen, die Augen sahen ihm alt und wissend entgegen. In einer Hand hielt die Gestalt ein dickes Buch, in der anderen einen Speer. In kunstvollen Windungen verband sich die Speerspitze mit dem reichverzierten Schaft.

      Philips Finger folgten dem Muster, dann schlug er das Buch auf und begann zu lesen.

      »Philip! Phiiilip!!!« Die Stimme der Mutter klang ungeduldig. »Wo bist du? So antworte doch! Philip!!!!«

      Philip stöhnte leise. Sollte er sich melden, oder würde sie irgendwann aufgeben?

      »Philip Gordinian, ich weiß, dass du im Haus bist!«

      Er stand auf und streckte sich. Dann versteckte er das Buch in einer Schublade. Seine Mutter würde nicht aufgeben, ehe sie ihn gefunden hatte. Widerwillig kletterte er die Dachbodenleiter hinunter.

      »Hat er dir wieder ein Buch mitgegeben?«

      Erschrocken fuhr Philip herum und blickte geradewegs in das Gesicht seiner Mutter.

      »Äh … ja. Woher weißt du …?«, stammelte er verdutzt.

      »Ach Junge! Ich hoffe, dort oben ist es zum Lesen hell genug.« Sie strich ihm über den Arm. »Ich muss gehen. Bei Elvira ist es so weit. Pass du auf die Zwillinge auf.«

      Hinter ihrem Rücken verdrehte er die Augen und folgte seiner Mutter zur Tür.

      Draußen

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