Kreuzweg zu anderen Ufern. Wolfgang Bendick

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Kreuzweg zu anderen Ufern - Wolfgang Bendick Zu Wasser und zu Lande

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wie dicke Luft, klebte ich mit Tesafilm einen roten Zettel außen an mein Zimmerfenster (Manfred wohnte ungefähr 8O Meter schräg hinter uns. War die Luft rein, pappte ich einen grünen Zettel auf die Scheibe. Ebenso tat er, wenn er mich treffen wollte.

      Doch war das alles irgendwie zu umständlich. Denn wir hingen ja nicht immer nur im Fenster. Die Nachmittage strolchten wir durch die Gegend und ‚kundschafteten aus‘. Im Micky-Maus-Heft hatten wir gesehen, wie die drei kleinen Schweinchen mit dem kleinen bösen Wolf mittels zweier Dosen und einer dazwischen gespannten Schnur telefoniert hatten. Wir besorgten uns einen langen Bindfaden, durchlöcherten die Böden zweier Konservendosen (das alles in einem Moment, wo meine Mutter voll in ihrem Laden beschäftigt war), verknoteten die Fäden und versuchten unsere Nachrichten zu übermitteln. Doch klappte es nicht richtig. Nur wenn wir hineinschrien, hörten wir uns. Aber Schreien mussten wir ja vermeiden, damit uns niemand auf die Schliche kam. Wahrscheinlich funktionierte unser System nicht, da die Schnur den Boden berührte. Die Entfernung war einfach zu groß und die Kordel zu schwer.

      Irgendwie hatte ich mal einen Telefonhörer eingehandelt, den wohl mal jemand in einer Telefonzelle hatte mitgehen lassen. Manfred besaß einen Kopfhörer, der sicherlich im Krieg in einem Panzer gedient hatte. In der Mittelschule hatte er im Physikunterricht gelernt, dass man mittels zweier Drähte zwischen zwei Kopfhörern kommunizieren kann, ganz ohne Strom und Verstärker. Wir probierten es aus. Und wirklich, es klappte auf kurze Entfernung! Also schmissen wir alle unsere Ersparnisse zusammen, verzichteten einen Monat auf Tabak und Kaugummi und holten beim Elektro-Maier 90 Meter isoliertes Kabel. Dieses band ich abends am Fensterladen-Halter an und entrollte es bis zu Manfreds Schlafzimmerfenster. Der bohrte ein Loch in den Fensterrahmen, zog die Litze hindurch und schloss seinen Kopfhörer an. Ich eilte zurück, schlich durch den Keller ins Haus, dann leise die Treppe hinauf. Mein Bruder hörte wie immer lautstark sein Transistorradio, er war also kein Hindernis. Ich nahm den Telefonhörer, drehte die Drähte zusammen und klopfte auf die Muschel, wie ich es mit Manfred ausgemacht hatte. Und prompt kam die Antwort, ein Klopfen seinerseits! Und dann hörte ich seine Stimme. „Wolfi, hörst du mich?“ „Klar doch! Ich höre dich als würdest du vor der Tür stehen!“ Ihr werdet mir glauben, dass wir stolzer waren als Edison und Bell zusammen!

      Unser Fähnchen-System diente von nun an, um anzuzeigen, dass man den anderen sprechen wollte. Auf dem Müllplatz hatten wir beim ‚Auskundschaften‘ zwei Haustür-Klingeln im Dreck gefunden, und, bevor der Wächter der Müllkippe sie fand, schnell unterm Hemd versteckt. Wenn wir nicht telefonierten, hängten wir sie an der Telefonleitung an. Ich brauchte also nur eine Flachbatterie anzuklemmen und beim Manfred läutete es. So hatten wir eine echte Telefonverbindung, noch bevor unsere Eltern einen Anschluss hatten. Später verlängerten wir die Leitung noch bis zum Nori, der drei Blöcke weiter wohnte. Was uns wie ein Wunder erschien, war, dass weder meine Eltern, noch mein Bruder oder die Hausmeister von Manfred und Norbert etwas mitbekommen haben. Jahrelang funktionierte unser System, wenn auch manchmal im Winter unter der Schneelast die Leitung abriss.

      Ja, Manfred war schon ein netter Kerl und guter Kumpel, aber, wie gesagt, ein ziemlicher Angeber. Immer eine tolle Frisur, geschniegelte Haare mit einer Welle vorne über der Stirn wie Peter Kraus, von dem gerade der Schlager ‚Wenn Teenager träumen‘ in der Hit-parade auf Nummer eins war. Eines Tages verweigerte ich das Haare-Schneiden durch meinen Vater, der uns, wie die Freunde spöttisch meinten, einen ‚Topfschnitt‘ verpasste, und ließ mir vom Frisör einen ‚Façon-Schnitt‘ machen, so wie Manfred einen hatte, mit Koteletten vor den Ohren. Mein Vater tobte: „Das ist rausgeschmissenes Geld, der hat ja gar nichts abgenommen, der Mrasek, das nächste Mal gehst du zum Kolb!“ Der Kolb, der Stotterer, wie wir ihn nannten, führte einen Monat später auf meine Anweisung auch einen Façon-Schnitt aus, nur mit ein paar Stufen drin, weil er eben, wie jeder Frisör, dauernd quatschte und seine Schere sich seiner Aussprache anpasste. Nur waren meine Haare nicht so pflegeleicht, wie die vom Manfred. Sie widersetzten sich und zeigten in alle Richtungen. Doch die Mutter hatte Abhilfe in ihrem Laden: Fliederduftendes Haaröl, mit dem ich jetzt jeden Morgen meinen Pelz einölte. Da glänzte meine Birne und manchmal lief das Zeug bis in den Kragen. Sie wenigstens stand auf meiner Seite, war sie doch, wie jede Mutter, stolz auf ihre Jungen!

      Manfred, der ein richtiges Taschengeld von den Eltern bekam, kaufte ein kleines Transistorradio, das er vorne auf dem Lenker seines Fahrrades befestigte. Da fühlte er sich wie in einem Auto, meinte er stolz. Wir beneideten ihn, reichte doch unser ‚Fuchzgerl‘ pro Monat gerade mal für ein paar Hubble-Bubble, so ein Kaugummi mit Balsam-Geschmack, oder, wenn wir zusammenschmissen, für ein Paket Krüll Tabak oder eine Halbe Bier.

      Wir trafen uns normalerweise an Stellen, wo wir alles im Auge hatten. Dort saßen wir auf einem Zaun und beobachteten. An versteckten Plätzen trafen wir uns nur, wenn wir Unsinn vorhatten oder rauchten oder einer ein Pornoheft dabeihatte. Kam ein Mädchen vorbei, so redeten wir ganz wichtigtuerisch und laut unter uns. War sie vorbei (meist wechselte sie früh genug auf die andere Straßenseite hinüber), dann pfiffen manche anerkennend und wir schauten ihr nach, Sie anzureden traute sich keiner. Nori pfiff am lautesten. Er konnte das sogar, ohne die Finger zu benutzen. Wir versuchten es auch. Mit den Fingern auf der Zunge kotzten wir schier, ohne Finger glichen unsere Versuche eher dem Zischen eines Wasserkessels.

      Ein Mädchen fiel uns besonders ins Auge. Lange schwarze, zu einem Zopf geflochtene Haare, eine tolle Silhouette. Sie wohnte in der Siedlung und war vor nicht langer Zeit mit ihrer Mutter in eines der neuen Reihenhäuser eingezogen. „Weiß jemand, wie die heißt?“, fragte Jürgen. Niemand wusste es, da sie nicht hier in die Schule gegangen war. „Das ist eine Klumse!“, meinte Nori. „Wieso Klumse?“, wollte ich wissen, „was ist denn das?“ „Na, die Möse, die Büchse, da wo die Fummel sitzt, das kleine Ding, was wie ein Miniaturpimmel aussieht. Ich hab´ da letztens ein Foto in einem der ‚Wichshefte‘ (Pornohefte) von meinem großen Bruder gesehen, schaut aus wie ne offene Muschel!“ „Kannst du das nicht mal besorgen? Würde ick gerne ooch mal sehen!“, meinte sein Cousin. „Nee, geht nich! Alleine schon, wenn der wüsste, dass ich seine Heftle entdeckt habe!“ „Dann nennen wir sie ‚Olgate‘, bis wir ihren richtigen Namen wissen!“, meinte Manne. Wir mussten unwillkürlich kichern. „Klingt ja wie Zahnpaste!“, bemerkte Günther. „Bestimmt riecht sie auch so beim Küssen! Schöne weiße Zähne hat sie ja!“ Also schauten wir ihr vorerst nur interessiert von ferne nach.

      Als wir mal zusammen eine Maß Bier beim Tischfußballspielen im Adler tranken, bemerkten wir, dass Olgates Mutter dort bediente. Sie war genauso knackig wie ihre Tochter, trotz des Altersunterschiedes. „Deshalb hat sie also keinen Vater!“, stellte jemand logisch fest. „Das muss wohl einer der Gäste gewesen sein. Aber wie ein Freudenmädchen schaut die wirklich nicht aus!“ Bis dann eines Tages Manfred uns strahlend mitteilte, dass sie Bärbel heißt. Und dass sie eine Weile zusammen gesprochen hatten. „Und worüber?“, wollte Günther wissen. „Na ja, nicht so wie wir untereinander reden, sie ist doch ein Mädchen! Auf jeden Fall treffen wir uns morgen wieder, und zwar, ihr werdet´s nicht glauben, bei ihr zu Hause!“ „Du kohlst uns an!“ „Nein, echt wahr, sie sagte mir, ihre Mutter hat nichts dagegen, wenn sie einen Freund hat, und dass sie ihn mitbringen darf!“ Wir waren baff.

      Von jetzt an trafen Manfred und Bärbel sich alle paar Tage, manchmal hielt sie auch bei unserer Gruppe an, wenn Manne dabei war und wir quatschten miteinander. Einmal sah uns meine Mutter. Vielleicht kam sie vom Metzger oder sonst wo her. Sie warf mir einen solchen missachtenden Augenblitz zu, dass ich dachte: „Au weia, das steht noch was bevor!“ Abends dann kam das Gewitter: „Dass ich dich ja nicht mehr mit diesem Flittchen sehe! Ein uneheliches Kind, die Mutter bedient in der Kneipe! Aus der wird mal genau das Gleiche wie ihre Mutter! Das ist kein Umgang für dich! Wenn ich das nochmal sehe, sag ich´s dem Vati und dann kriegste was ab!“ Sollte ich ihr erklären, dass sie die Freundin vom Manfred ist? Und dass sie eine sehr aufgeschlossene Mutter hat? Quatsch! Welchem Kind ist es je gelungen, seinen Eltern etwas zu erklären! Da ist es noch einfacher, im Matheunterricht ein Problem in einen Dreisatz umzuwandeln und zu lösen!

      KIRCHGANG

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