Undercover - Auftrag. Jürgen H. Ruhr

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mehr. „Kein Problem. Ich kenne mich inzwischen mit der digitalen Spiegelreflex gut aus“, bemerkte ich auch sofort. Doch Sam schüttelte schon wieder den Kopf und sah mich nur merkwürdig an. Dann fischte er eine Brille aus seiner Tasche und hielt sie hoch. Kein sonderlich hübsches Modell, aber über Geschmack lässt sich ja bekanntlich nicht streiten. Oder doch? Aber wieso musste Sam plötzlich eine Brille tragen?

      „Hier, Jonathan. Das ist dein Fotoapparat. Die Brille verfügt über eine kleine Linse, hier in der Mitte des Stegs.“ Sam deutete auf einen Punkt an der Brille. Obwohl ich ja nicht allzu weit entfernt saß, konnte ich keine Linse erkennen. „Ich sehe nichts“, bemerkte ich dann auch richtig.

      „Das ist ja der Witz an der Sache, Jonathan. Ich befürchte, wenn Pâgescu dich beim Fotografieren erwischt, ist es die Polizei, die die nächsten Bilder knipst. Dann aber von deiner Leiche! Also nutze die Brille unauffällig und mache dich vor allen Dingen damit vorher vertraut.“ Sam reichte mir die Brillen - Kamera Kombination. Dann schob er mir auch einen kleinen Zettel zu.

      „Das ist die Anleitung. So und jetzt zum weiteren Ablauf. Du, Jonathan, erhältst nachher von Jennifer alle notwendigen Unterlagen, die dich als Sohn und Erben Heyers ausweisen. Da Heyer nachweisbar keine eigenen Kinder hat, bist du der erbberechtigte Stiefsohn. Dank dem Oberstaatsanwalt Eberson verfügen wir über die notwendigen Papiere. Die ganze Sache ist absolut wasserdicht und hält auch intensiveren Nachforschungen stand. Morgen übernimmst du Heyers Wohnung.“ Sam hielt kurz inne und schaute in die Runde. „Übrigens gibt es heute in den Lokalnachrichten Meldungen über den Unfalltod Heyers und morgen erscheint in den Zeitungen ein kurzer Artikel. Unfalltod und Fahrerflucht.“

      Ich nickte und trank einen Schluck Orangensaft. Eiskalt. Birgit würde uns nicht einmal ein lauwarmes Glas Leitungswasser bringen …

      „Man wird auch - diskret natürlich - einen Erben erwähnen und dabei andeuten, dass dieser Mann nicht ganz gesetzestreu ist. Sollte Pâgescu aufgrund dieser Informationen nicht selbst an dich herantreten, so rufst du ihn am Donnerstag aus dieser Telefonzelle in Rheydt an. Was dann folgt, ist abhängig von dem Rumänen. Treffen, kennenlernen und Vertrauen aufbauen. Du musst unbedingt diesen Job als Kurierfahrer bekommen, Jonathan. Einen Fehler kannst du dir nicht erlauben!“

      Das war klar. Wieder einmal hing alles von meinem Können und Fingerspitzengefühl ab. Aber auf mich war ja auch Verlass! Warum gönnte man mir dann denn nicht wenigstens eine vernünftige Sekretärin?

      „Das war‘s zunächst von meiner Seite. Chrissi, du bist Jonathans Freundin, den Part der Geschichte kennt ihr ja alle. Monika - die ja heute fehlt, wie ihr bemerkt haben dürftet - befindet sich schon wieder auf dem Weg zu ihrem nächsten Job.“ - „Personenschutz“, unterbrach ich und glänzte mit meinem Wissen.

      „Ja, Jonathan. Personenschutz. Es ist auch kein Geheimnis, wen Monika da zu beschützen hat. Oder weißt du das auch schon, Jonathan?“ Ich schüttelte den Kopf. Sam grinste mich an: „Du wirst es kaum glauben: Wim Schlensbow! Der Knabe war so zufrieden - also mehr sein Manager - mit unseren Diensten letztes Jahr, dass er - also, der Manager - dich wieder angefordert hat. Diesmal tritt Schlensbow in Amerika auf.“

      Ich staunte. Dass wir solch einen guten Eindruck bei unserem Auftrag hinterlassen hatten, konnte ich kaum glauben. Und dass Schlensbow nun sogar nach Amerika gereist war - mit seiner Reiseangst - alle Achtung.

      Aber schon erzählte Sam weiter: „Schlensbow ist mit dem Schiff unterwegs und wird in gut drei Tagen in New York ankommen. Moni soll ihn dann dort empfangen. Der Manager war wirklich traurig, als ich ihm lediglich Monika als Ersatz für dich anbieten konnte.“

      ‚Tja, Qualität zahlt sich halt aus‘, dachte ich und lächelte selig bei dem Gedanken an meine vortrefflichen Leistungen als Personenschützer.

      VII.

      „So, Herr Lärpers.“ Der Vermieter schloss die Türe auf und sah mich skeptisch an. „Wieso heißen sie eigentlich nicht wie ihr Vater?“ - „Stiefvater. Er war nie mein leiblicher Vater. Meine Mutter heiratete ihn, da war ich gerade drei Jahre alt. Vater Heyer - so nenne ich meinen Stiefvater seit jeher - adoptierte mich damals. Ich hieß sogar eine Zeitlang ‚Heyer‘, doch als sich Mutter von ihm trennte, nahm sie wieder ihren alten Namen an. Und ich hieß fortan auch wieder Lärpers.“

      So die Geschichte, wie Bernd sie sich für mich ausgemalt hatte und wie sie meiner Legende entsprach. Natürlich stimmte dies nicht mit meinen Vorstellungen überein, denn als Jonathan Lärpers lief ich ja schon mein ganzes Leben lang herum. Vielleicht wäre ‚Robin Gedfort‘ oder etwas ähnlich dramatischeres doch ansprechender gewesen. Nachdem Jennifer mir die fertigen Papiere übergeben hatte, ließ sich nun aber leider nichts mehr ändern. Warum besprach Bernd solche Sachen nicht auch vorher mit mir?

      „Aha. Ich verstehe. Nun, die Papiere, die sie mir vorgelegt haben, scheinen ja alle zu stimmen. Ich habe diese Erbbescheinigung natürlich überprüfen lassen. Als rechtlicher Nachfolger ihres Vaters, äh Stiefvaters, übernehmen sie auch offiziell das Mietverhältnis. Wenn sie wollen.“ - „Ich will“, bestätigte ich, obwohl der Mann mich das nun zum dritten Mal fragte.

      Dann drückte er mir die Schlüssel in die Hand, warf noch einen kurzen Blick in die Wohnung und verabschiedete sich. „Na gut, wenn sie unbedingt wollen. Sie müssen aber nicht ...“

      Nachdem ich die Haustür hinter mir sorgfältig geschlossen hatte, sah ich mich in der Wohnung um. Heyer war im Keller sehr gesprächig gewesen und so fand ich mich direkt zurecht. Eine kleine Wohnung an der Steinsstraße im Ortsteil Geistenbeck. Der ‚Geistenbecker Marktplatz‘ in direktem Sichtkontakt. Daneben die Sparkasse. Auf dem Marktplatz schien irgendjemand seinen Metallschrott abgestellt zu haben, was das da sollte, konnte ich nicht genau erkennen. Nun, die Stadt würde das schon entsorgen. Irgendwann. Meine - also Heyers - Wohnung im zweiten Stockwerk verfügte über zwei Zimmer, Küche und ein kleines Bad. Alles in allem eine äußerst durchschnittliche Wohnung der unteren Preiskategorie. Ich sehnte mich jetzt schon nach meinen eigenen vier Wänden zurück. Dort musste ich auf Bernds Geheiß sogar mein Namensschild entfernen. Chrissi, die eine Etage unter mir wohnte, erzählte allen, ich sei auf einer Auslandsreise und sie selbst müsse auch fort. So konnte man das auch sehen …

      Der kleine Fernseher stammte noch aus längst vergangenen Zeiten. Ein Gerät mit Bildröhre. Wer benutzte denn so etwas heute noch? Heyer - ja klar Heyer. Ebenso auch das Telefon: Ein vorsintflutliches Modell in Zahnschmerzen verursachendem orange. Aber schon mit Tasten. Im Kühlschrank fand ich nur ein paar Bierflaschen, dann machte ich mich an das Durchsuchen der Schränke. Sam hatte darauf bestanden, dass ich überall gründlich nachschaute. Falls doch noch etwas Unerwartetes auftauchen würde. Wir mussten ja auf alles gefasst sein. Lustlos durchwühlte ich Schubladen mit Papieren, alten Briefen und vergilbten Fotos. Erinnerungsstücke aus besseren Zeiten. Eine Fotoserie war ganz lustig; die zeigte Heyer mit vielleicht zwanzig Jahren. Er und einige illustre Typen standen neben bunten Mopeds und schauten grimmig aus der Wäsche. ‚Hellbent Gang‘ stand auf der Rückseite.

      Ich suchte weiter.

      Plötzlich klingelte es an der Tür. Zunächst ignorierte ich den melodischen Dreiklanggong, dann fiel mir das Gebimmel auf den Wecker.

      „Guten Tag, Herr Heyer. Haben sie mich vergessen?“ Die alte Frau stand gebückt vor mir und sah mich aus dicken Brillengläsern an. „Sie haben sich aber verändert. Sind sie jünger geworden?“ Ich sah die Alte verwundert an. „Ich bin nicht Günther Heyer. Mein Name ist Jonathan Lärpers.“

      Jetzt nahm sie die Brille ab und besah mich von oben bis unten. „Sie sehen aber ein wenig aus, wie Günther. Wie heißen sie? Länkers?“ - „Lärpers, Jonathan Lärpers.“

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