Was und wo ist Heimat. Helmut Lauschke

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Was und wo ist Heimat - Helmut Lauschke

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Leben in einem Stück.

      Aus den Höhen des Fühlens und den noch höheren Stufen des Sehnens fahren die Züge der Hoffnung Tag und Nacht mit den Kräften des Dehnens, denn das Leben hat die Vision mit dem Einfall zur Geborgenheit des Lehnens aus dem Gewölbe des Alltags hoch zum Denkansatz geistiger Erhabenheit.

      Der Geist wölbt sich im absoluten Sein, das unendlich ist, wie gern möchten Hände der Arbeit ihn fassen und schaun. Es klopft das Herz, und der Gedanke rennt, als wär er im Wahn, im Spalt der Erwartung fixiert das Auge den alten angelegten Kahn.

      Vor dem Lagertor

      Tarek. Bist du’s, Sirna, in der späten Dämmerung? Meine Augen tun sich schwer, dich zu erkennen. Doch wenn du es bist, fällt mir ein Stein vom Herzen, dass du lebend den weiten Weg geschafft hast.

      Sirna. Ja, ich bin’s und habe dem jungen Mann zu danken, der den kleinen Hasan auf die Schulter nahm und hierher trug.

      Tarek. Wo ist der Mann, führe mich zu ihm, dass auch ich ihm danke und meinen Obolus entrichte.

      Sirna. Er gab mir Hasan an die Hand und eine Flasche Wasser, lehnte jegliche Bezahlung ab, grüßte freundlich und verschwand.

      Tarek. Mein Kind, denkst du nicht, dass er im Lager ist, um die Nacht auch hier zu verbringen? Er kann unmöglich in die Nacht hinein verschwunden sein.

      Sirna. Vater, ich weiß es nicht, doch was ich sah, war seine Eile, als ob er anderen Menschen folgte, die ihm auch am Herzen lagen.

      Tarek. Ich begreife es als ein Wunder, dass du mit Hasan den weiten Weg geschafft hast, der hart und steinig über die langgezogene Hügelkette geht. Und dieses Wunder ist mir unbegreiflich, denn viele haben auf dem Weg ihr Leben verloren.

      Sirna. Ohne Wunder können wir die Tage nicht überleben.

      Tarek. Wie meinst du das? Ich verstehe, dass es neben den großen Wundern die vielen kleinen Wunder gibt, die alltäglich sind und uns das Tragen der schweren Bürde leichter und die Stunden der Entbehrung erträglicher machen.

      Sirna. Ich gebe dir recht, dass bei dem Mangel an Wasser es an das große Wunder grenzt, dass bei der grimmigen Trockenheit in den Kehlen uns der Atem erhalten geblieben ist.

      Tarek. Kann es nicht sein, dass es schon das große Wunder ist, wenn wir die vielen kleinen Wunder nicht mehr wahrnehmen? Denn würden wir jedes kleine Wunder aufmerksam registrieren, der Mensch würde bescheidener werden und durch die Bescheidenheit näher an die Wahrheit herankommen und ihn dadurch reifer machen, was ihn letztendlich an die Grenze zwischen Zeit und Zeitlosigkeit in seinem Leben führt. Das ist es, was ihn die Erfüllung erleben lässt und ihn am Ende glücklich macht.

      Sirna. Doch wo sind die Menschen der Bescheidenheit mit den helfenden Händen, wenn man sie braucht? Auf dem steinigen Weg hierher waren es vielleicht zwei wie der eine, der Hasan auf die Schultern setzte.

      Tarek. Bescheidenheit ist eine hohe Tugend, die zu erlangen nicht jedem gegeben ist. Denn um bescheiden zu sein, bedarf es der Bildung, die doch über das gewöhnliche Maß hinausgeht. Selbst Menschen meines Alters sind nur wenige, die mit dieser Tugend dem Wohle der Menschen dienen. Aber die Zeiten nehmen an Gewalt und Härte zu, dass sie die tugendhafte Milde nicht mehr wahrnehmen.

      Sirna. So kommt selbst die Bescheidenheit dem Wunder näher.

      Tarek. Du kannst auch sagen, sie kommt dem Wunder gleich.

      Sirna. Und dieses Wunder ist kein kleines mehr.

      Tarek. Dass zu erfahren schon ein großes Wunder ist. Darin, ich meine in dem Wunderbaren, haben sich die Zeiten zum Nachteil der Menschen verändert. Die Armut, die es auch früher gab, hat sich auf die Seelen ausgedehnt und sich ihrer bemächtigt, dass die Herzen hart, so steinhart geworden sind.

      Sirna. So behüte mich Gott, er ist der Menschen Schöpfer, dass mein Herz die Milde weder verachtet noch verwirft und meine Hände helfende Hände für Menschen sind, die der Hilfe zum Leben dringend bedürfen.

      Tarek. Mein Kind, du hattest schon immer ein gutes Herz, wofür dir die Menschen dankten und weiter danken werden.

      Yasin. Welch ein Zufall, welch ein Tag, dass ich dich hier wiedertreffe, den guten Lehrer der großen Schule, aus der die guten Schüler kommen und als Ärzte und Anwälte den Menschen dienen.

      Tarek. Ja, es ist der Zufall, denn lange habe ich dich nicht gesehen und habe mir Sorgen um dich gemacht.

      Yasin. Sorgen solltest du dir meinetwegen nicht machen, das Leben hat mich weise bis hierher geführt.

      Tarek. Du meinst, weise, weil du am Leben bist und dir kein Geschoss durch Arm oder Bein gejagt wurde. Auch sind dir die Wangen nicht eingefallen wie den vielen, die sich auf den Weg gemacht haben.

      Yasin. Es ist der Weg in die Ungewissheit, vor der sich nicht nur die Menschen fürchten, sondern auch die Tiere, die uns tragen und begleiten, denn auch sie dürsten nach dem klaren Wasser.

      Tarek. Doch die Esel sind an größere Gewichte gewohnt als an die Säcke von Kleidern und den Mais, die sie nun auf dem Weg in die Ungewissheit tragen.

      Yasin. Und wir uns dabei fragen, ob es Sinn hat mit den Kleidern, wenn wir doch nicht wissen, ob wir sie noch tragen werden.

      Tarek. Wenn wir sie nicht tragen, dann werden es die andern tun und das mit nicht geringerem Stolz. Denn teure Kleidung steht auch armen Menschen gut, die sich solche Stücke bislang nicht leisten konnten.

      Yasin. Was die Zeit uns bringt, es ist das Mehr an Gleichheit, wir haben Haus und Gut verloren, was unsere Väter und Vorväter erarbeitet und geschaffen haben. Wir sind besitzlose Bettler geworden und retten unsere Haut an Kopf und Händen.

      Tarek. Das Mehr an Gleichheit bezieht sich auf den Stand der Bettler.

      Yasin. Ja, auf jene mit dem letzten Hemd und den leeren Händen, denn in der Besitzlosigkeit gleichen sich die Menschen am meisten und das ganz ohne Neid.

      Tarek. Doch der Schmerz in der Besitzlosigkeit ist verschieden, die einst Wohlhabenden empfinden die besitzlose Gleichheit schmerzhafter als die, die schon vorher nur wenig oder nichts hatten.

      Yasin. Doch was denkst du von den Händen der Menschen?

      Tarek. Da geb ich dir recht, wo sich die großen Hände von den kleinen unterscheiden, was der Gleichheit widerspricht.

      Yasin. Und die Ungleichheit wird noch stärker, wenn die Hände sich zu Schalen formen und in Bettelmanier ausgestreckt entgegengehalten werden, um gefüllt zu werden mit Dingen die nötig sind, wenn es den Hunger und Durst betrifft.

      Tarek. Da kleine Menschen auch große Hände und große Menschen kleine Hände haben können, treten Ungleichheiten bei der Verteilung auf, die als

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