VIRUS – Im Fadenkreuz. Lars Hermanns

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VIRUS – Im Fadenkreuz - Lars Hermanns

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Teil der Arbeit: Sie packte Jan vorsichtig, hob den Oberkörper an, griff seitlich schräg von hinten unter seinen Achseln durch und ergriff vor dem Brustkorb seine Unterarme, um den schweren Körper unbeschadet in ihr Schlafzimmer zu ziehen. In diesem Moment bedauerte sie, dass Jan so ein anständiger Kerl war. Ein Aufreißer und Draufgänger, der jetzt bereits mit ihr im Bett gelegen hätte, wäre ihr in diesem Moment deutlich lieber gewesen.

      Nach wenigen Momenten hatte sie es jedoch geschafft. Sie hievte den Körper auf das Bett, drehte ihn entsprechend zurecht und vergaß auch nicht das wichtigste Detail: Sie zog noch einmal ihren Lippenstift nach und beugte sich schließlich über seine Lenden, um eindeutige und unmissverständliche Spuren von Leidenschaft zu hinterlassen. Und sie war heilfroh, dass er sehr gepflegt war und auf regelmäßiges Duschen zu stehen schien. Danach deckte sie ihn vorsichtig mit dem Satinlaken zu und ging zurück ins Wohnzimmer.

      Aus der Jeans förderte sie sein Portemonnaie hervor, daraus seinen Führerschein, seine Kreditkarte und seinen Personalausweis, die sie allesamt mit ihrem Smartphone fotografierte und direkt an Odysseus schickte. Sie wusste, dass er sofort mit den Nachforschungen über Jan beginnen würde. Dann würde es hoffentlich nicht mehr lange dauern, bis sie mehr erführe.

      Anschließend zog sie sich selbst aus und kroch zu Jan ins Bett. Sie küsste ihn ungestüm, um ihren Lippenstift noch in seinem Gesicht zu verteilen. Mit einem »Es tut mir leid« gab sie ihm noch einen Gute-Nacht-Kuss auf die Wange und legte sich schlafen. Sie hatte Jan Gamma-Hydroxybuttersäure in seinen Gin Tonic gegeben, eine Substanz, die in Deutschland seit 2002 verboten und unter dem Begriff GHB oder Liquid Ecstasy bekannt geworden war. Natascha wusste, dass die Wirkung der k.o.-Tropfen nach etwa einer Viertelstunde einsetzen und mindestens neunzig Minuten anhalten würde. Jetzt hoffte sie, dass Jan durchschlief und nicht in anderthalb Stunden wieder aufwachte. Falls doch, würde sie zu weiteren Mitteln greifen müssen.

      Samstag, 5. Oktober 2019

      Natascha hatte in dieser Nacht kaum ein Auge zugemacht. Odysseus hatte bereits nach weniger als einer Stunde auf ihre SMS geantwortet gehabt und ihr mitgeteilt, dass sie Jan Wagner mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln ›bei Laune‹ halten solle.

      Sie wusste sofort, was dies bedeutete.

      Sie war eine so genannte Venusfalle, die ihren Körper dazu einsetzen sollte, wenn es für ihren Auftrag vonnöten war. Bereits vor ihrer Einstellung hatte man sie zahlreichen Tests unterzogen, um sicherzustellen, dass sie auch wirklich alle Register zog, wenn es darum ging, einen Auftrag bis zum Ende durchzuziehen. Sie hatte gewusst, dass dies auch bedeuten konnte, Sex mit Fremden zu haben, die man normalerweise nicht einmal mit einer Kneifzange anfassen würde.

      Zwar war Jan Wagner nicht unbedingt ihr Traummann – dafür hatte er eindeutig zu viel Speck auf den Rippen und zu viele Lebensjahre auf dem Zeiger –, doch sie wusste, dass es sie auch schlimmer hätte treffen können. Sie wusste, dass männliche Kollegen sich bereits auf homoerotische Abenteuer hatten einlassen müssen, obwohl diese absolut heterosexuell waren. Doch Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps, hatten sie früher gewitzelt. Heute war sie plötzlich selbst in der Situation, jeden Moment vielleicht Dinge tun zu müssen, die sie anekelten.

      Wie würde sich Jan verhalten?

      War er weiterhin der zurückhaltende Mann, als den sie ihn kennengelernt hatte?

      Würde er vielleicht Dinge von ihr erwarten, die ihr absolut zuwider waren?

      Nein, sagte sie sich in Gedanken immer wieder, er wird weiterhin lieb und nett sein. Wir werden ein wenig vögeln, vermutlich werde ich ihm ab und zu einen blasen müssen – doch davon ist noch niemand gestorben. Hoffentlich ist es die ganze Sache wert …

      Als Jan sich am frühen Morgen langsam regte, kuschelte sie sich behutsam an ihn und tat so, als läge sie dort bereits die ganze Zeit über. Es dauert eine für sie gefühlte Ewigkeit, ehe Jan tatsächlich erwachte und sich langsam und behutsam bewegte.

      »Guten Morgen«, sagte er, völlig schlaftrunken. »Wo bin ich?« Erschrocken blickte er sich um.

      »Guten Morgen«, gurrte Natascha. »Weißt du nicht mehr? Du bist bei mir.«

      »Das sehe ich«, entgegnete Jan und blickte sich dabei um, wobei er registrierte, dass er nichts anhatte. »Doch wieso …?«

      Natascha lag noch immer in seinem rechten Arm und blickte ihn verführerisch an, als sie antwortete: »Nach deinem Gin Tonic wolltest du Wasser. Als ich wiederkam, hattest du mich in die Arme genommen und geküsst. Wir haben dann auf der Couch geschmust und sind schließlich ins Bett. Das musst du doch noch wissen …«

      Diese letzten Worte klangen in Jans Ohren ziemlich vorwurfsvoll. Verunsichert fragte er: »Haben wir…?«

      »Und wie!«, antwortete Natascha und küsste ihn auf die Brust, während ihre Hand unter die Satindecke glitt.

      »Bitte, nicht…«, antwortete Jan zu ihrer großen Überraschung.

      »Wieso nicht? Heute Nacht warst du da weniger zimperlich.«

      »Ich kann mich nicht erinnern«, sagte Jan und begab sich daran, aufzustehen. »Außerdem rieche ich vermutlich aus dem Mund wie eine Kuh aus dem Hintern.«

      »Charmant!«, gab Natascha zurück und rollte sich auf den Rücken, wobei sie gekonnt die Satindecke nach unten zog und ihre prallen Brüste entblößte.

      Jan spürte, wie ihn dieser Anblick erregte und das Blut in Richtung Lenden schoss. »Darf ich kurz duschen?«, fragte er und hoffte, sich möglichst schnell ins Bad verdrücken zu können.

      »Natürlich«, antwortete Natascha. »Vor der Wohnungstür rechts.«

      »Danke.«

      »Lass mich bitte nicht zu lange warten …«

      Jan eilte ins Badezimmer und schloss vorsorglich hinter sich ab.

      Scheiße! Wie konnte das nur passieren, fragte er sich und versuchte, sich an den vergangenen Abend zu erinnern. Das erwies sich allerdings als sehr schwierig, zumal es zwischen seinen Beinen extrem pochte und er schier zu platzen drohte. Er stellte sich unter die Dusche und genoss es ausnahmsweise, dass das Wasser zunächst kalt herausströmte. Das linderte seine Erregung und half ihm, einen klaren Gedanken zu fassen. Als das Wasser schließlich endlich eine angenehme Temperatur erreichte, versuchte er, sich an die vergangene Nacht zu erinnern.

      Sie waren beim Griechen gewesen, hatten gegessen und sich ein wenig über die griechische Mythologie ausgelassen, wobei sie schließlich bei entsprechenden Spielfilmen gelandet waren. Natascha hatte ihm erzählt, dass sie auf Dwayne Johnson stand.

      Dann hatte er sie nach Hause gebracht, hatte sich in ihrem Wohnzimmer umgesehen, während sie in der Küche Drinks gemixt hatte – einen Gin Tonic für ihn, einen Wodka Martini für sich selbst. Sie hatten sich unterhalten, und er erinnerte sich, dass er ihr sogar von Steffi und ihrem Tod vor drei Jahren erzählt hatte. Doch was war dann geschehen? Er konnte sich einfach nicht mehr erinnern, als hätte jemand diesen Teil seiner Festplatte gelöscht. Ein Filmriss, und das nach bloß einem Glas Gin Tonic?

      Jan wusste nicht mehr ein noch aus und schüttelte den Kopf. Mit dem rechten Zeigefinger schrubbte er kurz über seine Zähne und gurgelte mit Wasser, um den schalen Geschmack im Mund loszuwerden, der mit Sicherheit nicht allzu angenehm roch. Für ihn war es stets ein Rätsel, wie die Leute in Filmen und Serien direkt nach

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