Kreuzweg zu anderen Ufern. Wolfgang Bendick

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Kreuzweg zu anderen Ufern - Wolfgang Bendick Zu Wasser und zu Lande

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in Wolken schwebten. Die Orgel schmetterte zum Abschluss ein Lied, das alle kannten und unendlich viele Strophen hatte. Das konnte wirklich ergreifend sein, wenn die Orgel aus allen Registern dröhnte, unterstützt vom Gesang aus hunderten Kehlen, man wurde vom Strom der Menschen erfasst und schwebte schier hinaus. Man fühlte sich gestärkt für die Woche und in totalem Einklang mit dem lieben Gott.

      Bisweilen aber hängte der Pfarrer an die Messe noch Fürbitten an, die mit einem Ave-Maria und einem Vaterunser-Gebet verstärkt empor an Gottes Ohr dringen sollten. Oder eine Litanei, so ein Bittgebet, schier ohne Ende. Der Pfarrer rief die Namen der Heiligen auf, das Volk antwortete mit „Bitt‘ für uns!“ oder „Wir bitten dich, erhöre uns!“ Manchmal war das die Bitte um Regen für die Felder, die Hilfe für einen Kranken, oder dass die Juden endlich einsichtig werden und Jesus als den Messias anerkennen sollten, um endlich zum wahren Glauben zu finden. Oder während des Vietnamkrieges: Dass der Vietkong, diese gottlosen Kommunisten und mit ihnen der Antichrist endlich von den christlichen Heeren besiegt würden und ein für alle Mal Frieden auf Erden einkehren könne, wie Jesus, unser Herrgott es verheißen hatte…

      War einmal der Schlusssegen gesprochen, strömten alle hinaus, man diskutierte mit Freunden vor der Kirche oder begab sich in eines der nicht weit entfernten Gasthäuser zu einem Bier oder auf einen Schafskopf. Das konnte bis zum Mittagessen dauern oder für manche bis zum Abend oder bis in die Nacht. Das war nicht gerade heilsam für den Haussegen, der dann für den Rest der Woche schief hing…

      *

      Es kam dann die Zeit, wo wir jungen Kerle nicht mehr in die Kirche gingen. Gut, die Kirche war immer noch voll, es waren also nur wenige, die sie schwänzten. Mein Bruder zog es vor, bis Mittag im Bett zu bleiben; ich traf mich mit Freunden, wir machten eine Radtour oder strolchten durch die umliegenden Wiesen oder Wälder. Damals wetteiferten die Atommächte im Bauen und Zünden von immer stärkeren Bomben in der Erdatmosphäre. Das nannte man das ‚Gleichgewicht des Schreckens‘ oder ‚Kalter Krieg‘. Wir fragten uns, wie ein ‚Heißer Krieg‘ aussehen würde… Im Radio warnte man vor den radioaktiven Niederschlägen, die mit dem Regen zur Erde fielen. Es war Frühling. Überall blühten die Weidenkätzchen. Ihr gelber Pollen schwamm auf den Pfützen und lagerte sich am Rand der Schlaglöcher ab. Wir hielten das für die radioaktiven Niederschläge und fuhren jetzt lieber drum herum, anstatt wie früher mittendurch, um uns voll zu spritzen. Der Wahnsinn, man nannte ihn den ‚Overkill‘, ging so weit, dass die Supermächte so viele Atombomben produziert hatten, dass man hätte die Erde 60mal in ‚die Luft sprengen‘ können, bildlich ausgedrückt natürlich. Auf gut Deutsch hieße das, pulverisiert und als Sternschnuppen im Weltall verteilt. Für uns junge Leute war das eine schreckliche Vorstellung, vor allem, da die Generation unserer Eltern, die doch seit kurzem erst den totalen Krieg mit der fast völligen Zerstörung überlebt hatte, nun wieder Gleiches vorbereitete, aber um hunderttausendmal schlimmer. Gut, es ging diesmal darum, die gottlosen Kommunisten, also den Antichristen, im Zaum zu halten und, wenn es sein musste (oder wenn es möglich schien), zu vernichten. In den Augen mancher Christen eine gute Sache. Aber in diesem Fall würde es bestimmt keine Überlebenden mehr geben! Und dabei hatte Jesus doch gesagt: „Liebet eure Feinde, tut Gutes denen, die euch hassen“. Völkerversöhnung, das wäre doch ein Weg zum Frieden!

      Bald nahm ich nur noch an dem monatlichen Schulgottesdienst des Gymnasiums teil, da er gewissermaßen Unterricht war, wo jeder Klassenlehrer kontrollierte, wer da war. Es gab seit jüngerer Zeit auch die Möglichkeit, an einer am Samstagabend gehaltenen Messe teilzunehmen, damit man sonntags einen Ausflug machen konnte, ohne deshalb in den Stand der Todsünde zu fallen… Doch das war in der Stadt. Bei uns auf dem Land gab es das nicht. Der Pfarrer bezeichnete das als den Anfang des Zerfalls des Christentums, eine Sonntagsschändung. Unser Pfarrer herrschte wie ein Despot über seine Gemeinde. Und seinen lauten Worten ließ er oft genug eine Tat folgen, eine Kopfnuss, die es in sich hatte, oder eine Ohrfeige, eine Watsche, wie das in Bayern heißt, um seine aufmuckenden Lämmchen zum Gehorsam zu bringen. Von den Ministranten konnte das so mancher bestätigen… Er war von vielen gefürchtet, von ein paar wenigen aber echt verehrt. Er war der Vertreter eines strengen Gottes auf Erden, fühlte sich verantwortlich für das Seelenheil eines jeden.

      SÜNDE

      Es gab da Familien oder alleinstehende Frauen in der Gemeinde, deren Religiosität übertrieben war, süß und klebrig und bunt wie Zuckerwatte. Das hatten wir Kinder schnell erkannt und hielten Abstand von ihnen. Denn sie hinterbrachten alles dem Pfarrer und hielten ihn informiert über all das, was ihn eigentlich nichts anging. Doch gab es auch Familien, ebenfalls katholische, deren Kinder normal waren und mit uns an vielem Unsinn teilnahmen. Und bei diesen war die Tür offen für andere, nicht wie bei uns daheim, wo wir keine Freunde mitbringen durften. Es war ein reges Kommen und Gehen bei diesen, nicht nur, um die Kinderprogramme im Fernseher anzuschauen (Fernsehapparate gab es in unserer Siedlung nur drei), sondern auch bei sonntäglichen Ausflügen durfte man mitfahren. Und das war was ganz Besonderes. Denn wer hatte damals schon ein Auto? Man fuhr mit dem Bus, der Bahn, dem Rad, oder ging zu Fuß in die Arbeit und zum Einkaufen.

      Toni war einer der Buben aus so einer Familie. Er hatte mein Alter, machte aber eine Lehre als Anstreicher. Er sprach mich mal an, warum ich nicht mehr in die Messe ginge. Ich war etwas geniert. „Das interessiert mich nicht. Das ist doch alles nur scheinheiliges Getue. Schau doch mal an, wie die Leute sich nachher benehmen! In fast jedem Haus wird sonntags nur rumgebrüllt!“ „Die so sind, haben nichts von der Lehre Christi begriffen, sonst wären sie anders!“, meinte er. „Komm nächsten Sonntag mal mit, und du wirst sehen, wie schön ein Gottesdienst sein kann!“ Da er ein guter Freund von mir war (zwar etwas weichlich, da er nie schweinische Worte gebrauchte), machte ich mich am nächsten Sonntag fertig und ging mit ihm in die Kirche. Irgendwie tat mir das sogar gut. Endlich mal wieder was für das Heil meiner Seele getan! Auf jeden Fall nicht so langweilig wie den ganzen Vormittag im Bett zu liegen und eventuell etwas für meine ewige Verdammnis zu tun, indem ich mir einen runterholte. Oder die ganze Zeit unkeuschen Gedanken nachhing, weil ich mich mal nicht abreagiert hatte, da ich, wie es sich für einen jungen Christen gehört, versucht hatte rein zu bleiben. Unkeusches tun und auch daran zu denken waren bekanntlich Todsünden, von denen eine einzige schon reichte, um in die Hölle zu geraten.

      „Wie lange hast du schon nicht mehr gebeichtet?“, wollte mein neuer Freund ein anderes Mal wissen. „Das ist wohl schon ein paar Jahre her“, erwiderte ich. „Da hast du ja bestimmt eine Menge Sünden auf dich geladen!“, stellte er fest. „Weißt du, was ist eigentlich Sünde?“, sinnierte ich, „wenn ich nicht in die Kirche gehe oder wichse oder mir das Foto eines nackigen Mädchens anschaue, tu ich doch keinem weh. Das hat doch mit den wahren Sünden wie Mord oder Stehlen nichts zu tun!“ „Das ist aber trotzdem ein Verstoß gegen die zehn Gebote, die Gott dem Moses nach dem Auszug aus der Sklaverei in Ägypten auf dem Berge Sinai gegeben hat. Auch wenn das nur dich betrifft, tust du auf jeden Fall Jesus damit weh. Auch wegen deiner Sünden hat er am Kreuz leiden müssen und sterben!“ „Er ist aber wieder auferstanden, also sollte man das doch nicht so tragisch sehen!“, witzelte ich. „Durch seinen Tod hat er jedenfalls uns alle von der ewigen Verdammnis, die uns durch unsere Erbsünde bestimmt war, erlöst und uns den Himmel und die ewige Herrlichkeit zugänglich gemacht“, erwiderte er. „Weißt du, die zehn Gebote in der Bibel, das ist ja noch eine klare Sache“, warf ich ein, „aber die Erbsünde? Wenn ich den Beichtspiegel im Gebetbuch anschaue, dann dreht sich mir der Kopf! Da hat jemand ganz schön hineininterpretiert! Da ist ja schier alles Sünde was man tut! Vom Gezeugt werden bis hin zu etwas Leckeres essen!“, gab ich zurück.

      „Der Beichtspiegel ist die Auslegung der Kirche von den zehn Geboten, damit sie besser für uns verständlich sind. Die Kirchenväter und unser Heiliger Vater, der Papst, der ja der direkte Stellvertreter Gottes auf der Erde ist, haben das so ausgearbeitet. Du weißt ja, beim Heiligen Abendmahl hat Jesus den Petrus mit der Führung der Kirche beauftragt. Und die Päpste gehen in direkter Linie auf ihn zurück“. „Päpste sind auch nur Menschen und haben genug Scheiße gebaut

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