Plötzlich auf Föhr. Rainer Ballnus
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Vor dreißig Jahren hatte sie mit ihren Eltern zum ersten Mal Urlaub auf dieser Insel gemacht. Sie war ganz begeistert gewesen von dieser Familienidylle mit dem herrlichen Strand. Alles war so beschaulich gewesen und mit der Hektik in Kiel gar nicht zu vergleichen. Dort hatten sie mitten in der City in einer Zweieinhalbzimmer-Wohnung beengt leben müssen.
Sie konnte sich noch heute ganz genau an ihre erste Begegnung erinnern: Nach einer Woche Urlaub war ihr damals das Taschengeld ausgegangen und sie hatte von ihrem Sparkonto noch einen kleinen ‚Nachschlag’ abheben wollen. Da waren sie sich zum ersten Male in der Inselbank am Schalter für Spareinlagen begegnet, er schüchtern und mit Brille.
Irgendwie hatte es gleich bei beiden gefunkt. Denn noch am selben Abend waren sie verabredet gewesen und schon ein Jahr später verheiratet.
Viele Kinder hatten sie sich gewünscht. Irene seufzte tief, denn daraus war leider nichts geworden. Aber auf die Insel war sie mit ihm gezogen und sie waren glücklich.
Längst waren ihrem Mann von der Zentrale Angebote unterbreitet worden, andere größere Filialen auf dem Festland zu übernehmen. Aber beide waren so verbunden mit diesem Stückchen Erde, dass er jedes Mal abgelehnt hatte. Sie hatten ein gutes Auskommen und viele Freunde, auf die sie sich wirklich verlassen konnten.
Auch bei diesem Urlaub, den sie jetzt in den Bergen planten, war es eine Selbstverständlichkeit, dass ihre Nachbarn die beiden Katzen versorgten und auch sonst nach dem Rechten sehen würden.
Ja, sie konnten sich schon glücklich schätzen und morgen sollte es in aller Frühe losgehen. Wenn alles gut ging und der Autoverkehr ihnen keinen Strich durch die Rechnung machte, dann könnten sie in der Nähe von Seefeld in Österreich ihr Appartement beziehen und sich genüsslich ihrem Punsch widmen.
„Denk' bitte daran, dass wir diesmal meine neuen Bergstiefel mitnehmen“, unterbrach Klaus Matthießen ihre Gedanken.
„Und du vergiss nicht, heute pünktlich nach Hause zu kommen. Du weißt ja, wir müssen früh schlafen gehen“, mahnte Irene ganz bewusst. Sie kannte ihn nur zu genau. Da kamen dann kurz vor 16.00 Uhr noch altbekannte Kunden und schon wurde ein kleiner Plausch gehalten, der nicht selten in der gemütlichen Gaststätte genau gegenüber der Bank fortgesetzt wurde.
Kundenbetreuung nannte ihr Mann das, wenn er gelegentlich leicht angeheitert nach der Tagesschau ziemlich kleinlaut bei ihr um Verzeihung bat.
„Na klar, Liebes! Das verspreche ich dir. Heute komme ich superpünktlich“, sprach's, nahm seinen Hut und Mantel, gab seiner Frau einen Kuss und machte sich auf den zehnminütigen Fußweg zu seiner geliebten Bank.
Dabei hatte er ein fröhliches Lied auf den Lippen. Er sah wirklich keinen Grund, warum er ausgerechnet heute sein Versprechen nicht einhalten sollte, wo es doch in den wohlverdienten Urlaub ging. Und doch sollte es anders kommen, ganz anders.
Gähnend reckte sich Karl in dem bequemen Bett. Mit der rechten Hand tastete er nach der Uhr auf dem Nachttisch. Ach du liebe Zeit, schon halb elf, stellte er erschrocken fest.
Wirklich höchste Eisenbahn, wenn du es noch schaffen willst, am Vormittag zur Bank zu gehen.
Das Geld rann einem auch nur so durch die Finger; und dazu noch das neue Kleid für Madam.
Ohne die Augenlider zu bewegen, fuhr er mit der linken Hand auf dem Bettlaken entlang, bis er den Oberschenkel seiner Frau spürte. Er war erst versucht, ihn zu streicheln. Doch irgendetwas hielt ihn heute davon ab. Der gestrige Abend kam ihm in Erinnerung. Er hatte wirklich sehr nett angefangen und seine Frau war besonders bemüht gewesen, ihm zu gefallen.
Das konnte er ja wohl auch erwarten, bei dem Preis für den „Fummel“, grinste er vor sich hin.
Doch dann kam an dem Abend die große Wende.
Eine Frau, ach was Frau, ein rassiges Weib war schuld daran. Sie hatte mit einem männlichen Begleiter am Nebentisch Platz genommen. Zufällig war ihr Stuhl so günstig gestellt gewesen, dass sich ihre Blicke gleich darauf getroffen hatten - und hängen geblieben waren.
Das war ein Gefühl gewesen, durchzog es ihn auch heute Morgen noch.
Zuerst zögerlich, dann immer dreister werdend hatte er den Augenkontakt gesucht und Gefallen an diesem Spielchen gefunden, so dass sich seine Frau darüber beschwerte, sie nicht gebührend beachtet zu haben.
„Sind Sie noch länger hier?“, hatte die attraktive Blonde ihn bei einer flüchtigen Begegnung an der Bar gefragt und dabei durchblicken lassen, dass sie sich den ganzen Winter auf dieser herrlichen Nordseeinsel erholen würde.
Er hätte beinahe die beiden Mixgetränke für seine Frau und sich fallen gelassen, so erschrocken war er über ihren 'Vorstoß' gewesen.
„Wie man's nimmt, eine Woche“, hatte er stotternd geantwortet und dann war auch schon seine Frau bei ihm gewesen, um ihm die Gläser aus der Hand zu nehmen und ihn zum nächsten Tanz zu bitten. Damenwahl hatte es geheißen.
Ob sie etwas gemerkt hatte? Ich glaube nicht, beruhigte er sich, sie war wie immer gewesen. Ja, wie immer, das war es doch, was ihm nicht mehr gefiel. Alles war Gewohnheit geworden - auch das Liebesleben.
Sicher, er konnte sich nicht beschweren, sie war immer für ihn da, aber irgendwie war es immer das Gleiche.
Gedanklich hatte er schon einige Male mit dem Reiz einer neuen Begegnung gespielt, aber eben nur gedanklich. Und nun tat sich zum ersten Mal eine reale Chance auf. War es wirklich eine solche oder war es vielleicht nur eine so dahin geworfene Bemerkung? Aber nein, diese glutvollen Blicke waren doch so einladend, so viel versprechend gewesen.
„Karl! Bist Du wach?“
Seine Frau war es, die ihn so abrupt aus seinen schwelgenden Gedanken riss.
Diese Stimme - so schrill! Sie ging ihm im Augenblick so richtig auf die Nerven und sofort war er wieder bei der Schönen mit ihrem so melodischen und sanften Gesäusel.
„Karl! So antworte doch! Ich weiß doch, dass du wach bist! Koch' bitte den Kaffee, aber nicht so stark, wenn ich bitten darf!“
„Schrei' doch nicht so!“, gab er unwirsch zurück und schlug die Bettdecke zurück. Er hatte ohnehin keine Lust mehr, neben ihr im Bett zu liegen.
Sie treibt mich ja regelrecht in die Arme der Blonden, dachte er, schlüpfte in seine Pantoffeln und war gerade auf dem Weg ins Bad, als Herta ihm hinterher keifte:
„Ich schrei' ja gar nicht! Du brüllst doch!“
Das hörst du dir nicht mehr länger an, grollte er innerlich und knallte die Badezimmertür hinter sich recht unsanft ins Schloss.
Dabei hatte der Urlaub so gut angefangen. Er war Beamter und hatte es nicht verhindern können, vor vier Wochen befördert worden zu sein. Weißt du was, hatte er seiner Frau vorgeschlagen, wir fahren nach Wyk auf Föhr und machen mal ganz allein zwei Wochen Urlaub. Wir sollten einmal so richtig ausspannen. Die Kinder sind ja schließlich schon groß und können sich von den Omas verwöhnen