Kreuzweg zu anderen Ufern. Wolfgang Bendick

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Kreuzweg zu anderen Ufern - Wolfgang Bendick Zu Wasser und zu Lande

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vorgesehen war.

      Er nahm hinter einem breiten Schreibtisch Platz und wies auf einen Stuhl davor. Ich bemerkte, dass von mir immer noch ein leichter Benzingeruch ausging und versuchte meine Fingerspitzen in den Händen zu verstecken, denn trotz der Seife waren diese schwarz geblieben. In den Toiletten hatte ich außer der Klobürste keine andere gefunden. Und diese als Nagelbürste zu benützen, war mir doch etwas zu abwegig erschienen.

      Das Frage- und Antwortspiel zwischen uns zog sich eine Weile hin. Es erinnerte mich etwas an Katz- und Maus. Er war der Kater und eindeutig in der beherrschenden Position. Irgendwie wollte er mein religiöses Leben ergründen, sagen wir mal, die Tiefen meiner Seele sondieren. Einer höheren kirchlichen Persönlichkeit als einem Pfarrer hatte ich mich in meinem ganzen Leben noch nicht genähert, kam es mir in den Sinn, oder, halt doch, bei der Firmung hatte mir damals ein ‚Weihbischof‘ die Salbung und den Backenstreich gegeben.

      Er erklärte mir, dass ich schriftlich ein offizielles Aufnahmegesuch stellen müsste, mit Begründungen und so weiter. „Warten sie, ich werde ihnen ein Muster ausstellen, welches sie dann abschreiben und an der entsprechenden Stelle einreichen müssen“. Und er schrieb mir mit seiner etwas zittrigen Hand, durch deren Haut ich meinte die einzelnen Knochen sehen zu können, in der alten deutschen Schrift, welche ich zum Glück damals in der Volksschule noch gelernt hatte, folgendes auf ein Blatt Papier: „An den hochwürdigen Herrn Prälaten Vil, Erzbischöfliches Ordinariat des Bistums Augsburg, Domstraße. „Hiermit bitte ich, ... , demütig um Aufnahme in das Seminar für Spätberufene St. Matthias zwecks Erlangung der Hochschulreife und des späteren Studiums der Theologie“. Die Schulzeit, erklärte er mir noch, dauere 6 Jahre. Begabte Studenten hätten aber die Möglichkeit, Klassen zu überspringen, und die Zeit etwas zu verkürzen.

      Anschließend wurde einer der älteren Studenten damit beauftragt, mir das Seminargebäude zu zeigen und die Schule, etwas abseits davon gelegen, aber durch einen auf der Südseite mit großen Fenstern versehenen Gang mit ersterem verbunden. Wie ich dabei erfuhr, waren die Hauptgebäude während des letzten Krieges eine Munitionsfabrik gewesen und anschließend in das ‚Lager Föhrenwald‘ umgewandelt worden, um Kriegs-Flüchtlinge, hauptsächlich Überlebende aus den KZ und aus dem Osten, aufzunehmen. Erst in späteren Jahren hatte das Bistum München das Gelände erworben, eine der Hallen in eine Kirche umgewandelt und die anderen in Seminar und Schule. In den Klassenzimmern (nachmittags war kein Unterricht, sondern Studierzeit) hing ein Geruch wie in jeder Schule, nach Kreide und sich langweilenden Schülern. Im Foyer, über eine ganze Wand verteilt, prangte ein Fresko, hauptsächlich in Gelbtönen gehalten, welches dem französischen Jesuiten, Theologen und Philosophen Pierre Teilhard de Chardin gewidmet war, von dem der Direktor des Seminars ein Verehrer war. Doch mir besagte der Name nichts. Das Gemälde sollte die Evolution des Universums seit seiner Entstehung bis hin zu seinem Endzustand darstellen, von der reinen Materie über den Menschen bis hin zum universellen Bewusstsein.

      Die Schüler der unteren Klassen waren in Schlafsälen mit 7 Betten untergebracht, daneben befand sich ein Studierzimmer mit 7 Schreibtischen. Hier roch es nach Kaffee und nebenan nach Socken. Um einen Schreibtisch herum hatten vier Schüler ihre Stühle zusammengerückt und tranken Kaffee. Nebenan auf den Betten lagen zwei andere und lasen ein Buch. Kreuze an den Wänden und Marienbilder zeugten davon, dass es sich um ein katholisches Institut handelte, ein paar bunte Poster dazwischen, dass hier junge Menschen lebten. Je weiter man in den Klassen aufsteige, umso weniger Personen wohnten zusammen in einem Zimmer, erklärte man mir. Irgendwie kam mir mein letztes Schiff in Erinnerung. Dort hatten wir Einzelkabinen gehabt, weil es in Schweden gebaut worden war. Auf deutschen Schiffen, weniger fortschrittlich, gab es nur Zwei-Bett-Kabinen. Sechs Betten und mehr, das war damals in der Segelschiffszeit gewesen, als man noch in der Back (Vorschiff) wohnte. Na ja, ich würde schon irgendwie zurechtkommen. Alles Gewohnheitssache…

      Die Toiletten befanden sich im Flur, die Duschen und Bäder irgendwo im Keller. Mit einem Besuch der Kirche, einem lichten und klarem Raum (ich versuchte die Kniebeugen und Kreuzzeichen im richtigen Augenblick und am richtigen Ort zu machen, indem ich meinen Führer nachmachte), endete der Rundgang.

      Wieder zu Hause, machte ich mich an das Schreiben des Briefes, natürlich in normaler Schrift, der lateinischen, wie man sie auch nannte. Sollte der Prälat sehen, wie er zurechtkam! Meistens war ich nur nachmittags zu Hause, bei meiner Mutter, die sich so freute, dass ich mal da war. Meinem Vater ging meine Anwesenheit auf den Geist. „Der soll was arbeiten wie alle normalen Menschen, und nicht daheim rumhängen!“ Also schlief ich meistens bei Freunden oder früheren Schulkameraden, wo sturmfreie Bude war oder tolerantere Väter… Deren letztes Schuljahr, die Abiturklasse hatte gerade angefangen. Mit ihnen ging ich manchmal in den Unterricht und setzte mich auf den Platz eines abwesenden Schülers. Das war einfach, da manche Lehrer die Namen der Schüler noch nicht kannten. Manchmal malte ich ihnen Bilder für den Zeichenunterricht oder schrieb ihnen Aufsätze, was mir wahnsinnigen Spaß machte, hatte ich doch noch vor drei Jahren selber unter der Willkür einiger Lehrer gelitten. Im Erdkunde-Unterricht durfte ich sogar offiziell meine bis dahin gedrehten Filme von Afrika zeigen.

      Natürlich ging ich auch in die Kirche. Ich holte das nach, was ich auf dem Meer versäumt hatte. Der Pfarrer schien froh zu sein über die Rückkehr des verlorenen Sohnes.

      TEIL 1 - DAS DORF

      DAS DORF

      DIE FREUNDE

      Doch gehen wir erst mal ein paar Jahre zurück in das Dorf meiner Jugendzeit. Unter meinen Freunden befanden sich einige „Weihwasserfrösche“, wenn man so sagen kann, wohnten wir doch in Bayern. Hier war jeder mehr oder weniger katholisch, außer den wenigen Protestanten. Aber diese gingen auch in die Kirche, ein eher schlichter Versammlungsraum am anderen Ende des Dorfes gelegen. Und diese hatten auch ihren eigenen Friedhof, im Nachbarort gelegen, denn der katholische war ihnen nicht erlaubt. Ging ein Katholischer in seiner Verzweiflung mal in die Iller oder nahm den Strick, oder starb ein Nicht-Gläubiger, so wurde dieser auf dem evangelischen Friedhof beigesetzt, ebenso diejenigen, die eingeäschert wurden. Dort war man toleranter, was den letzten Ruheplatz auf Erden betraf, er war sogar für Heiden geöffnet! Sicher war man hier auch großzügiger, was den Zugang zum Himmel betraf… Die Verbrennung der Verstorbenen hatte die katholische Kirche streng verboten, da es in ihren Augen eine Leugnung der Auferstehung von den Toten mit Fleisch und Blut war.

      Wenn wir Jugendlichen uns trafen waren meistens Katholische und Evangelische gemischt. Standen irgendwo ein paar zusammen, so gesellte man sich dazu oder ging zu einem anderen Platz oder Wohnblock, wo man sicher war, Gleichaltrige zu treffen oder klingelte einen Freund heraus. Es gab immer etwas zu besprechen oder einfach nur rumzualbern. Wen von uns jungen Leuten kümmerte schon die Religion? Zumindest hängte man sie nicht an die große Glocke. Wir hatten andere Themen: Mädchen, Mode, Autos, Radtouren, Schwarzfischen, Unsinn machen, Schlagersänger… Eigentlich waren hauptsächlich Buben beieinander. Zumindest abends. Mit den Mädchen hatten wir es noch nicht so. Irgendwie trauten wir uns nicht ran, waren zu schüchtern. Uns nervte, wenn sie zusammenstanden, auf uns zeigten und untereinander gickerten wie Hühner. Wir streckten ihnen die Zunge raus oder drehten ihnen den Rücken zu.

      Anfangs hatten mein Bruder und ich es schwer, die anderen zu verstehen, da wir von Norddeutschland kamen und fast alle hier Dialekt sprachen. Natürlich verarschte man uns deshalb und nannte uns die ‚Preußen‘ oder gar die ‚Saupreußen‘. Nach einer Weile störte uns das nicht mehr und sie nannten uns mit dem Vornamen oder dem Familiennamen mit der Vorsilbe ‚klein‘ oder ‚groß‘ davor. Was uns aber sehr überraschte, fast störte, waren die Flüche, die jeder zur Bekräftigung seiner Worte gebrauchte. Wir im Norden benutzten auch Kraftausdrücke. „Scheiße“ und „verdammt, beschissen, verflixt, saudumm, Mist, Kacke, Arschloch…“ Aber in Bayern glichen die Flüche eher einer religiösen Litanei. Die Evangelischen

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