Der Weg nach Afrika - Teil4. Helmut Lauschke

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Der Weg nach Afrika - Teil4 - Helmut Lauschke страница 2

Der Weg nach Afrika - Teil4 - Helmut Lauschke

Скачать книгу

vergessen. Näher war sie noch nicht am Krieg gewesen. Sie nahm auch teil am Lesen der Briefe deutscher Ärzte auf die Kleinanzeige im Deutschen Ärzteblatt, von denen sie beeindruckt war. Es waren einhundertzweiundreissig Briefe, die da eingegangen waren, die nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus dem Elsass und aus Südamerika kamen. Es waren ältere Ärzte, die es auf mehr als einen "Dr." vor ihren Namen gebracht hatten. Bei einem standen drei Doktortitel vor dem Namen. Ein Neurologe aus Hamburg schrieb, dass er gern nach Afrika kommen möchte, um die Apparatemedizin hinter sich zu lassen und wieder Medizin am Menschen zu betreiben. Andere schrieben, dass sie bereits in Pension seien, sich aber noch jung genug fühlten, um als Ärzte in Afrika tätig zu werden. Es gab auch zwei Ehepaare, wo Mann und Frau Ärzte waren, und die Frauen gleich mitkommen wollten. Viele Jungärzte hatten auf die Anzeige geschrieben, die kommen wollten, um ihre ersten Erfahrungen nach Abschluss des Studiums zu sammeln. Sie schrieben davon, wie schwierig es war, in Deutschland einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Das Studium der Briefe gab einen guten Überblick über die Situation in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1987, wo der Wohlstand die Dinge der Gesellschaft beherrschte, in der es menschlich aber kalt und einsam geworden war. Der Drang nach Freiheit lag zwischen den Zeilen vieler Briefe.

      Als die Studentin Oshakati verliess, wusste sie, dass sie viel gelernt hatte, medizinisch wie aus der Armut der Menschen. Sie wusste auch, dass einen Monat nach ihrer Ankunft in Deutschland die Zweierdelegation aus ärztlichem Direktor und dem Superintendenten ihr folgen würde, um die Auswahl der Kollegen zu treffen, die für den afrikanischen Krisenherd vor der angolanischen Grenze geeignet schienen. Die Vorauswahl wurde gemeinsam mit Dr. Ferdinand getroffen, weil er sich in den deutschen Verhältnissen am besten auskannte. Es waren die Jungärzte, die in Betracht gezogen, angeschrieben und zum Interview in verschiedenen deutschen Städten eingeladen wurden. So kam der deutsche Ärztenachschub in Sicht. Die Reaktion auf die Kleinanzeige war ein Zeitphänomen für sich, weil hier keiner mit einer solchen Resonanz gerechnet hatte. Sie übertraf bei weitem alle Erwartungen. Es war ein sichtbares Zeichen, dass etwas in Bewegung kam, das für die Zukunft des Hospitals von Bedeutung war und den Patienten helfen sollte. Die deutsche Resonanz zeigte auch, dass der Weg in die Unabhängigkeit Namibias nicht mehr so weit sein konnte, wenn auch die Granaten weiter einschlugen, das Leben erschwerten und die Menschen in Angst und Schrecken versetzten. Doch da kam Licht am Ende des Tunnels auf und mit ihm die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

      Die Weissen im Dorfe wurden weniger. Immer mehr Familien verzogen sich aus Gründen der zunehmenden Unsicherheit weiter südlich oder ganz nach Südafrika zurück, wo das Leben eben sicherer und angenehmer war als vor der angolanischen Grenze. Es waren jene Familien, deren Väter entweder Offiziere waren und durch andere Offiziere abgelöst wurden, die im Wissen um die letzte Entscheidungsschlacht, wie es der Brigadegeneral einmal sagte, nun ohne Familie kamen, oder in Zivilkleidung etwas mit dem Militär, wie Materialbeschaffung, Brückenbau, Flughafensicherung oder Maschineninstandhaltung und Motorenwartung zu tun hatten. Da die Granaten immer näher einschlugen, wuchs auch die Furcht vor dem Kessel, den jeder Krieg immer mehr machte, in dem man sass und sich denken konnte, dass da ein Rauskommen immer schwieriger wurde. Man stellte sich auf' s Letzte ein, ohne das Letzte mit den Granatenschlägen erleben zu wollen. Da war es nicht verwunderlich, dass die Väter ihre Familien in Sicherheit brachten, um den Frauen und Kindern das zu ersparen, was sie den andern Müttern und Kindern zumuteten. Das Dorf war zur Festung geworden, in dem sich die Menschen verbunkerten, so wie die strotzenden Munitionslager verbunkert waren. Wofür eigentlich noch geschossen wurde, den Gesichtern konnte man es nicht mehr eindeutig ablesen wie noch ein Jahr zuvor. Viele Häuser waren unbewohnt, an manchen standen einige Fenster offen, und die Türen waren nicht richtig verschlossen. Die Vorgärten verwilderten, und der Wind überzog sie mit dem Sand der ausgestreckten Wüstententakel. Es war ein trostloses Bild, das mit der letzten Entscheidungsschlacht einherging, das eine depressive Wirkung hatte, die stärker als erwartet war, die sich der verdammten Vereinsamung und allgemeinen Verelendung wie ein Wasserkopf aufsetzte. Es war soweit, dass die Menschen auf ein Ende mit Schrecken warteten, weil der Schrecken ohne Ende lang genug gedauert hatte. Unter diesen Begleitumständen wurde die Arbeit am Hospital fortgesetzt, wo die grosse Zahl der andrängenden Patienten die zuverlässigste Grösse war. Um dem Arbeitsleben den Anstrich der Routine zu geben, wenn man vom abblätternden Anstrich von den Wänden und Türen und von dem vielen andern absah, das verbeult und rissig, rostig, verklemmt und abgebrochen war, wurden die Morgenbesprechungen um halbacht weiterhin eingehalten.

      Der schwarze Superintendent gab sich alle Mühe, um das Hospital nicht weiter runterkommen zu lassen und die Depression nicht von den Wänden tränen zu lassen. Er hatte es durch ständigen Einsatz und Erinnern erreicht, dass die rausgebrochenen Fensterscheiben durch neue ersetzt wurden, von denen mittlerweile durch neue Detonationen einige wieder gerissen und zersplittert waren. Er hatte erreicht, dass an den Toiletten gearbeitet wurde, sie weniger verstopft waren als davor, wobei altes durch neues nicht ersetzt wurde, weil es nichts Neues gab. Er hatte erreicht, dass es mehr Waschschüsseln in der inneren Medizin, Spucknäpfe für die Tuberkulösen und Milch für die Kinder und andern Patienten gab, wenn es auch nicht für alle langte. Was er nicht erreicht hatte, obwohl er sich den Mund fuselig telefoniert hatte, wie er sagte, waren neue Schaumgummimatratzen, um die verrotteten alten mit den Uringerüchen, den Scheiss- und anderen Flecken, was da nicht rauszukriegen war, dem Verbrennungsofen zu übergeben, damit endlich matratzenmässig, Reinschiff gemacht wurde. Auch gab es keine neue Hospitalkleidung und Bettwäsche für die Patienten, weil es dafür kein Geld gab und im Budget der Administration nicht vorgesehen war, wie es der 'Sekretaris' sagte, als er dem Superintendenten zusagte, darüber nachzudenken und mit den Leuten, die das Geld verwalteten, zu sprechen. Der 'Sekretaris' hatte offensichtlich noch nicht zu Ende gedacht oder mit den Fachleuten noch nicht zu Ende gesprochen, obwohl das Telefonat mit der Nachdenk- und Sprechzusage schon einige Monate her war. Da konnte auch der Superintendent mit der Hautfarbe der Zukunft, der sich der weisse 'Sekretaris' trotz Nichteinhalten seiner Zusagen möglicherweise aus Gründen des besseren Rüberkommens und Anschmiegens an die neue Besatzung verpflichtet gefühlt haben mochte, nichts machen. So gut wie alle Themen, die in den Morgenbesprechungen angesprochen wurden, hatten die Eigenschaft des Dauerbrenners an sich, weil es an Mangel mehr als genug gab, wo aber zu den alten immer neue dazukamen, sich den unteren turmhoch aufsetzten, und der Mangelturm in den Himmel wuchs, an dem die unteren Mängel noch glühten. Es war das besondere Verdienst der weissen Matrone, der Anschmiegsames nicht stand und sich auch nicht gefallen liess, die die Patienten im Blickfeld behielt, wenn sie in die Zukunft schaute und dabei den Mangelturm nicht schrumpfen liess. Andererseits war sie realistisch genug, um den Turm nicht zu tief in den Himmel reinzustecken. Sie war eine gerade und kluge Frau, die kämpferisch blieb und den Reichenturm zu Babel sehr wohl vom Armenturm zu Oshakati zu unterscheiden wusste.

      Es kam die Zeit, als sich der weisse ärztliche Direktor und der schwarze Superintendent auf den Weg nach Deutschland machten, um die Jungärzte dort zu interviewen und fürs Hospital zu rekrutieren. Der Eine kannte das geteilte Deutschland, weil er als Fliegerarzt mit südafrikanischem Arztdiplom für einige Jahre beim Richthofengeschwader der Bundeswehr im Oldenburgischen gedient hatte. Der Andere kannte es nicht, auch wenn er eine gute Meinung von den Deutschen hatte, weil er sie für fleissig, gründlich und sauber hielt. Für den Superintendenten war "made in Germany" ein Qualitätszeichen, an das er nichts kommen liess. Die Leitung des Hospitals übergab er während seiner Abwesenheit dem schwarzen Kinderarzt, dem er die erhöhte Verantwortlichkeit anvertraute. Der Superintendent sagte dem Dr. Ferdinand, dass er sich auf den Deutschlandbesuch freue und gespannt sei, wie dort die Menschen leben. Dr. Ferdinand hatte ihm zwar schon so manches aus dem deutschen Leben erzählt, doch sollte er seine eigenen Erfahrungen machen, die er mit hohen Erwartungen auch machen wollte. So waren sie abgereist, wollten sich etwa einen Monat Zeit auf dem andern, kleineren Kontinent leisten, sich im deutschen Leben umsehen, deutsch essen und trinken und mit vier Händen voller Zusagen zürückkommen. Der schwarze Kinderarzt hatte das Regiment übernommen, führte die Morgenbesprechungen an, indem er weit vor der Zeit bereits auf dem erhöhten Superintendentenstuhl sass, in dem er durch seine Körperkürze fast versank, und sich mit beiden Armen über die grosse Schreibtischplatte vornüber lehnte. Die Note des Wichtigen war nun hinter dem Schreibtisch nicht zu verkennen. Der Interimsuperintendent setzte sich aufrecht auf den Drehstuhl, selbst dabei blieb er

Скачать книгу