Ein fast perfekter Winter in St. Agnes. Bettina Reiter
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Читать онлайн книгу Ein fast perfekter Winter in St. Agnes - Bettina Reiter страница 18
„Mit Cola?“, machte sich Linda lustig über sie. „Ich bitte dich.“
„Deinem Atem nach ist es mit Rum gestreckt“, konnte sie Tiff nichts vormachen, die wieder umwerfend aussah in ihrem schwarzen Satinmantel mit dem Leopardenmuster auf der Schulter und den kniehohen Lack-Stiefeln, die schmutzige Abdrücke auf dem glänzenden hellbraunen Marmorboden hinterließen. „Warum starrst du mich so an, Emma?“, fragte Tiff schnippisch. „Neidisch, weil ich im Gegensatz zu dir vorzeigbar bin?“
Ihre Annahme war nicht weit hergeholt, denn Brandons Vorwurf hämmerte in Emmas Kopf. Es stimmte, dem Vergleich mit den Schwestern hielt sie niemals stand. Besonders was Tiff betraf.
„Falls du gekommen bist, um Emma zu beleidigen, kannst du gleich wieder gehen“, sprang Linda für sie in die Bresche. Eigentlich hätte Emma etwas in der Art sagen müssen. Um endlich klarzumachen, dass sie sich nichts mehr gefallen lassen wollte.
„Irrtum. Ich bin hier, um sie zur Vernunft zu bringen“, wurde Tiff unwirsch. „Die Belegschaft musste den Gästen laufend erklären, warum es keine frischen Eclairs gibt. Einige haben sogar mit schlechten Kritiken im Internet gedroht. Deshalb will ich wissen, ob ich morgen auf dich zählen kann, Emma.“
„Wir werden sehen“, rang sie sich zu einem halben Widerwort durch und tat nach außen hin cool. Leider wusste Tiff genau, welchen Schalter sie betätigen musste, um ihr ein schlechtes Gewissen zu machen. Zu sehr fühlte sich Emma für die Mitarbeiter verantwortlich.
„Schön“, äußerte sich ihre Schwester mit säuerlicher Miene. „Du musst selber wissen, was du tust. Aber ich könnte nie so egoistisch sein und meine Kollegen mitten im Weihnachtsgeschäft alleinlassen. Nun ja, nicht jeder ist verlässlich. Also amüsiere dich gut. Ich hoffe, du erstickst am Rum.“ Wütend stapfte sie hinaus. Als die Tür ins Schloss fiel, blickten sich Emma, Linda und Grant an.
„Eigentlich haben wir stimmungsmäßig neuerlich keinen Grund zum Feiern“, meldete sich Linda zu Wort, die sich schüttelte, als hätte sie den Leibhaftigen gesehen. Emma ging es ähnlich, nur dass sie das Lesezeichen wie ein Damoklesschwert über sich spürte. „Andererseits ist das der beste Grund, um es erst recht zu tun. Also, Leute, lasst uns heute Abend alles vergessen.“
Es war erst sechs Uhr morgens. Dennoch stand Emma in der Backstube. Ungeachtet der langen Nacht mit ihren Freunden, die ihr einen roten Sitz-Überzug für Reddy geschenkt hatten. Plüsch für die kalten Tage. Die beiden waren grandios.
Doch die Freude darüber konnte ihre innere Rastlosigkeit nicht auf Dauer verdrängen. Stundenlang hatte sie sich im Bett gewälzt und sich gefragt, wie sie die Sache angehen sollte. Denn dass sie dem nachgehen musste, stand fest. Sonst würde sie keine Ruhe finden. Deswegen war Emma unter anderem in die Konditorei gekommen. Beim Backen kamen ihr oft die besten Ideen. Außerdem half ihr diese Tätigkeit, um sich zu entspannen. Ein weiterer Grund waren die Angestellten. Das Weihnachtsgeschäft war tatsächlich jedes Jahr der reinste Horror und die Nerven aller lagen blank. Das musste sie nicht zusätzlich schüren, indem sie fehlte. Für Tiff hätte sie hingegen keinen Finger krummgemacht.
Das Wasser mit der Butter kochte auf. Emma hatte eine Prise Salz und etwas Zucker dazugegeben. Das Mehl stand neben dem Herd wie der kleine Messing-Streuer mit ihrer Geheimwaffe. Ein selbst kreiertes Gewürz, das den Eclairs den unnachahmlichen Geschmack verlieh. Unter anderem bestand es aus der Tonka-Bohne, echtem Süßholz, Kardamon, Chili, Koriander, Bourbon-Vanille und einem Hauch Kalu Namak. Im Winter erweiterte sie das Gewürz gerne mit Anis, Zimt, Pfefferminze oder Nelken. Im Frühjahr und Sommer griff sie zu Rosenblüten, rosa Pfeffer, getrockneten Blumen oder Kräutern. Der Fantasie waren keine Grenzen gesetzt. Allerdings musste man auf die korrekte Dosierung der Zutaten achten, damit sich das Aroma in den Eclairs perfekt entfalten konnte. Natürlich sollte auch die Füllung dazu passen, die eine Kunst für sich war. Diese Arbeit und das Dekorieren liebte sie am meisten.
Mittlerweile kochte es im Topf. Emma reduzierte die Hitze und fügte das Mehl hinzu. Danach rührte sie, bis der Teig glatt wurde und sich vom Boden löste. Als sie mit dem Ergebnis zufrieden war, zog sie den Topf vom Herd, damit die Masse abkühlen konnte.
Diese Zeit nutzte sie, um das übriggebliebene Schwarzgeschirr zu waschen. Vermutlich hatte ihr Vater ausgeholfen - oder zumindest der Mann, den sie bisher dafür hielt.
Emma riss sich sofort zusammen, mit Lindas Ermahnung im Hinterkopf. Es würde sich alles weisen. So oder so. Zuerst musste sie sich um die Arbeit kümmern, denn es sah fast so aus, als hätten gestern alle fluchtartig die Konditorei verlassen. Im Gastraum bot sich kein besseres Bild. Allerdings war sie vor zwei Tagen ebenfalls abgehauen. Deswegen war es nur gerecht, dass sie jetzt den Angestellten hinterher putzte.
Als zumindest die Küche wieder glänzte, widmete sich Emma der inzwischen warmen Masse und bestreute sie mit ihrem Geheimgewürz. Danach rührte sie ein Ei hinein. Nicht mit der Küchenmaschine oder dem Handmixer, wie es die meisten taten. Die Maschinen hatten kein Herz und keine Seele. Mit Liebe zu backen hieß, vieles von Hand zu machen. Auch wenn es anstrengender war. Emma glaubte jedenfalls fest daran, dass man den Unterschied schmecken konnte und arbeitete auf dieselbe Weise die restlichen Eier ein.
Als der Teig eine seidige Konsistenz hatte, füllte sie den Spritzsack damit und schob kurz danach die gefüllten Bleche ins Backrohr. Währenddessen bereitete sie eine weitere Masse vor, da sie auch herzhafte Eclairs anboten, süß-herbe oder anderes. Drei Stunden später stapelten sich die gefüllten Leckereien im Kühlraum. Nach einer Weile gesellten sich auch Cupcakes, zwei Torten und ein Apfelkuchen dazu, den sie nach einem alten Rezept buk, das sie vor Jahren in einer Zeitschrift gefunden hatte. Ohne Brimborium, was ihn gerade deshalb zu etwas Besonderem machte.
Um halb zwölf trudelten schließlich die Servicekräfte ein, denen Emma zur Hand ging, da sie wie jeden Tag um dreizehn Uhr aufsperrten. Früher war das anders gewesen. Der Vater hatte in aller Früh aufgemacht, doch Tiff führte neue Öffnungszeiten ein. Natürlich kam sie auch heute fast pünktlich mit den ersten Gästen zum Dienst und verzog sich sofort in ihr Büro neben dem Eingang.
Emma füllte laufend die Vitrinen mit Eclairs, Kuchen und Torten nach. Dann und wann half sie dem Servicepersonal hinter der Bar und wusch die Gläser ab. Am Nachmittag war die Konditorei brechend voll, trotzdem musste Tiff unbedingt zur Maniküre und blieb drei Stunden weg. Dabei hätten sie jede helfende Hand brauchen können.
„Geht es Ihnen wirklich besser?“, fragte Alice, mit der Emma die Gläser polierte. „Sie sehen etwas blass aus und hätten sich auskurieren sollen, statt zu arbeiten.“
„Es geht schon“, wich Emma aus. „Davon abgesehen kann ich euch nicht im Stich lassen.“ Zumindest das war nicht gelogen.
„So wie es Ihre Schwester laufend tut?“, erkundigte sich die Zwanzigjährige spitz. Alice studierte Psychologie und wohnte in einer WG. Ursprünglich kam sie aus Irland, wo ihre Eltern eine Farm besaßen. „Verzeihen Sie, das hätte ich nicht sagen sollen.“
„Stimmt. Du bist gefeuert, Alice!“, zischte Tiff, die plötzlich hinter ihnen stand.
„Bist du von allen guten Geistern verlassen?“, ergriff Emma Partei für das Mädchen, das leichenfahl wurde. Alle wussten, wie dringend sie den Job brauchte. London war ein teures Pflaster.
„Im Gegenteil.“ Tiff verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich sortiere aus und du bist die Nächste, wenn du noch einmal so mit mir sprichst, Emma. In der Konditorei bin ich deine Chefin, nicht