Der Fluch von Azincourt Gesamtausgabe. Peter Urban
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Muhammad an-Nasir brach in schallendes Gelächter aus, als der Erzbischof von Santiago de Compostella Pedro Muñoz, die Streitaxt hoch erhoben, alleine auf die Übermacht der Wüstenkrieger zu galoppierte. Auch in den Reihen der Christen hörte man Lachen und ungläubige Ausrufe. Doch plötzlich, als Muñoz die halbe Strecke zurückgelegt hatte und sein Pferd aus dem Galopp anhielt, geboten Alfonso von Kastilien und die drei anderen Könige ihren Vasallen und Waffenleuten zu schweigen.
Die Almohaden-Krieger brüllten dem Erzbischof Beleidigungen entgegen, versuchten ihn zu provozieren, oder schimpften ihn einen Feigling, doch der Mann reagierte nicht. Er senkte nur ganz langsam seine Waffe. Dann sprach er laut, und für beide Seiten gut hörbar ein einziges Wort in der Sprache der Mauren. Die Christen verstanden ihn nicht, doch Muhammad an-Nasir und viele seiner Männer erbleichten. Einige wendeten sogar ihre Pferde, um sich durch die Schlachtreihen zurück hinter die Linien zu drängeln.
Wie aus dem Nichts erschien plötzlich an der Seite des Erzbischofs von Santiago de Compostella ein gewaltiges, bleiches Ritterheer auf Schlachtrössern, die aussahen, als ob sie erst Augenblicke zuvor aus ihren Gräbern auferstanden waren – farblos, erbärmlich und mager. Und dann hob Muñoz zum zweiten Mal seine Streitaxt und deutete auf Muhammad an-Nasir und seine Almohaden-Krieger. Wie ein Mann setzte sich das bleiche Ritterheer in Bewegung und beide Kriegsparteien begriffen endlich, was in der Mitte des Schlachtfeldes geschehen war und was der Erzbischof getan haben musste, um an diesem Tag einen Sieg gegen die maurische Übermacht zu erzwingen.
Viele der Sarazenenkrieger erwachten aus der ersten Erstarrung und rissen ihre Rösser herum, um zu fliehen. Doch der Aufruhr in den hinteren Reihen der Schlachtaufstellung machte jegliche Flucht unmöglich und noch bevor der allgemeine Tumult das Heer von Muhammad an-Nasir auflösen konnte, versank es auch schon in der schrecklichen Armee von Wiedergängern und Spektren aus längst vergangener Zeit, die Pedro Muñoz durch eine unaussprechlich abscheuliche, schwarze Magie heraufbeschworen hatte.
Der Untergang der Almohaden dauerte nur wenige Augenblicke und der Südhang der Sierra Morena glich einem Massengrab, noch bevor die Mittagssonne im Zenit stand. Muhammad an-Nasir gelang es im letzten Moment, sich zusammen mit einer Handvoll Getreuer in Sicherheit zu bringen. Doch damit war das Grauen noch lange nicht zu Ende. Als kein einziger Maure sich mehr auf dem schrecklichen Feld regte, forderten die dunklen Mächte, die an diesem Tag bereitwillig Kastilien, Aragón, Navarra und León ihre Hilfe gewährt hatten den Preis für den Sieg.
Pedro Muñoz war zu erschöpft von seinem schwarzen Zauber, um die Spektren noch zu kontrollieren, und anstatt nach getaner Arbeit wieder zurück in ihre kalten, feuchten Gräber zu verschwinden, wandten die zornigen Schattengestalten ihre grauenhaften Höllenpferde um und warfen sich mit derselben Grausamkeit und Bosheit, die zuvor das Ende der Almohaden-Armee gewesen war gegen die christlichen Ritter, die die vier verbündeten Könige mit in die Sierra Morena gebracht hatten. Für ihre schreckliche Hilfe forderten sie nun den üblichen Preis in Blut.
Die letzten Augenblicke der Christen bei Navas de Tolosa waren genauso grauenhaft, wie die der Mauren und lediglich eine Handvoll Ritter von Santiago, die König Alfonso als persönliche Leibwache gedient hatten entgingen dem blutigen Opfer. Überrascht bemerkten sie, das ihr Großmeister von diesem schrecklichen Schauspiel ganz und gar nicht beeindruckt war, sondern es sehr gelassen mitverfolgte, ganz so, als ob er in dem Augenblick, in dem der Erzbischof sein Wort der Macht gesprochen hatte, gewusst hatte, wie viel dieser Sieg ihn kosten würde.
Auch die drei anderen Könige beobachteten zynisch und ruhig, wie die Spektren ihre Getreuen niedermachten und sie mit sich in die Abgründe der Finsternis rissen. Keiner der vier schien dem Erzbischof von Santiago wegen seiner abscheulichen, nekromantischen Zauberei auch nur den geringsten Vorwurf zu machen. Ganz im Gegenteil. Als das Schattenheer sich endlich mit dem Blutgeld des Tages zufrieden in Luft auflöste, lobten und herzten sie ihn gemeinsam für seinen schlauen Streich und beglückwünschten sich gegenseitig, dass keine Zeugen übrig waren, die berichten konnten, um welchen Preis die vier christlichen Könige die Almohaden endgültig zerbrochen hatten.
Auch dem geringsten und niedersten Tölpel hätte ein einfacher Blick auf den Südhang der Sierra Morena gereicht, um zu verstehen, das die maurischen Herrscher von Al Andalus sich niemals wieder von dieser Niederlage erholen würden. Am Tag von Navas de Tolosa hatten die vier Könige um den Preis ihrer Seelen und des guten Blutes ihrer Ritter den Samen zum Untergang der Sarazenen gepflanzt. Nun konnten sie sich zurücklehnen und abwarten...und wie die Aasgeier den geschwächten Leib von Al Andalus zerreißen und untereinander aufteilen.
Ohne auch nur einen weiteren Gedanken an den christlichen Blutzoll zu verschwenden, begab man sich gemeinsam mit dem listigen Erzbischof Muñoz in das prächtige Zelt von König Alfonso, um den Sieg zu feiern. Nicht einmal der süßliche, ekelhafte Verwesungsgeruch, der bei Einbruch der Nacht von der Sierra Morena herüberwehte konnte die gute Laune der Verschwörer trüben und Pedro Muñoz hielt sich nicht zurück, sich zu brüsten, wie ihm dieser böse Streich so mühelos gelungen war und wie dumm die Mauren doch waren, jedem der es lernen wollte an ihrer berühmten Schule in Cordoba die Geheimnisse ihrer Schwarzen Kunst zu vermitteln.
Nicht nur der fatalistische Glauben der Sarazenen machte sie für Wahrsagekünste empfänglich; sie pflegten die geheimen Wissenschaften eifriger als irgendein anderes Volk und waren gewiss in ganz Europa die geschicktesten Lehrer und Jünger der Zauberei. An der Schule von Cordoba lehrten zwei Professores der Astrologie, drei der Nekromantie, Pyromantie und Geomantie und einer der Ars Notoria. Sie lehrten Muslime, Juden und Christen ohne Unterschied. Sie alle hielten tägliche Vorlesungen und er –Pedro Muñoz – hatte sich in seiner Jugend nicht zurückgehalten, seinen Durst nach verbotenen Kenntnissen am Busen der Schlange selbst zu stillen.
Dann brach der Erzbischof in schallendes Gelächter aus und erzählte weiter: Die dummen Sarazenen gestatteten nicht nur jedem diese wunderbare schwarze Schule zu besuchen und dort wahre Meisterschaft zu erlangen...und das obwohl auch bei den Mauren die Zauberei mit dem Tode bestraft wurde. Sie gestatteten es auch, dass all ihre schwarzen Bücher ohne Unterschied von den Übersetzern der Schule von Toledo in die lateinische Sprache und in die Vulgata übersetzt wurden, damit auch wirklich jedermann sie lesen und benutzen konnte.
Der Erzbischof war so stolz auf sich und seine Schlauheit, dass er es nicht einmal bemerkte, wie die kleine Gruppe der überlebender Santiago-Ritter das Zelt ihres Großmeisters König Alfonso VIII. verließen, um draußen im Schutz der Sterne und des zunehmenden Mondes mit ihrem Blut und auf ihr Leben einen heiligen Eid zu schwören.
Was diese Ritter am Tag von Navas de Tolosa gesehen hatten, hatte nicht nur ihren christlichen Glauben in seinen Grundfesten erschüttert, sondern auch den Respekt für ihren Großmeister Alfonso von Kastilien und die anderen sogenannten christlichen Könige zerstört, die bewiesen hatten, dass sie um den Preis eines Sieges sogar ohne zu zögern mit den Mächten der Hölle paktierten. Es hatte ihnen vor allem auch gezeigt, wie gefährlich es war, gewisse Dinge vollkommen skrupellos unter den Menschen zu verbreiten, nur weil der Zeitgeist es gerade gestattete.
Sie beschlossen darum, mit denen, die sie vor dem Grauen von Navas de Tolosa noch bereitwillig und ohne zu Zögern alleine wegen ihres Glaubens totgeschlagen hätten in Verbindung zu treten und anstelle des Kampfes suchten die überlebenden Santiago-Ritter nun einen vorsichtigen Austausch. Doch umso mehr sie von den geheimen Wissenschaften lernten, die zu bekämpfen und auszumerzen sie sich in der Nacht von Navas de Tolosa geschworen hatten, umso weniger waren sie gewillt, die uralten Schriftrollen und Manuskripte, die sie in ihren Besitz bringen konnten, einfach zu zerstören. Neben jenen grauenvollen und unheimlichen Grimoarien, die bis zum Rande mit schwarzer Magie angefüllt waren, stießen sie auch auf viele Werke, die den Aufmerksamen und im Geiste wachen den