Der Weg nach Afrika - Teil4. Helmut Lauschke

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Der Weg nach Afrika - Teil4 - Helmut Lauschke

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meinen Verfolgern, rette mich!, sonst zerreisst man löwengleich meine Seele, zerspellt, und kein Rettender ist. // Steh auf, DU, in deinem Zorn, erhebe dich wider das Aufwallen meiner Bedränger, rege dich mir zu in dem Gericht, das du entbietest!" Wie oft mögen sich die Juden diesen Psalm vorgesagt haben, als sie nackt Schlange vor den Gaskammern in Auschwitz und Treblinka standen, dachte er in diesem Augenblick. Dr. Ferdinand war erschöpft, doch Hunger hatte er nicht. Er holte sich die zweite Tasse Tee und machte die folgende Notiz:

       Nicht nur verfressen seid ihr und spuckt den Wortkern der Not wie einen billigen Kirschkern aus, ihr seht noch zu, wie da gemordet wird, seid selbst Zeuge und fresst weiter.

       Um Himmelswillen!, wo fresst ihr euch hin?, und seid doch Teil des Mordes! Von euren Mäulern trieft das Fett, wenn die andern nichts zu essen haben, nur reden wollt ihr nicht, wenn ihr reden solltet.

       Was denkt ihr, wer ihr eigentlich seid? Habt ihr Gott in euren Taschen, wenn ihr das Taschentuch herauszieht und das Fett euch von den Lippen, den Essschweiss aus euren Gesichtern wischt?

       Denkt ihr euch denn nichts dabei, wenn ihr seht, dass andere hungern, gefoltert und ermordet werden?

       Das kann doch nicht sein, solang die Kirche noch im Dorfe steht, wo die Psalme gelesen und nachgesprochen werden!

       Ihr, mit den fetten Ärschen, lasst die andern ruchlos verkommen? Geht das schon soweit?

       Habt ihr's nicht von den Kindern gelernt, die euch die Plastiken auf die vollen Tische knallen, die Bilder mit den Wasserbäuchen um die Ohren hauen, dass ihr mal zur Besinnung kommen müsst und statt zu fressen jetzt arbeiten und antworten sollt!

       Ist es wirklich schon soweit, dass ihr's wisst und das Gewissen schweigt, ihr euch nichts mehr dabei denkt, was da jeden Tag passiert, weil ihr so verfressen seid?

       Dann soll euch doch der Teufel holen, egal, wie erhaben ihr euch dünkt!

       Die Zeit rennt aus, vergesst es nicht, auch ihr kommt an die Reihe, da werdet ihr's bekommen, um was ihr euch verfressen habt.

      Die Hähne krähten den Samstagmorgen ein, die Sonne schickte ihre ersten Strahlen in den Tag. Die Nacht war ruhig gewesen. Dr. Ferdinand nahm den Hörer ab und legte ihn wieder auf. Da war Totenstille. Er ging unter die Brause, um sich den Schlaf vom Körper zu waschen und setzte sich mit der Tasse Kaffee in den ausgesessenen Sessel, um Zeuge des Sonnenaufgangs zu sein und aus ihm das Wissen abzuleiten, dass das Leben weitergeht. Er machte sich auf den Weg zum Hospital und wollte ihn als Spazierweg verstehen. Katzen huschten hinter hohen Grasbüscheln und lauerten. Hunde liefen gedankenlos über die Strasse, als hätten sie nichts im Sinn. Der Wachhabende an der Sperrschranke verschluckte sein Gähnen, als Dr. Ferdinand ihm das "goeiemôre" sagte und das verknitterte 'Permit'-Papier in der Hand hielt. Der Pförtner an der Toreinfahrt sass auf dem Stuhl und pellte das Ei, steckte es in den Mund und verrieb die Eierschalen mit dem Schuh im Sand. Er überquerte den Vorplatz, wo die Menschen vor der Rezeption dicht gedrängt auf dem Betonboden lagen. Im ersten Raum der Intensivstation lag Sarah, deren Gesicht geschwollen war, dass sie die Augen nicht öffnen konnte. Die Temperatur ihres Körpers war erhöht, sie musste mehr Flüssigkeit trinken. Der Blutdruck hielt sich an der unteren, der Puls an der oberen Grenze. Sie schlief, da ihr die Schwester kurz vorher die Spritze gegen die Schmerzen gegeben hatte. Er trug ihr Befinden mit den lebenswichtigen Daten im Krankenblatt ein, sah nach den andern Patienten und notierte deren Lebensdaten ebenfalls. Dr. Ferdinand ging noch durch die anderen Säle, um auch dort nach den Patienten zu sehn, die das Unglück des schwarzen Freitags hart getroffen hatte. Dann schaute er noch ins 'Outpatient department', wo die Patienten vom vergangenen Abend sassen, denen die Schwestern aufgrund des Stromausfalls die aufgeschobene Dringlichkeit zugesprochen und sie aufs Licht des nächsten Morgens vertröstet hatten. Da es keine chirurgisch Verletzten gab, trat er den Rückweg an, nahm den Weg über das Postamt, wo er einen Brief aus Deutschland aus dem Postfach zog, kaufte im kleinen Supermarkt Brot, Aufstrich und Zigaretten und ging zur Wohnstelle zurück. Er streifte die Sandalen in der Veranda ab und machte sich in der Küche einen Tee, in den er zwei Teelöffel Zucker einrührte. Der Brief kam vom Bruder, der wissen wollte, wie es ging, ob es etwas Neues zu berichten gab. Er schrieb von der Arbeit in Deutschland, wo die Menschen im Dauerstress stecken, weil sie anders nicht mehr leben könnten. Alle machten ein ernstes Gesicht, weil das Finanzamt immer tiefer in den Taschen griff. Die Zahl der Arbeitslosen nehme zu, doch die Gewerkschaften streiken weiter. Die grossen Unternehmen verlegen ihre Werke nach Asien und Amerika, um billiger zu produzieren und die hohen Lohn- und Lohnnebenkosten zu umgehen. So nehme die Armut im Lande zu und mit ihr die Diebstähle in den Kaufhäusern und der Autos von den Parkplätzen. Die Autos fahren dann mit neuen Besitzern in den Ostblockländern weiter oder werden über Italien und den Balkan nach Afrika verschifft. Millionenbeträge gingen in die DDR, die ihre politischen Gefangenen zu Höchstpreisen verhökerten und mit dem Menschenhandel ihre Devisenlöcher stopfen.

      Aus Afrika wusste der Bruder zu berichten, dass sich die südafrikanische Armee aus Angola zurückziehe, die dem Dr. Jonas Savimbi und seiner UNITA (União Nacional da Independencia Total de Angola) den Rest überlasse. Da dachte der Bruder in Afrika an die letzte Entscheidungsschlacht, wie sie der Brigadegeneral bezeichnete, als er mit erhobenem Zeigefinger sagte, dass da viel auf dem Spiele stehe und das Pulverfass erwähnte, auf dem er wie die andern Weissen sässen, das jederzeit hochgehen könne. Dr. Ferdinand legte den Brief zur Seite und zündete sich eine Zigarette an. Er dachte an die Menschen in Deutschland, die dem Wirtschaftswunder der fünfziger Jahre nachtrauerten und denen es im Vergleich zu den Menschen vor der angolanischen Grenze noch ausgezeichnet ging. Was würden die Menschen sagen, wenn dort die Bank in dem Augenblick in die Luft gesprengt würde, wenn sie vor den Schaltern Schlange ständen, um ihre Schecks gegen Bares einzulösen? Doch damit war seit dem Ende der RFA mit der Philosophiestudentin Ulrike Meinhof und dem Rechtsanwalt Andreas Baader, für den sich der Existentialphilosoph, Schriftsteller, Theaterstückschreiber und Erzähler Jean-Paul Satre ('Wege der Freiheit', 'Der Aufschub', 'Der Pfahl im Fleische', 'Tote ohne Begräbnis') noch eingesetzt hatte, wohl nicht mehr zu rechnen.

      Dr. Ferdinand setzte sich gegen elf ins Auto und fuhr zur katholischen Missionsstation nach Okatana. An der Sperrschranke des zweiten Dorfausgangs mit der MG-Doppelstellung auf dem Wasserturm, der vor einem Jahr einen Granatenschlag abbekommen hatte, dass er schief stand, und wieder ins Lot gesetzt wurde, zeigte er sein 'Permit'-Papier vor, liess das Auto mit Verschieben der Vordersitze von innen inspizieren, und setzte die Fahrt fort. Er bog nach etwa einem Kilometer von der geteerten, strategischen Ost-West-Strasse nach rechts ab, passierte die vorwiegend von angolanischen Flüchtlingen bewohnte Blechhüttensiedlung mit den hängenden Tüchern vor den Eingängen und den gaffenden, schäbig gekleideten oder nackten Kindern, die am Strassenrand standen und grosse Augen machten. Da liefen die ständig knabbernden Ziegen zwischen den tuchverhängten Blechgestellen hin und her, gefolgt von abgemagerten Hunden. Dort lag die bunte Wäsche zum Trocknen auf den Dächern, wo daneben wenige, dürre Rinder in enger Umzäunung standen und auf ihren Schlachttag warteten. Vor ihm liess er zwei Schweine die Strasse in Richtung angolanische Siedlung überqueren, bevor sich die Räder durch den lockeren Sand mit den tief eingefahrenen 'Casspir'-Spuren wühlten. Er kam am Wasserturm vorbei, der etwa hundert Meter links von der Sandstrasse stand, von dessen Dach ihm das MG fast eine von rechts verplättet hätte, als er eines Nachts auf dem Rückweg von Okatana nach Oshakati war und nicht angehalten hatte, als ihm die Leuchtraketen in den Farben blau, gelb, rot das sofortige Anhalten signalisierten, was er damals nicht lesen konnte und die Farbenfreude der Raketen für einen freundlichen Nachtgruss hielt.

      So schlingerte er die langen fünf Kilometer bis zur Mission, wo ihn die Patres freundlich begrüssten. Sie standen unter dem grossen Baum vor dem Eingang zum Haus der Patres. "Das ist ja schlimm, was da passierte", sagte der eine Pater, der sonst immer sagte, dass es schön sei, den Doktor mal wieder zu sehen, der solange

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