Der letzte Mohikaner. James Fenimore Cooper
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Heyward gab ihrem bittenden Blicke nach, stieß seinem Pferde die Sporen ein und war mit wenigen Sprüngen wieder an Koras Seite.
»Es freut mich, Sie zu treffen«, fuhr Alice fort, dem Fremden mit der Hand winkend, weiterzureiten. »Es wird mir ein besonderes Vergnügen sein, die Meinungen und Erfahrungen eines Meisters des Gesanges zu hören.«
»Es ist erfrischend für Geist und Leib, sich durch Singen von Psalmen zu erquicken«, erwiderte der Fremde. »Doch vier Stimmen sind erforderlich, um eine Melodie schön auszuführen. Die Stimme ist dem Menschen wie andere Talente zum Gebrauch gegeben.«
»So haben Sie denn Ihre Kunstversuche auf den heiligen Gesang beschränkt?«
»Ja, wie die Psalmen Davids jede andere Poesie weit übertreffen, so übertrifft auch die Psalmodie, die von den Gottesgelehrten und Weisen des Landes ihnen angepaßt worden ist, alle weltliche Musik.«
Während dieser Lobpreisung hatte der Fremde ein Buch aus seiner Tasche gezogen und eine in Eisen gefaßte Brille auf seine Nase gesetzt. Dann begann er mit vollen Tönen mehrere Strophen eines Psalmliedes abzusingen. Den Gesang begleitete der Fremde mit Bewegungen seiner rechten Hand.
Solche laute Unterbrechung der Waldesstille konnte gefährlich werden. Der Indianer murmelte einige Worte in gebrochenem Englisch zu Heyward, der den Fremden bat, seine musikalischen Versuche zu beenden. Nach dieser kurzen Unterbrechung ritt die Gesellschaft weiter. Der Zug war noch nicht lange vorüber, als sich die Zweige eines Gebüsches vorsichtig teilten und die dunkelbemalten Gesichtszüge eines Wilden sichtbar wurden, der frohlockend den Reitern nachblickte.
3. Kapitel
An jenem Tage saßen zwei Männer an dem Ufer eines kleinen, aber reißenden Stromes, der ungefähr eine Tagesreise von dem Lager Webbs entfernt war. Das weite Laubdach des Waldes überwölbte den Rand des Flusses. Die Strahlen der Sonne wurden bereits schwächer und die starke Hitze des Tages begann sich zu mildern. Immer noch herrschte in dieser Einsamkeit jene Stille, die die drückende Schwüle einer amerikanischen Landschaft im Hochsommer kennzeichnet. Sie wurde nur von den leisen Stimmen der Männer, dem müden Klopfen eines Waldspechtes, dem Schrei eines bunten Hähers oder dem dumpfen Rauschen eines fernen Wasserfalles unterbrochen.
Diese schwachen Laute waren jedoch den Waldbewohnern vertraut, so daß sie sich dadurch nicht von ihrer Unterhaltung ablenken ließen. Einer der Männer war sofort durch die rote Hautfarbe als Indianer zu erkennen, der andere verriet – trotz seines sonnengebräunten Gesichtes – den Europäer. Der Indianer saß auf dem Rande eines bemoosten Baumstammes. Sein Gesicht und sein fast nackter Körper waren mit weißen und schwarzen Farben bemalt. Sein kahlgeschorener Kopf trug nur die Skalplocke und auf die linke Schulter hing eine einzige Adlerfeder herab. Ein Tomahawk und ein Skalpiermesser staken in seinem Gürtel, während eine Büchse über seinen bloßen, sehnigen Knien lag. Die gewölbte Brust, die wohlgeformten Glieder und die ernste Haltung dieses Kriegers ließen erkennen, daß er sich in der Vollkraft seines Lebens befand.
Die wettergebräunte Gestalt des Weißen zeigte, daß er seit seiner frühesten Jugend gelernt hatte, Mühseligkeiten und Anstrengungen zu ertragen. Die Kleidung bestand aus einem grünen Jagdhemd und einer Sommermütze von geschorenem Fell. Auch er trug ein Messer in einem Wampumgürtel. Seine Mokassins waren nach der Art der Eingeborenen verziert. Eine Jagdtasche und ein Pulverhorn vollendeten seinen Anzug. Eine lange Büchse lehnte an einem, Baum. Das Auge des Jägers oder Kundschafters war lebhaft, scharf und unruhig, als ob es irgendein Jagdwild suche oder um die plötzliche Annäherung eines Feindes besorgt sei. Sein Gesicht machte einen offenen und ehrlichen Eindruck.
»Selbst Eure Überlieferungen sprechen für mich, Chingachgook«, sagte der Weiße in der Sprache der Delawaren. »Eure Väter kamen von der untergehenden Sonne her, kämpften mit dem Volke des Landes und nahmen es ihnen weg. Meine Väter kamen vom roten Morgenhimmel über den Salzsee und taten ganz nach dem Beispiel, das die Eurigen ihnen gegeben hatten. So laß denn Gott unsere Sache entscheiden und darüber keine Worte mehr verlieren.«
»Meine Väter fochten mit dem nackten, roten Mann«, versetzte ernst der Indianer. »Es ist doch ein Unterschied, Falkenauge, zwischen einem gespitzten Pfeil des Kriegers und der bleiernen Kugel, womit ihr tötet?«
»Ein Indianer hat Verstand, auch wenn ihm die Natur eine rote Haut gegeben hat«, sprach der Weiße kopfschüttelnd. »Ich bin kein Gelehrter. Wenn ich aber nach dem urteile, was ich von den Burschen bei meinen vielen Jagden auf Wild gesehen habe, dann meine ich, daß eine Büchse in den Händen Eurer Vorfahren nicht so gefährlich gewesen wäre wie ein Bogen aus Nußbaumholz und ein Pfeil in der Hand eines Indianers.«
Eine kurze Stille folgte. Der Indianer saß stumm da und schien über das soeben Gehörte nachzudenken. Nach einer Weile begann er mit einer Feierlichkeit, die die Wahrheit seiner Worte bekräftigen sollte, das Gespräch wieder aufzunehmen.
»Nein, Falkenauge, dein Ohr soll keine Lüge hören. Mein Stamm ist der Ahnherr von Nationen. Das Blut von Häuptlingen rollt in meinen Adern. Die Holländer landeten mit ihren Schiffen und gaben meinem Volke das Feuerwasser. Die roten Männer tranken es, bis sich Himmel und Erde zu berühren schienen, und glaubten, sie hätten den Großen Geist gefunden. Dann mußten sie von ihrem Lande scheiden. Schritt um Schritt wurden sie zurückgetrieben, bis ich, ein Häuptling meines Stammes, die Sonne nie anders als durch die Bäume habe leuchten sehen. Noch nie konnte ich die Gräber meiner Väter besuchen!«
»Gräber bringen das Gemüt in eine feierliche Stimmung«, bemerkte der Kundschafter, von der Schilderung seines Begleiters sichtlich gerührt.
»Doch wo befinden sich die Gräber deines Geschlechtes?«
»Wo sind ihre Gräber? Wo sind die Blüten jener Sommer? – Gefallen einer nach dem anderen. Alle von meiner Familie sind, wie die Reihe an sie kam, in das Land der Geister hinübergegangen. Ich stehe oben auf dem Berg und muß ins Tal hinab. Wenn Unkas, mein Sohn, meinen Fußstapfen folgt, so ist keiner mehr übrig vom Blute der großen Häuptlinge. Denn mein Knabe ist der letzte Mohikaner!«
»Unkas ist da!« sprach eine andere Stimme in sanftem Kehllaut. »Wer fragt nach Unkas?«
Der Weiße machte bei dieser plötzlichen Unterbrechung eine unwillkürliche Bewegung mit der Hand nach seiner Büchse. Der Indianer aber blieb ruhig sitzen, ohne den Kopf nach der unerwarteten Stimme umzuwenden.
Im nächsten Augenblick schritt ein junger Krieger mit geräuschlosem Tritt zwischen sie und setzte sich zu ihnen an das Ufer des Stromes. Kein Laut der Überraschung entfuhr dem Vater. Mehrere Augenblicke herrschte Stille, und jeder schien zu warten, wann er sprechen könnte. Der Weiße ahmte ihrem Beispiel nach, zog seine Hand von der Büchse zurück und blieb ebenfalls still. Endlich wandte Chingachgook seine Augen langsam nach seinem Sohne und fragte:
»Wagen die Maquas, die Spuren ihrer Mokassins diesen Wäldern einzudrücken?«
»Ich war ihnen auf der Fährte«, antwortete der junge Indianer. »Ich weiß, daß ihrer so viele sind als Finger an meinen Händen. Aber sie haben sich wie Feiglinge verkrochen.«
»Die Diebe sind auf der Lauer nach Skalpen und Beute!« sprach Falkenauge.
»Der rührige Franzose Montcalm wird seine Spione noch bis in unser Lager schicken.«
»Genug!« erwiderte Chingachgook. »Sie sollen vertrieben werden wie das Wild aus den Büschen. Jetzt, Falkenauge, wollen wir zu Abend essen und morgen den Maquas zeigen, daß wir Männer sind.«