Vorm Mast. Wolfgang Bendick

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Vorm Mast - Wolfgang Bendick Zu Wasser und zu Lande

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der Seemannschule und von Hamburg ‚aufgetucht vorgeheißt‘, und in dem Augenblick, wenn die deutsche an der Spitze der Gaffel angekommen war, durch einen kurzen Ruck an der Leine geöffnet. Doch plötzlich wurden die einen starr vor Schreck, andere lachten, denn an der Stelle der Flagge der Seemannsschule flatterte ein Putzlumpen aus der Küche! Es dauerte etwas länger, bis die Schulleitung das entdeckte. Ein schriller Pfiff vom Kapitän, seine Worte überschlugen sich. „Runterholen!“ Wir dachten an Meyer und mussten innerlich lachen. Betraf das uns oder den Lumpen? Anweisungen wurden in alle Richtungen gebellt und übertrieben langsam, so schien uns, kam das Tuch wieder zurück zur Erde. Wutentbrannt, den Kopf knallrot, entfernte sich der Kapitän mit seinem Hund am Schlepptau. Die Lösung des Problems überließ er seinen Offizieren: Rausschmiss der beiden ‚Übeltäter‘! Mit anderen Worten: Ende der seemännischen Laufbahn, bevor sie richtig angefangen hatte.

      Als wir die Schule begonnen hatten, waren wir alle gemessen und gewogen worden. Diese Prozedur wiederholte sich jeden Monat. Es gab da eine Regelung, die besagte, dass Jan Maat (der Seemann) mindestens 1,50 Meter groß sein muss und 50 Kilo schwer. Sonst bestünde Gefahr, dass der Wind ihn fortpuste. Einer von unserer Wache wog nur 46 Kilo. Zum Glück war er aber 1,50 Meter groß, sonst hätten wir ihn in die Länge ziehen müssen. So kümmerte sich nur die Grewerin, unsere Köchin um ihn. Nicht, dass sie ihn mit ins Bett nahm oder die Brust gab, nein, sie verpasste ihm täglich eine doppelte Portion Muschelsuppe. Seine Muscheln nahmen zwar nicht zu, dafür aber sein Bauch. Das sahen wir beim Duschen. Sein Bauch wölbte sich zusehends über seinem kleinen Pimmel und begann Ringe zu bilden.“ Morfi Pipifax“ wurde er von offizieller Seite ab dem ersten Tag benannt und von uns auch. Dieser Name hat ihn bestimmt noch lange begleitet.

      Manchmal zog Peters, der AO (Ausbildungsoffizier) der Backbordwache, sein Schifferklavier heraus. Das und die Kneipen waren sein Element. Das geschah oft abends. Bei diesen kameradschaftlichen Ausbrüchen lernten wir 'ne Menge Shantys. Tagelang gingen sie mir nachher durch den Kopf, wie Ohrwürmer. Oft summte oder sang ich sie vor mich hin, wenn ich Posten Tor oder Hafen ging. Ich kannte alle Texte auswendig. In mir erstanden Bilder von Klippern und Seegang, überkommenden Wellen und Maloche.

      Es gab in Bremervörde den Gesangsverein „Harmonie“. Der lud unseren schnell von Peters gegründeten Schulchor zur Feier seines 100-jährigen Bestehens ein, ins Hotel „Schützenhof“. Peters gab sich größte Mühe, unsere Stimmbänder salonfähig zu machen. Den Rest machte unsere Begeisterung. Wir lernten „Rolling Home“, „Wo die Nordseewellen“, „Drunken Sailor“, „Die Hoffnung“ und so viele andere Songs. Mir war, als vermittelte er mir mehr Wissen über die Segelschifffahrt, als aller Unterricht zusammen. Klar, dass wir an diesem Abend nicht um 10 Uhr in der Schule waren. Fast alle Schüler haben an diesem Gesangsabend teilgenommen, auch wenn viele, wie ich, kaum singen konnten. Nach Mitternacht ging es zurück an Bord. Nur Peters hielt die Stellung und zeigte diesen Landratten, was ein Seemann aushält!

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      Shanty-Abend mit Peters

      Manchmal saßen wir abends im Takelkeller, ein paar Kumpels, um etwas weg vom Lärm zu sein. Ich hatte meine Mundharmonika dabei und versuchte, die bei Peters gelernten Shantys zu spielen, um uns die Zeit zu verschönern. Janke spielte auf seiner Gitarre. Es ging auf Weihnachten zu, es begann zu schneien. Auf Posten Tor durfte man Ölzeug überziehen, aber nicht die Hände in die Taschen! Diese zog ich in die Ärmel zurück, wie eine Schildkröte ihre Flossen in ihren Panzer. Zu dieser Gelegenheit durften wir den Reißverschluss unseres Rollkragens ganz zuziehen. Wie kam ich mir manchmal einsam vor! Ich sang vor mich hin „Aft on the quarterdeck, walking about, there is the starbordwatch so sturdy and stout. Thinking of his mother, and he hopes she is well... and I wish that you will hurry up and strike the bell, strike the bell, second Mate let us go below.....“ Ich glaube, Traurigkeit ist fast dasselbe wie Glück. Fernweh dasselbe wie Heimweh. Zumindest bei mir... Meine Hände waren kalt, und ich wischte mir einen Tropfen von der Nase. Ich war glücklich.

      Im Hof stand, wie schon berichtet, ein mehr als 20 Meter hoher Mast, an dessen Gaffel und Rah morgens die Flaggen gehisst wurden. Hinten dran war ein Ladebaum befestigt, mit einer Winde, wie auf einem Schiff. Diente dieser, um uns mit der Ladetechnik vertraut zu machen, so diente der Mast eher als Mutprobe. Wir durften ihn nur unter Aufsicht besteigen, angeblich, weil die Takelage nicht mehr sehr solide war. Als wir das erste Mal die Wanten hoch kletterten, wurde so manchem mulmig in den Knien. Morfi Pipifax schaffte es nur eskortiert von zwei Großen. Seine Beine waren zu kurz zum Steigen. Das Schwierigste war, auf die Saling zu steigen, um den Mast auf die andere Seite zu gehen und dann rückwärts wieder runter zur Mutter Erde. Wenn wir uns das Ganze dann mehr als doppelt so hoch vorstellten und noch schief dazu und in Bewegung, dann konnten wir uns in etwa denken, wie es auf den Seglern zuging! Alle mussten darüber. Ohne Mast kein Schiff! Kein Schiff ohne Mast.

      Der Ausgang am Wochenende wurde etwas verlängert, wegen guter Führung. Bis zum Abendessen. Doch das dauerte nicht lange. Denn die Gelegenheit macht den Dieb, oder hier bei uns, den Säufer. Das wäre alles unbemerkt verlaufen, wie schon so oft. Doch die unfehlbare Schulleitung hatte beschlossen, die Zugangstüren für die Toiletten und Waschräume von 20 Uhr bis Mitternacht zuzuschließen. Auch für die Nichtausgeher. Wohl, damit wir unsere Blasen trainieren konnten. Was blieb uns anderes übrig, als durch die offenen Fenster in die Dachrinnen zu pinkeln. Ein paar Wochen blieb das unbemerkt, wenngleich es anfing, im Obergeschoss nach Latrine zu stinken. Je mehr man lüftete, umso mehr roch es...

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      „…mit sechzehn hat man noch Träume!“

      Kritisch wurde die Situation erst, als ein paar von uns durch nächtliche Magenrevolten veranlasst (egal warum), sich in die Dachrinne übergaben. Nicht schlimm für das Dach. Das ließe sich mit ein paar Eimern Wasser klären. Es fiel leider etwas von unserem mit Bier verdünntem Mittagsessen in den Hof. Genau auf die Stufen des Haupteinganges, über die morgens die ganze Mannschaft, einschließlich Schulleitung, zum Rapport in den Hof ging. Skandal. Selbst der Schäferhund des Kapitäns geriet in Erregung, waren da doch noch ein paar schöne Brocken Sonntagsbraten drin! Da die Urheber sich nicht meldeten, sei es wegen Hirnausfalls, oder weil sie befürchteten, geschmissen zu werden, und weil die Verpetzer ausnahmsweise die Klappe hielten (vielleicht waren sie es, die keinen Alkohol vertrugen?), wurde die ganze Steuerbordwache, deren Schlafräume sich da oben befanden, bestraft. Da es gar nicht so viele Klos gab, die wir hätten putzen können, verdonnerte man uns alle zu einer Woche Geländeputzdienst. Somit wurde das Gelände um den Bootshafen und danach das um die Schule einer gründlichsten Reinigung unterzogen.

      Im Speisesaal und im Hauptflur standen ein paar Schiffsmodelle unter Glasvitrinen. Wir drückten uns daran die Nasen platt, um alles genauestens zu betrachten, hatten doch viele, auch ich, noch nie ein richtiges Schiff gesehen. Wir stellten uns vor, wir seien darauf und schon auf See. Die drei Monate Schule waren wirklich eine lange Wartezeit! Es wurde das Gerücht verstreut, dass, wenn wir alle gute Noten hätten und uns gut benähmen, wir noch vor Weihnachten die Prüfungen hätten und frühzeitig nach Hause fahren könnten. Nicht erst am 5. Januar, wie vorgesehen. Mich berührte das nicht, wollte ich doch gleich hinterher aufs Schiff gehen.

      Unsere Meute war eine Zusammenfassung aller möglichen Berufe und Schulabschlüsse. Eine knappe Hälfte der Schüler war vorher schon berufstätig gewesen: Bankkaufmann, Reedereikaufmann, Installateur, Angestellte, 2 Soldaten.... Die andere Hälfte kam, wie ich, direkt von der Schule, manche mit, manche ohne Abschluss. Einige waren helle, aufgeweckt, andere etwas langsam, einfältig. Sie forderten geradezu heraus, verarscht zu werden. So wie Klaus. Franz, unser Oberwitzbold, hatte einen Regenwurm gefunden. Er war aus Ostdeutschland. Und da es dort an manchem mangele, hätte man den Regenwurm zu einer Spezialität entwickelt. Frikadellen würden daraus hergestellt. Sehr bekömmlich und nahrhaft, sollte man ihn mal der Köchin vorschlagen, vielleicht um die Muschelsuppe zu verbessern!

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