der Schatz im Acker. Hermann Brünjes
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»Ihr macht einen echt guten Job!«, rufe ich ihr zu. Sie nickt und verschwindet in der Spülküche. Seltsam. Normalerweise ist Dari zwar still, wirkt dabei aber fröhlich und selbstbewusst. Nun jedoch scheint ihr etwas auf dem Herzen zu liegen – oder sie ist einfach nur müde und gestresst.
*
Inzwischen »boxt der Papst«, wie Enno es gerne ausdrückt. Enno ist Chef der Freiwilligen Feuerwehr von Himmelstal. Er löscht Brände. Heute geht es um einen besonders lebensbedrohlichen Brand. »Durst« nennen wir ihn. Gemeinsam gehen wir ans Werk: Enno Diekmann und Gerd Meyer von der Feuerwehr, unser Nachbar Gerald Tönnies, Sportwart Axel Kuhlmann, Tagungshausleiter Theo Beyer und ich, Jens Jahnke, Journalist und Reporter vom Käseblatt.
Ohne es zu wollen, hat sich dieser erlauchte Kreis Gleichgesinnter an einem runden Stehtisch vor der Theke eingefunden. Unsere Frauen sitzen mit anderen Frauen am Tisch und sprechen über ... na, ich vermute Kinder, Männer und Klamotten. Wobei das natürlich ein Klischee ist. Meine liebe Maren diskutiert auch gerne über alles, was mit Menschen, Beziehungen und Gesundheit zu tun hat – und was hat nicht damit zu tun? Bei uns in der Männerrunde geht es um Autos, die große Weltpolitik und, man staune, um die Kirche. Theo hatte soeben ganz nebenbei gemeint, dieser Tag mache ja deutlich, dass die Kirche mitten im Leben steht.
»Wir beten, wir sprechen über Lebensträume, es gibt gut zu Essen, wir kümmern uns um die Kinder, hören flotte Musik und jetzt wird gefeiert, bis der Morgen graut. Dieser Tag ist doch Beweis genug! Wir von der Kirche verstehen etwas vom Leben!« Theos blaue Augen strahlen. Der Mittvierziger reibt sich den Dreitagebart, schmunzelt und prostet uns zu.
Gerd brummt irgendetwas vor sich hin.
»Gerd, sag’s ruhig laut. Wir von der Kirche sind Kritik gewohnt. Selbst Jesus musste sich schon manches anhören.«
Der kurz vor der Rente stehende KfZ-Mechaniker lässt sich das nicht zweimal sagen.
»Mag sein, dass ihr hier irgendwie aus dem kirchlichen Rahmen fallt und anders seid. Aber schau doch deine Kirche mal kritisch an. Ihr predigt und fuchtelt mit dem moralischen Zeigefinger herum wie mit einem Schwert, aber die Aufarbeitung von Missbrauch verhindert ihr. Und die Pfarrer lassen den Gutmenschen heraushängen. Wie viel Geld unserer Kirchensteuern ihr in Aktienpakete, überflüssiges Personal und Gebäude steckt, statt den Armen zu helfen, will ich gar nicht wissen. Vom Papst mal ganz abgesehen ...«
Je länger er redet, desto mehr regt sich Feuerwehrmann Gerd auf. Er hat schon jetzt ein paar Brände zu viel gelöscht.
Theo kontert wie erwartet: »Du verwechselst da was. Wir hier sind nicht katholisch. Wir sind evangelisch. Seit der Reformation vor über fünfhundert Jahren gibt es bei uns keinen Papst und auch kein Zölibat.«
»Aber Missbrauch hat es in evangelischen Heimen und sogenannten Erziehungsanstalten auch gegeben.« Enno nimmt Gerd in Schutz. Feuerwehrkameraden halten eben zusammen. Wobei auch Theo in der Feuerwehr aktiv ist. Er hat sich sogar in diversen Fortbildungen besonders qualifiziert und wird von den Kameraden deshalb hochgeachtet.
»Stimmt«, gibt er nun zu, »auch bei uns passiert eine Menge Mist. Kirche ist eben immer auch eine Institution mit eigenen Regeln und starren Gewohnheiten. Aber Martin Luther hat uns damals doch auf eine andere Spur gesetzt.«
»Die Spur der großen Worte, Predigt und so. Das ‚Wort’ als Gottes scharfes Schwert. Ein Konfirmandenunterricht, wo man mehr auswendig lernen muss als während der gesamten Schulzeit, nein danke. Viel besser als die katholische ist die evangelische Kirche auch nicht!«
Ich staune, befasst sich doch Enno mit dem Thema Kirche offenbar heute nicht das erste Mal. Er weiß gut Bescheid und scheint sich sogar mit der Reformation auseinandergesetzt zu haben. Theos Argumentation muss er allerdings oft zustimmen. Der Leiter des Tagungshauses ist uns allen in theologischen Fragen überlegen.
»Wenn man die Reformation auf die Trennung von der katholischen Kirche reduziert, hat man sie nicht verstanden. Luther ging es zuerst um die innere Befreiung des Menschen und um unser Gottesbild. Erst als Konsequenz daraus hat er in seinen 95 Thesen Veränderungen in der Kirche gefordert.«
»Das mag ja stimmen. Trotzdem ist die Trennung der Konfessionen ein längst überholtes Relikt aus dem Mittelalter. Was damals unbedingt nötig war, macht heute aus meiner Sicht die Christen unglaubwürdig.« Enno lacht jetzt triumphierend. »Das hat doch unser Pastor vorhin auch gesagt! Und mal ehrlich, wenn sogar die deutsche Einheit möglich war und immer besser funktioniert, dann müssten wir Christen es mit der Einheit von Kirche doch auch langsam auf die Reihe kriegen!«
Wir werden unterbrochen. Maren zieht mich am Arm.
»Komm, Jens, wir wollen tanzen!«
Ich ignoriere die Vereinnahmung durch das »wir« und lasse mich auf die hölzerne Tanzfläche ziehen. Spätestens nach zwei Discofox bin ich raus aus dem Thema »Kirche«. Der zweite ist eigentlich ein Salsa, aber diesen flotten Tanz beherrsche ich nicht mehr. Maren meckert mit mir und erinnert mich an den Tanzkurs, den wir zu Beginn unserer Beziehung gemeinsam besucht haben. Schon damals war ich leider vor allem linksfüßig unterwegs. Wir haben keine Lust mehr und ersparen uns den Quickstepp, den die Band nun präsentiert.
Ach ja, die Band. Nicht nur der Name, auch die Typen passen zur Musik. Der Keyboarder mit Schlapphut und im Lodenmantel ist gekleidet wie ein Schäfer aus der Heide, der Gitarrist mit Tirolerhut und Lederhose wie ein bayrischer Jodelkönig und die Schlagzeugerin mit Heidekranz auf dem Kopf und einem böhmischen Trachtenkleid symbolisiert die Verbindung vom Egerland im tschechischen Grenzgebiet und Lüneburger Heide. »Egerländer Heidjer«, international in Sachen Schlager und Volksmusik aufgestellt, könnte man sagen.
Am Stehtisch schenkt mir Axel sofort einen Korn ein.
»Komm, Kumpel, stärke dich erst einmal. Hast eben einen etwas geschwächten Eindruck gemacht.«
Das Thema »Kirche« ist während meiner kurzen Abwesenheit ad acta gelegt worden. Nun geht es um das verheerende Hochwasser in West- und Süddeutschland. Niemand glaubt, dass so etwas auch hier bei uns in der Heide passieren kann.
»Allerdings könnten uns extrem lange und heiße Dürrephasen treffen, Starkregen kann viele Ackerflächen samt Getreide wegspülen und Tornados können ganze Dörfer und Städte zerstören. Also sagt nicht, bei uns kann nichts passieren!«
Enno hat damit sicher recht. Am Ende einer längeren Diskussion einigen wir uns darauf, dass es wohl doch am bereits erwärmten Klima liegt. Wir wollen auf weitere Bratwürste verzichten, lästern über Gerds SUV und meinen uralten Golf und kommen dann auf das Thema Photovoltaik, die Windräder, viel zu große gelbe Tonnen für Plastikmüll und völlig überflüssige Reisen nach Mallorca.
Die Tanzphase ist inzwischen vorbei, die »Egerländer Heidjer« machen immer längere Pausen und die Hälfte der Feiernden ist bereits gegangen. Gerade verhandeln wir das Thema Elektromobilität. Axel kann das Wort allerdings inzwischen nicht mehr richtig aussprechen. Er spricht, nein er lallt, deshalb etwas von »Stromautos« und »Stromkrise«. Er steht eben unter Strom.
Im Augenwinkel bemerke ich bereits etwas länger, dass ein junger Mann immer wieder zu unserem Tisch herüberschaut. Ich kenne ihn vom Sehen. Er arbeitet auf einem Gutshof ganz in der Nähe. Auch er hat inzwischen diverse Bier und Korn intus, scheint aber recht trinkfest zu sein. Zwei seiner Kumpels am Tisch grölen lautstark mit: »Ein Bett im Kornfeld ...« Vielleicht lieben besonders Landwirte diese Bierzelthymne.
Der