Ein fast perfekter Winter in St. Agnes. Bettina Reiter

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Ein fast perfekter Winter in St. Agnes - Bettina Reiter Liebesromanzen in St. Agnes/Cornwall

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Schmerzen durch die Verformung der Wirbelsäule und dem Buckel, der sich im Laufe der Jahre entwickelte. Eines Tages hatte Grants Stiefvater sie bewusstlos aufgefunden und sofort ins Krankenhaus gebracht. Dort stellte man einen sehr schweren Krankheitsverlauf fest, der eine Operation unumgänglich machte. Bedauerlicherweise endete dieser Eingriff damit, dass sie seitdem im Rollstuhl saß. Grants größter Albtraum.

      „Natürlich ist es schlimm, was deiner Mutter passiert ist. Doch sogar sie und dein Stiefvater raten dir eine gründliche Untersuchung an. Je eher du etwas dagegen unternimmst, desto besser.“

      „Genauso gut könnte ich von dir fordern, sofort zu deinen Eltern zu fahren und die Sache mit dem Lesezeichen zu klären. Tust du es denn? Oder schiebst du es vor dich her?“

      „Ich schiebe“, gab Emma zerknirscht zu. Ein gutes Vorbild war sie tatsächlich nicht, obwohl der Vergleich hinkte. Seine Krankheit war um einiges schlimmer. „Leider macht es der Zwischenfall mit Tiff nicht einfacher.“ Innerlich haderte Emma damit, dass der erhoffte Anruf ihrer Mutter ausblieb. Möglicherweise hatte das Lesezeichen keinerlei Bedeutung. „Definitiv muss ich mit ihnen reden. Zumindest mit Mom. Nur wie und wo, das steht in den Sternen. Außerdem läuft mir die Zeit davon. Sie fliegen bald in den Urlaub.“

      „Das wird schon. Nur Mut. Immerhin hast du deiner Schwester endlich die Stirn geboten und Brandon darf sich mit dieser Anwältin herumschlagen. Du bist längst nicht mehr das Mäuschen von vor ein paar Tagen.“

      „Keiner ändert sich von heute auf morgen und Gewalt ist keine Lösung.“ Die Ohrfeige lag ihr im Magen. Obwohl sie gutgetan hatte. Dennoch hätte sie sich nie dazu hinreißen lassen dürfen.

      „Das behauptet niemand. Und Tiff wird es verkraften.“ Er lächelte. Dann genossen sie die Stille im Hyde-Park. Eine riesige Grünfläche im Herzen Londons, die weder Straßenlärm noch Hektik kannte. Nur das Rauschen des Windes war zu hören, Vogelgezwitscher oder übermütige Kinder, die herumtobten.

      Emma war immer gern hier gewesen. Leider gehörte der Hyde-Park auch zu den Freizeitbeschäftigungen, die im Laufe der letzten Jahre auf der Strecke blieben. Dabei tat es gut, durch diese Oase zu schlendern. Die frische Luft auf der Haut zu spüren. Sich an der Umgebung zu erfreuen, die wie unter Zuckerguss lag.

      Besonders schön war der Park im Frühjahr. Kirschbäume verzauberten die Alleen mit ihren zarten Blüten, die wie ein Dach die Wege beschatteten. Im Sommer blühte es ringsum. Am Serpentine Lake konnte man schwimmen oder rudern. Es gab die Gelegenheit zum Bowlen und den Park mit dem Rad zu erkunden. Vom Rosengarten bis zum Green Park, wo sie oft in der Nähe des Triumphbogens gesessen hatte, um ein Buch zu lesen.

      „Wo treffen wir uns eigentlich mit Linda?“, wollte Emma wissen. Grant hatte ihre Freundin vorhin angerufen, während sie Reddy volltankte. Linda versprach nachzukommen. Ein oder zwei Stunden würde sie sich angeblich freischaufeln können. „Beim Café?“ Sie näherten sich dem Speakers Corner. Hier konnte jeder nach Lust und Laune eine öffentliche Rede halten. Egal, über welches Thema. Nur die königliche Familie durfte nicht erwähnt werden. Manchmal waren die Bänke des Cafés und auf dem Gelände bis zum Bersten besetzt. Jeder konnte zuhören oder gegebenenfalls mitdiskutieren. Nicht selten artete es in Streit aus.

      Plötzlich stutzte Emma, weil ihr Blick auf eine Frau fiel, die unweit des Cafés unter einem Baum saß. „Das ist ja Mom“, murmelte sie. „Was für ein Zufall.“

      „Es ist keiner. In Wahrheit habe ich sie angerufen. Nicht Linda.“ Grant blieb stehen.

      „Was soll das?“, wurde Emma sauer.

      Sanft umfing Grant sie an den Schultern. „Da ich ahnte, dass du nach der Sache mit Tiff erst recht zögern würdest, habe ich mich dazu entschlossen, dir auf die Sprünge zu helfen. Bis deine Eltern aus der Karibik zurückkommen, wärst du ein Nervenbündel.“

      „Das ist nicht in Ordnung, Grant!“

      „Mag sein. Nur musst du dich irgendwann sowieso stellen. Wieso nicht jetzt gleich?“ Er ließ sie los. „Ich warte in einiger Entfernung auf dich. Viel Glück.“

      Emma blickte ihm grimmig hinterher, bevor sie sich zögernd in Bewegung setzte und ihre Mom in Augenschein nahm, die vor sich hinstarrte. Erst als sie sie beinahe erreicht hatte, hob die Mutter den Kopf. Mit einer Mischung aus Unnahbarkeit und Angst schaute sie ihr entgegen. Doch da lag noch etwas anderes in ihren grün-braunen Augen, das Emma nicht deuten konnte.

      „Du wolltest mich sprechen?“, wurde sie kühl von ihrer Mom empfangen, die dennoch zur Seite rückte. Emma ließ sich neben ihr nieder und blickte zum menschenleeren Café. Über ihnen fing das dichte Zweigwerk die Schneeflocken auf. Hin und wieder stahl sich eine hindurch und schwebte wie eine Feder auf sie herunter.

      „Grant hat das eingefädelt“, fühlte sich Emma in Erklärungsnot und spürte die kalte Bank trotz ihres warmen Mantels. „Er findet, dass wir reden sollten.“

      „Bist du derselben Meinung? Wenn ja, mach es kurz. Dein Vater holt mich gleich ab.“ Der Wind strich über ihren weißen Pelzmantel, der ihre Blässe unterstrich wie die dazu passende Kappe. Im begehbaren Kleiderschrank ihrer Mom fanden sich viele solcher Mäntel und Hauben, die sie zu allem Überfluss mit Stolz trug. Sogar der Umstand, dass zwei Jahre zuvor eine Tierschutzaktivistin vor dem Royal Opera House auf sie losgegangen war, trübte ihre Kauffreude in keiner Weise. „Wir wollen in eine Fotoausstellung“, fuhr die Mutter fort, „Sie zeigen Bilder aus Cornwall und Schottland.

      „Cornwall?“ Als wäre es ein Wink mit dem Zaunpfahl! „Ist St. Agnes auch dabei?“, platzte es aus Emma heraus, die ihre Mutter nicht aus den Augen ließ. Um keine Regung zu verpassen. Keine Geste.

      „St. Agnes? Was soll das sein? Ein Krankenhaus?“ Sie wich Emmas Blick aus und strich sich fahrig über die Spitzen des dunklen schulterlangen Haares, das sie seit Jahren färbte. Dennoch zeigten sich graue Strähnen. Ihr letzter Friseurbesuch musste eine Weile her sein.

      „Wir wissen beide, dass ich das Küstendorf gemeint habe, Mom.“ Unweit von ihnen hopste ein Spatz herum und machte keine Anstalten wegzufliegen. Die Vögel und Eichhörnchen fraßen den Parkbesuchern buchstäblich aus der Hand. Wider jede Natur, so süß der Anblick und diese Zutraulichkeit auch waren.

      „Du sprichst in Rätseln“, wurde ihre Mutter unwirsch und kratzte sich an der schmalen Nase. „War’s das?“

      „Verdammt, Mutter!“ Emma wurde von der plötzlichen Verzweiflung übermannt, dass sie womöglich nie die Wahrheit erfahren würde. Aber sie hatte ein Recht darauf! „Ist Ben mein leiblicher Vater?“

      Ihr Lachen wirkte affektiert. „Wer sollte es sonst sein? Womit dieses lächerliche Gespräch beendet ist.“ Ehe Emma sie zurückhalten konnte, stand sie auf und eilte davon. „Es war ein Fehler herzukommen“, rief sie über die Schulter. „Aus deinem Mund ist nie etwas Sinnvolles gekommen.“

      „Aber aus deinem oder was?“, wurde Emma ebenfalls laut und lief ihr nach. Als sie auf gleicher Höhe waren, hielt sie ihre Mutter am Arm zurück, in deren Augen Tränen schwammen. Sofort war Emmas Zorn wie weggewischt, die ihre Mom losließ, obwohl sie sich am liebsten an sie geklammert hätte. Wusste der Teufel wieso. „Ich bitte dich inständig“, verlegte sich Emma aufs Betteln, „gib mir eine Antwort. Bin ich das Kind eines anderen?“

      „Ich wollte nie, dass du es erfährst“, gestand ihre Mutter plötzlich mit bebender Stimme. Schneeflocken vermischten sich mit ihren Tränen. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sie weitersprach: „Weil ich nicht stolz darauf bin, Ben betrogen zu haben. Doch ich kam nicht gegen meine Gefühle an.

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