Der Weg nach Afrika - Teil4. Helmut Lauschke

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Der Weg nach Afrika - Teil4 - Helmut Lauschke

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Versagen, die besprochenen Dinge in die Tat umzusetzen und den runtergekommenen Zustand des Hospitals zu heben. Die Arbeit nahm ihren gewohnten Gang, für Dr. Ferdinand mit vielen Operationen, was ihm körperlich anzusehen war, weil es sich da meistens um harte Knochenarbeit handelte. Doch auch er hatte sich daran gewöhnt, hatte sich gleich zu Beginn auf die Arbeit körperlich eingestellt, als er in drei Monaten zwanzig Kilo an Gewicht verlor und von da an den Gürtel immer enger schnallte, neue Löcher mit dem Pfriem in den Gürtel stach, um die Schnalle festzumachen. So waren nach drei Jahren statt der vier nun acht Gürtellöcher. Das war deutlich genug, wie die Arbeit an ihm zehrte. Doch selbstgemachte Gürtellöcher sah er auch an den Patienten, wenn sie die Hose zum Untersuchen öffneten, wo die alten Männer noch viel mehr Löcher in den teils verdrehten, teils angerissenen Gürteln hatten.

      Der schwarze Freitag

      Die Zweierdelegation nahm sich die zweite Woche in Deutschland, als der schwarze Freitag kam. Es war der 19. Februar 1988 ein Zahltag, an dem Menschen, so einige Schwestern, in der Barclay's Bank Schlange standen, um ihre Gehaltschecks gegen bares Geld einzulösen. An den Schaltertheken schoben sie noch die Querformate mit den aufgedruckten Zahlen von Datum und Geldbetrag und den beiden Unterschriften durch den Spalt unter der dick verglasten Trennwand mit dem Sprechloch weiter oben und bekamen dafür die bunteren, oft nachgeahmten Scheine mit den Münzen hinter dem Komma zurück, steckten das Gewechselte in Taschen weg, als sieben vor eins die ganze Bank in die Luft flog. Die Riesenladung Dynamit hatte das Dach hoch katapultiert, die Seitenmauern weggesprengt und vierunddreissig Menschen in den Tod gerissen. Es gab eine grosse Zahl an Verletzten und Schwerverletzten, die wie auf einem laufenden Fliessband gebracht wurden mit Verbrennungen, zerschmetterten und abgerissenen Armen und Beinen, zerrissenen Gesichtern, Armen, Händen und Füssen. Schwestern und Ärzte legten Infusionen, machten Wiederbelebung dort, wo das Leben zu kippen drohte, machten Verbände, wo eine Operation nicht erforderlich war. Da kamen die Patienten in den Sälen auf den Boden, denen es besser ging, um Betten für die Verletzten freizumachen. In allen Op-Räumen wurde operiert, sogar Dr. Ruth, die Gynäkologin, stieg da mit ein, und operierte Dinge, die sie noch nie getan hatte. Einige der Verletzten waren durch die Verbrennungen fürchterlich entstellt. So kam eine Frau im 'theatre 2' auf den Op-Tisch, der das verbrannte Gesicht zu einem Mondgesicht aufgequollen war, das es unmöglich machte, ihr Alter zu schätzen. Sie hatte weitere Verbrennungen an den Armen, über Brustkorb und dem Rücken. Die Gewalt der Explosion hatte ihr den rechten Unterschenkel abgerissen. Die Schwestern sagten, dass sie Sarah sei, eine junge Schwesternhelferin, die vor dem Gang zur Bank eine hübsche, junge Frau gewesen war. Ihr schnitt Dr. Ferdinand im Schnellverfahren den Rest des Beines ab und nähte die überhängenden Weichteillefzen über dem kurzen Oberschenkelstumpf zusammen. Dann versorgte er die vielen Risswunden im Gesicht, an Armen und Händen und legte die Verbände an, die den grösseren Teil des Körpers bedeckten. Ihr wurde das Leben gerettet auf Kosten der Lebensqualität. Für Sarah sollte ein anderes Leben beginnen, von dem sie noch nicht geträumt hatte. Auch der neue Chirurg, der nun nicht mehr so neu war, versorgte im 'theatre 3' Brandwunden und machte Amputationen an Fingern und Füssen. Die Schwestern rannten, wischten den Boden, räumten die gebrauchten Instrumente in die Siebe zurück und brachten neue, verpackte Instrumentensets, wechselten Sauerstoffflaschen und füllten die Narkosegeräte mit flüssigem Lachgas auf. In der Desinfektionsabteilung wurden die Instrumente blutfrei gebürstet, neu verpackt und mit Volldampf sterilisiert. Es war die Not, die alle im Teamgeist vereinte, und keiner nahm Notiz von den durchschwitzten, grünen Hemden und Hosen. Not war der grosse Meister, der jegliches Nörgeln und Zaudern verbot. Alle steigerten sich bis zur obersten Leistungsgrenze, verschütteten ihr Adrenalin, mit dem sie sonst vorsichtiger umgingen. So war die Erschöpfung, die alle nach sechs Stunden befiel, als der letzte Verletzte das 'theatre' verliess, ein Beweis für die aussergewöhnliche Anstrengung und Leistung. Der schwarze Freitag nahm seine zweite Tücke. So gingen schlagartig alle Lichter aus, als sich Dr. Ferdinand im Umkleideraum den Schweiss vom Körper rieb und dabei war, sich das Zivile überzuziehen. Warum das noch dazukommen musste, das wusste er in diesem Augenblick nicht und bekam es auch später nicht heraus, als das Anlegemanöver schon Jahre zurücklag. Der schwarze Kinderarzt als der amtierende Superintendent und ärztliche Direktor in einer Person erschien vor der Ausgangstür des 'theatre', als Dr. Ferdinand das 'theatre' verliess. Draussen, als er auf ihn stiess, stellte der amtierende Superintendent banal fest, dass da ein "power cut" sei, den ein Schaden am Hauptkabel verursachte, was nicht mehr banal, sondern völlig unverständlich war. Da war Glück im zweiten Unglück, dass die Verletzten versorgt waren, bevor der Stromausfall das ganze Hospital befiel und lahmlegte. Da ging nun nichts mehr, und auch in der Nacht sollte es dunkel im 'theatre', dem 'Outpatient department' und in den Sälen bleiben.

      Die beiden Sterilisatoren hatten den Dampf und Geist aufgegeben, und die Schwestern dort räumten und bürsteten die Instrumente im Dämmerlicht sauber, so gut da noch sauber zu bürsten war. Ein Unglück kommt selten allein, eine Lebensweisheit, die sich hier an diesem Nachmittag erneut bewahrheitet hatte. Diese Wahrheit holte rasch alle Überflieger jedweder Art auf den Boden der traurigen Tatsache zurück. Die wartenden Patienten, die im 'Outpatient department' im Dämmerlicht sassen, wurden auf ihre Dringlichkeit hin geprüft. Dort trafen die Schwestern die notwendige Auslese, machten aus der geringeren Dringlichkeit die aufgeschobene Dringlichkeit und schickten einen Grossteil der Patienten wieder nach Hause, um am nächsten Morgen bei Tageslicht zu erscheinen. Die dringlichen Fälle mit dem Aufschubsverbot wurden dann und in der Nacht bei Kerzenlicht untersucht und behandelt. Operationen konnten nicht druchgeführt werden. So mussten chirurgische Fälle zum evangelisch-lutherischen Missionshospital nach Onandjokwe weitergeleitet werden, das fünfundvierzig Kilometer von Oshakati entfernt lag.

      Dr. Ferdinand verliess das Hospital bei Dunkelheit. Er hatte nochmals nach den Patienten gesehen und Notizen in den Krankenblättern nachgetragen. Es war still über dem Vorplatz, als er ihn überquerte. Der Betonboden vor der Rezeption war von Patienten dicht angereiht, die dort unter Tüchern und Decken lagen und übernachteten. Es waren mehr Patienten als sonst, unter denen auch jene waren, die im Dämmerlicht auf den Bänken in der OPD sassen und darauf warteten, vom Arzt gesehen zu werden, denen die Schwestern aufgrund des Stromausfalls den Status der aufgeschobenen Dringlichkeit gaben und aufs Licht des nächsten Tages vertrösteten. Der Pförtner schob das Tor hinter ihm zu und setzte sich auf seinen Stuhl zurück. Dr. Ferdinand nahm den kürzeren Weg zwischen Stacheldraht und zerfleddertem Lattenzaun und an den fünf leerstehenden, hochgestelzten Blockhäusern vorbei, passierte den Kontrollpunkt am Dorfeingang mit dem zerknitterten 'Permit'-Papier in der Hand, sah vor ihm streunende Hunde die Strasse entlanglaufen, die ihren Kopf geradeaus hielten und von ihm keine Notiz nahmen. Er ging durch eine Sandwolke, die sich legte, und sah von der Fünferkolonne der 'Elands' mit den langen Rohren den letzten von hinten. Dann öffnete er vor seiner Wohnstelle das Tor, schob es wieder zu und legte den Riegel ins Schloss. Die Sandalen mit den durchschwitzten Korksohlen streifte er in der Veranda ab, zog sich im Wohnzimmer das klebrige Hemd vom Körper, warf es über die Sessellehne und machte in der Küche eine Tasse Tee. Mit der Tasse setzte er sich auf die Stufe vor der Veranda und zündete eine Zigarette an. So schwarz war ein Freitag noch nicht gewesen wie dieser, an dem gleich massenweise Menschen in den Tod gerissen wurden. Er erinnerte sich an die russischen Tiefflieger über Pirna, die den Bus zerschossen, den der Vater zur Flucht der Familie, einiger Patienten und Freunde organisiert hatte, der sie durch das ehemalige Böhmisch Mähren zu den besseren Amerikanern fahren sollte, wo dann bei Aussig die gefürchteten Russen kamen, die den Kindern von den urigen 'T-34' Schokoladen und Süssigkeiten runterwarfen. Nach dem Tieffliegerangriff über Pirna lagen die Toten zerschossen in den Strassen, und die Verletzten bluteten sich aus. Er dachte darüber nach, warum der Mensch es nicht seinlassen kann, andere Menschen umzubringen. Da war er sich sicher, dass da die Politik im Spiele war, wo der eine den Erfolg dem andern nicht gönnt, der da kein Pardon und keine Skrupel kennt, das Leben unschuldiger Menschen gleich mit zu vernichten. Die Verrohung im Denken mit der rücksichtslosen Besessenheit nach Macht macht aus dem Menschen den Barbaren, der beim Töten nichts mehr empfindet, auch nicht, wenn er sich vorher an wehrlosen Frauen und Mädchen vergeht. Es war ein Freitag, den er so schwarz nicht wieder erleben wollte. Dr. Ferdinand setzte sich ins Wohnzimmer und las den siebten Psalm in der Buber'schen

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