Kirche halb und halb. Cristina Fabry
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Was außerdem nicht mehr geht: Nachdenken. Langweilig wie ein alter Film mit starrer Kameraeinstellung, praktisch ohne Schnitte. Gefangen im eigenen Kopfkino, in dem die ganze Zeit Arthouse-Filme laufen, die man nicht versteht. Das macht nervös, unzufrieden, zieht so runter. Nein. Action ist angesagt. Machen machen machen. Kurze Instant-Info und dann reden reden reden. Oder posten. Hauptsache: raushauen. Eine Meinung haben. Einen unerschütterlichen Standpunkt. Darauf kommt es an.
Das Hamsterrad rast auf eine Feuersbrunst zu. Es wird immer heißer und alle wissen Bescheid.
„Das ist, weil wir alle so in Action sind.“
„Das ist manchmal einfach so.“
„Das kommt von den Karierten.“
Die Karierten. Endlich haben wir einen Schuldigen gefunden. Wenn wir die Karierten rauskicken, ist es nicht mehr so heiß. So nach und nach sehen immer mehr von uns das ein. Die es nicht einsehen wollen, kicken wir auch raus. Dann wird es noch kühler.
Läuft doch.
Ja, läuft.
Keine Gnade
Regina wollte eigentlich zu Hause bleiben. In der Frühschwangerschaft musste sie sich schonen, zu groß war das Risiko einer Fehlgeburt. Aber Vater hatte gemeint, sie müsse sich mal wieder im Gottesdienst blicken lassen. In der Gemeinde munkele man schon über sie.
Regina liebte die Gemeinschaft, den geschützten Raum, die emotionale Sicherheit, die die Gemeinde ihr bot. Sie glaubte aber nicht daran, dass eine Versammlung zum Gebet einem Virus die Stirn bieten konnte. Vielleicht verbesserte es die Immunabwehr und half einem, schwere Prüfungen zu bestehen, aber den naiven Glauben an einen göttlichen Automaten, der seinen Gläubigen alles gibt, was sie brauchen, hatte sie schon in der Pubertät aufgegeben. Schon blöd, dass alle ohne Mund-Nasen-Schutz gingen, keine Abstände einhielten und aus voller Kehle sangen. Vater hatte bereits angemerkt, dass man nicht so sorglos sein könne. Aber sich über Monate entziehen? Das sei auch keine Lösung.
Regina seufzte, strich sanft über den noch flachen Bauch und fasste einen Entschluss: Sie würde sich mit einer Maske schützen und auf Abstand ganz hinten sitzen. Das war sie ihrem Kind schuldig. Das würden alle verstehen.
Er hatte sich gerade mit Gockel getroffen. Der war auch schon voll auf Schaum. Letzten Monat war Gockels Vater gestorben, elend verreckt, erstickt an Covid 19. Gockels Vater hatte neben den Betbrüdern in der Wurstfabrik geschuftet. Die hatten das eingeschleppt. Er hatte nicht den Hauch einer Chance gehabt. Und Maik war jetzt auch bereit, endlich zu handeln. Er wollte sich mal wieder unbehelligt mit seinen Kumpels im Park treffen und nicht heimlich, mit gedrosselter Alk-Zufuhr, damit man nicht die Aufmerksamkeit der falschen Leute auf sich zog. Könnte alles viel unbeschwerter sein, wenn nur dieses Scheiß Christenpack von den Freikirchen nicht dauernd die Zahlen nach oben treiben würde. Die waren schlimmer als die Taliban und der IS zusammen.
Als die Lunte gelegt und die Fluchtwege verbarrikadiert waren, zögerte Maik noch einen Augenblick. Der innere Zwerg der Empathie wollte ihn zurückhalten. Man konnte doch nicht einfach Menschen verbrennen. Die waren doch sicher nicht allesamt gefährliche Idioten. Maik schlug den Zwerg zu Brei. Er hatte sich entschieden. Sein Sturmfeuerzeug setzte die Kettenreaktion in Gang.
Regina wurde auf einmal sehr warm. Es war so stickig in der Kirche. Oder lag das an der Maske? Aber die trug sie beim Einkaufen doch auch und hatte sich längst daran gewöhnt. Dann roch sie es.
„Feuer!“, schrie sie. Erst hörte sie ein Gemurmel, dann aufgeregtes Rufen, dann Schreie der Todesangst. Alle rasten auf die Ausgänge zu, rannten sich gegenseitig über den Haufen, suchten nach Rettung. Sie musste ihr Kind schützen und mit dem letzten funktionierenden Rest ihres Verstandes suchte sie ihren Ausweg dort, wo niemand sonst es probierte: das kleine Fenster im Toilettenraum. Sie konnte kaum noch atmen. Der Rauch war undurchdringlich. Sie hatte es bis zum Griff geschafft, aber das Fenster ließ sich nicht öffnen. Irgendetwas blockierte den Mechanismus. Mit letzter Kraft griff sie nach einem Gegenstand, einem metallenen Schwingdeckel-Mülleimer. Sie schlug damit so lange verzweifelt gegen die Scheibe bis sie krachend zerbrach. Ein Windstoß fuhr hinein. Ein Moment der Erleichterung breitete sich in ihr aus, aber der dauerte nicht lange. Das Feuer bekam durch das geöffnete Fenster nur neue Nahrung. Ein letztes Mal öffnete Regina den Mund zu einem Schrei, dann sank sie entseelt auf die Kacheln.
Als Maik die Schreie hörte, bäumte der innere Zwerg der Empathie sich ein letztes Mal auf und merkte an, dass sich das irgendwie falsch anfühlte. Maik ertränkte den Zwerg endgültig mit einem kräftigen Schluck Wodka. Gnade war etwas für Mittelmäßige. Er hatte seinen Platz gefunden.
Maskuzid
Als Corona zu Ende war
und zumindest dies Virus besiegt,
bürstete sie ihr goldblondes Haar,
machte sich fein für ne Nacht an der Bar
voll Zuversicht und außerdem schwer verliebt.
Sie wartete lange, mit Engelsgeduld,
trank erst Prosecco, dann Cocktails, dann Schnaps,
gab der Dummheit des Liebsten die Schuld,
war auch vom Schnaps schon ganz eingelullt
und hielt Ausschau nach adäquatem Ersatz.
Sie saß auf dem Hocker wie ein Bäumchen im Wind,
ein trauriges Bild, kein Mann sah sie an.
Unsichtbar ihr Liebreiz, schändlich verschmäht.
Für Make-up-Korrekturen war es auch längst zu spät.
Sie wurd‘ offensiv, doch kein Mann ließ sie ran.
„Warum bleiben sogar die mit Mittelmaß hart?
Haben die nur Augen für Fotoshop-Puppen?
Wofür habe ich mich zwei Jahre aufgespart?
Erduldet gebetet, gehofft und geharrt?“
Sie kaufte sich wütend ne Packung voll Fluppen.
Doch der Ansatz war falsch, das merkte sie gleich.
Die tötet sich selbst, die zu viel pafft.
Bisher war sie viel zu sanft, viel zu weich,
so ein Blindgänger taugte am besten als Leich‘
Zurückweisung blieb nicht mehr ungestraft.
Von nun an sprach täglich sie Männer an.
Das Küchenmesser aus Edelstahl
versteckt unterm Mantel, und biss er nicht an,
wurde