Der Weg nach Afrika - Teil4. Helmut Lauschke

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Der Weg nach Afrika - Teil4 - Helmut Lauschke

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zu schicken, da machte das Postamt nicht mit, weil der Absender die Postfachnummer nicht auf dem Briefumschlag angegeben hatte und der Umschlag viel zu klein war, um die erforderlichen Briefmarken aufzukleben. Selbst mit einem grösseren Umschlag und Angabe der Postfachnummer hätte es die Post nicht getan, die sich für diese Art der Fernzustellung für nicht zuständig erklärte, weil sie Luftpostbriefe soweit hoch nicht beförderte, die über die Ionosphäre hinausgingen, auch wenn sie eingeschrieben waren. Da war die Technik eben noch weit zurück, dachte Dr. Ferdinand, der da eine Marktlücke sah, wo die Post bei der Grosszahl der Briefe an den Herrn allein durch den Verkauf der Briefmarken (mit den jeweiligen, ernst dreinblickenden Präsidentenköpfen) ein gutes Geschäft machen könnte.

      Dr. Ferdinand machte einen kurzen Rundgang durchs Dorf, ging an den bewohnten Häusern mit den gepflegten Vorgärten und den leerstehenden Häusern mit den verkommenen Vorgärten vorbei, sah Männer in den Einfahrten ihre Autos polieren, andere unter geöffneten Motorhauben vornüber gebeugt stehen, die da mit Schlüsseln hantierten und mit Lappen wischten, sah Hunde vor den Autos und vor Hauseingängen liegen, hörte laute und leise Stimmen aus den Häusern kommen und roch den scharf gewürzten Dunst sonntäglicher Braten. So waren die Strassen, wie an jedem Sonntag, so gut wie menschenleer, auf die die Sonne brannte. Auch in den Militärcamps war es still, wo sich ausser den Wachhabenden an den Einfahrten nichts zu bewegen schien. So beendete Dr. Ferdinand seinen Rundgang, der keine Stunde dauerte, streifte die Sandalen in der Veranda ab und machte sich in der Küche eine Tasse Kaffee, zu der er zwei Scheiben Brot mit Orangenmarmelade ass. Dann prüfte er das Telefon aufs Lebenszeichen, das es noch nicht tat, und zündete sich eine Zigarette an, um die Ruhe zu geniessen, ohne an die verdammte Einsamkeit denken zu müssen. Da holte er sich die grossen Philosophen zu Rate und las bei Plotin (205-270 AD) weiter: "Der Geist ist etwas Anderes als das Denkvermögen im Menschen. Denn der Geist lässt die Denkakte zu einer Bewegung in der Seele auseinandertreten, die erkennt. Da der Geist die Ursache dieser Erkenntnis ist, kann man den Geist gleichsam sinnlich greifbar sehen, wie er über der Seele als ihr Vater thront. Es ist der Kosmos des Geistes, der sich "stillstehend", unerschütterlich bewegt. Der Geist trägt alles in sich, und jedes Teil in ihm ist alles, jedes Einzelne ist das Ganze. Der Geist ist nicht geschieden, wie die Gedanken voneinander geschieden sind. Die Teile des Geistes verfliessen nicht ineinander, wie die Gedanken ineinander verfliessen."

      Da kam es ihm durch den Gedankentrichter, dass es der Geist war, der sich ständig bewegt (Perpetuum mobile) und sich nicht gönnt, als ruhende Einheit zu existieren, weil er dem jedesmal Anderssein offen ist. Wo der Geist das Denken berührt, beginnen die Gedanken zu fliessen (Heraklit: 'panta rhei'), während der Geist als Ursprung vielgestaltig, ‘ozeanisch’ bleibt. Von diesem Ursprung in seiner Omnipotenz leitet sich die Gedankenkette ab, deren Ende zum Abbild führt, das die Gedankengestalt annimmt und sich in der Form verfestigt, wenn der Geist (aus dem Ursprung der Vielgestaltigkeit) im Abbild gerinnt. Da lässt sich die ausgeformte Gestalt durch den Verstand und die Hände begreifen. Die Geburt des Abbilds wird mit der geistigen Gerinnung abgeschlossen. Nach Abschluss der physischen Gestaltung verharrt der zeugende Geist in seiner Unbegreiflichkeit, um mit seiner ungeheueren Kraft Ursprung neuer Abbilder und Gedankenketten zu sein. Doch bewahrt der Schöpfergeist die Verbindung zum Abbild und seinen Formen, schwebt quasi durch seine "stillstehende", unerschütterliche Bewegung (wie es einige Insekten beim Stehen in der Luft tun, die mal hier, mal dort und wieder anderswo stehn) über und um das Abbild herum, durchdringt es und gibt ihm die Atmung zum Leben. Die Aura der Geistigkeit umhüllt das Abbild, die beim Menschen zu seiner Persönlichkeit führt, die geistig ausstrahlt und den Augenblick hellsichtig macht. Das Schweben des Geistes über dem Abbild und seine geistige Durchdringung kann der Verstand nicht begreifen. Ihm bleibt es untersagt, den Geist in seiner Zeugungskraft zu sehen und zu messen. Was der Verstand kann, ist, sich an der Form, in der sich der Geist festgeronnen hat, also am Abbild selbst zu begreifen. In der Begriffsbildung, die durch das Abbild vorgegeben, festgelegt und verständlich ist, können sich die Gedanken auf die Schöpfung hin orientieren. Das ist ein grosses, ein unfassbares Wagnis, das sich dann lohnt, wenn der Ursprung des Seins nicht aus dem denkenden Auge verloren wird. So kommen immer neue Gedanken, die kräftig, schöpferisch sein können und das Wunder der Geburt und des Geborenen in seiner Kompaktheit ahnend durchschimmern lassen. Denn im Geborenen hat sich der Geist verdichtet, der den einsehbaren und messbaren Strukturen bis in die feinste Faser hinein die Fähigkeit und den Willen zum Leben eingehaucht hat.

      Am geistgeronnenen Abbild in seiner verfestigten Form kann der Verstand sehen, messen und begreifen, dass es nach oben hin offenbleibt, weil der Geist im Ursprung noch vieles auf Lager hat, das er zur Geburt bringen kann, wenn ihn erst ein schöpferischer Gedanke berührt. So ist und durchwandert der Geist in unbegreiflicher Weise das Leben des Menschen und ganzer Völker. Der zeitlose Geist, weil er überzeitlich ist, überlässt es den Zeitgeistern, wie es der Vater seinen Kindern überlässt, in welcher Kleidung (Sprache, Musik, Kindergarten, Universität, Politik, Wissenschaft und Kunst) sie die Menschen und ihre Völker auf die Bühne der Welt treten lassen, um mit- und untereinander zu leben. Da zündete sich Dr. Ferdinand eine Zigarette an, weil er unruhig wurde, als er sich die Menschen hier in ihrer schäbigen Bekleidung und die nackten Kinder mit den ausufernden Wasserbäuchen auf den stelzigen Beinen vor die Augen stellte. Im Anblick dieser Erbärmlichkeit der runtergekommenen und entstellten, menschlichen Gestalten, die ja traurige Abbilder dieser Zeit sind, fragte er den schwebenden Zeitgeist, ob er da nicht ganz bei Troste war. Er konnte sich bei diesem Anblick nicht vorstellen, dass der Zeitgeist selbst soweit runtergekommen war, um diese Schäbigkeit am Menschen gewollt zu haben, mit anderen Worten, dass sich der Zeitgeist selbst in diesen Menschen zu solcher Schäbigkeit verronnen hatte. Er war erregt und schimpfte gegen die Zimmerdecke, rief dem Zeitsohn des Geistes, der um das Datum nicht herumkam, zu, dass er seine Augen öffnen solle, um zu sehen, was da aus ihm herauskam.

      So war Dr. Ferdinand wieder drauf und dran, in die Wasserbäuche der Kinder ‘abzutauchen’. Der einfache Menschenverstand konnte es nicht begreifen, dass in den Kinderbäuchen das Wasser stieg, während es draussen kaum Wasser gab, da viele Brunnen ausgetrocknet waren. Was bildete sich der Zeitgeist ein, um sich in solche traurigen Abbilder zu vergehen? Wenn es so etwas wie eine Pathologie des Zeitgeistes gab, dann wäre das ein Forschungsgebiet von grosser Bedeutung, um da einmal bei den geistigen Ursprüngen nachzuhaken, die zu den gestaltlichen Verformungen und Vergehen führen, die in der geistgeronnenen Substanz krank sind und als Abbild zutiefst erschrecken. Das Dilemma ist da: die Menschen können nicht mehr richtig leben. Sie atmen verklemmt, schlucken die Luft in den Magen und ernähren sich falsch. Da ist nichts mehr sauber, auch nicht das Wasser, das sie trinken. Da kann es auch kein richtiges Zusammenleben geben, weil die Voraussetzungen nicht da sind, es an der einfachsten Ordnung und Sauberkeit fehlt. Es war die Frage nach der Hygiene, die er nach oben an den Zeitgeist richtete, der es zur Verschmutzung kommen liess, die sich in den Köpfen der Schänder und Folterer, der Fresssäcke und Schweiger festgesetzt hatte, wo der Schmutz mit den Minen, dem Unrat und den Toten über verwüsteten Dörfern und Feldern liegt. Es waren die Gefolterten und Vergewaltigten, die Arm- und Beinamputierten, die mit den zerschlagenen Gesichtern, den ausgestochenen und weggeschossenen Augen, die Kinder mit den Wasserbäuchen und die vielen anderen Kinder, die ohne Eltern leben müssen, die diese Verschmutzung beklagen. Sie weinen und schreien, weil sie es anders nicht ertragen. Die Pathologie des Zeitgeistes, ein Gebiet, das dem Zeitgeist entspricht (der nach dem 'Urgeist' vielgestaltig ist, also auch entarten kann), da sollte einmal gründlich nachgeforscht und gelehrt werden. Diese Pathologie gehört in die Universitäten, wenn sie die Kapazität für Lehre und Forschung noch haben und für die Zukunft der Menschheit etwas Vernünftiges beitragen wollen. Der Mensch muss sich etwas einfallen lassen, um die Hygiene ins Denken und Handeln zurückzubringen. Da können die Erkenntnisse auf dem Gebiet der Pathologie des Zeitgeistes hilfreich sein, wenn nur ernsthaft in den Zeitgeist eingedrungen und auf dem Gebiet der traurigen Abbilder und der flächendeckenden Verarmung und Verschmutzung geforscht würde. Am Geist setzt die Innovation an. Da sollte man sich nicht bei der akademischen Vorrede und Beschreibung der schmutzigen Dinge aufhalten, was jeder sieht, der die Augen offenhält. Man muss den Dingen auf den Grund gehen, um die traurigen Abbilder und

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