Plötzlich auf Föhr. Rainer Ballnus
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Читать онлайн книгу Plötzlich auf Föhr - Rainer Ballnus страница 5
„Das kommt von der Inselbank; wahrscheinlich wieder einer dieser blöden Fehlalarme, vermutlich von der 'Putze'. Schauen Sie doch mal nach, Kollege Feller. Das dürfte dann wohl die letzte Amtshandlung für Sie heute gewesen sein.“
Dieser nickte, schnallte sein Koppel mit der Pistole um, holte sich den Schlüssel für den Dienstwagen und machte sich auf den Weg. Auch er dachte nur an einen Fehlalarm. Deshalb ließ er sich auch Zeit. Das passte eigentlich gar nicht zu ihm, denn er nahm sonst jeden Alarm ernst und das nicht nur, weil es die Dienstvorschrift verlangte.
Feller hatte nur noch wenige 100 Meter bis zur Bank und war mit seinen Gedanken bei seiner Frau. Ungeduldig stand er an der Ampel und wartete auf die Grünphase. Aber es dauerte und dauerte und ihm riss der Geduldsfaden. Er zog den Wagen nach links an den wartenden Autos vorbei und rauschte auf die Kreuzung zu. Ganz automatisch ging seine Hand zum Schalter für Blaulicht und Martinshorn und damit nahm das Drama seinen Lauf.
„Ich sag’s nicht noch mal!
Das ist ein Überfall! Alle an die Wand! Das Geld hier hinein!“
Alle schauten wie erstarrt zur Tür. Dort stand ein Mann im dunkelblauen Rollkragenpullover, der bis über das Kinn hochgezogen war. Der Kopf steckte in einer Strumpfmaske; die Nase war platt gedrückt. Er trug Handschuhe und drohte mit einem Revolver. In der linken Hand hielt er eine Plastiktüte hoch und ging damit auf die Kassiererin zu.
Matthießen erkannte die Gefahr sofort. Elke Mommsen in ihrer Kassenbox schwankte. Sie war wachsbleich im Gesicht und drohte, ohnmächtig zu werden. Er musste also handeln. Vorher drückte er allerdings noch unbemerkt auf den Knopf für den ‘stillen’ Alarm.
Doch er kam zu spät. Der Räuber machte zwei weitere Schritte auf die Kassiererin zu und brüllte sie an:
„Hier in die Tüte, aber dalli und keine Tricks!“
Jetzt galt es, einen klaren Kopf zu behalten. Elke Mommsen bereitete ihm große Sorgen; sie konnte sich selbst, aber auch die anderen in höchste Gefahr bringen.
„Geben Sie her, ich mach' das!“, rief er mit fester Stimme und war mit ein paar Schritten bei der Kassenbox.
„Wieso, ist das Fräulein unpässlich? Na meinetwegen, aber schnell muss es gehen!“
Der Filialleiter fasste vorsichtig die Tüte. Er hatte es jetzt nicht besonders eilig, denn er wollte der Polizei einen Vorsprung verschaffen. Betont langsam schloss er die Tür zur Kassenbox auf und in diesem Augenblick sackte seine Kassiererin langsam in sich zusammen, streifte mit dem Kinn die Kante des Tresens und drohte nach hinten zu fallen. Blitzschnell sprang er zu und konnte gerade noch verhindern, dass sie mit dem Hinterkopf auf den Fliesenboden schlug.
Sein nächster Blick galt dem Täter.
„Einen Augenblick bitte, ich möchte die Frau nur kurz auf den Sessel ziehen“, bat er mit leiser Stimme. Doch der Räuber richtete seine Waffe gezielt auf den Filialleiter und brüllte:
„Fallen lassen! Sofort fallen lassen! Das Geld hinein, sonst knallt's!“
Matthießen erkannte den bitteren Ernst, ließ Elke sanft auf den Fußboden zurückgleiten, nahm die Tüte und zog die Geldschublade auf.
Die Kunden waren seit Beginn des Überfalls wie angewurzelt auf ihren Plätzen stehen geblieben. Niemand wagte jetzt, sich zu rühren oder doch?
Der Landstreicher meinte, eine günstige Chance zur Flucht erkannt zu haben. Vorsichtig setzte er seinen linken Fuß nach hinten und zog den rechten langsam nach. Schritt für Schritt kam er der Eingangstür näher. Er jubilierte innerlich. Von den anderen hatte nur Karl Padow das Manöver mitbekommen und überlegte gerade, ob er es auch noch schaffen würde, da hörte er die Rentnerin Erna Jensen lospoltern:
„Sie sollten sich schämen! Gehen Sie lieber einer ehrlichen Arbeit nach, Sie - Sie Verbrecher!“
Padow, Hans, aber auch der Filialleiter erstarrten. Alle blickten gebannt auf den Räuber.
Doch der schnauzte den Banker nur an: „Machen Sie weiter, Mann!“
Dann drehte er sich halb zur Rentnerin um und erkannte dabei sofort die Absicht des Landstreichers.
„He, du Stinkbolzen, was soll das denn werden? Zurück, marsch, marsch!!“
Unmissverständlich zielte er mit der Pistole auf den Landstreicher und dieser schlich wieder zurück an seinen alten Platz. Erna Jensen warf er noch einen wütenden Blick zu und auch Padow schüttelte missbilligend den Kopf. ‚Stinkbolzen’ hatte dieser Mensch zu ihm gesagt. Der Landstreicher, der auf den Namen Hans hörte, kochte innerlich. Er hatte bisher noch keine Bank ausgeraubt, obwohl – so reizlos war die Sache eigentlich gar nicht. Nur hier auf Föhr, nein, das kam nun überhaupt nicht infrage. Schließlich hatten sein Kumpel Paul und er in der letzten Zeit hier eine feste Bleibe gefunden.
Am Stadtrand sollte die Straße verbreitert werden und Paul hatte einen Bauwagen ausgemacht, der nicht verschlossen gewesen war. Seit drei Wochen konnten sie jetzt schon ihre müden Glieder nachts auf den Sitzbänken in der warmen Bude ausstrecken. Und wie es aussah, würde es noch einige Zeit so weitergehen können.
Zumindest meinte das sein Partner und der musste es eigentlich wissen, denn er hatte ja schließlich im Straßenbau gearbeitet, bevor er arbeitslos wurde.
Gearbeitet! Wann habe ich denn das letzte Mal 'malocht', musste er innerlich grinsen. Das dürfte jetzt schon runde zwanzig Jahre her sein, dass ich zum letzten Mal einen Spaten in der Hand gehabt habe.
In einer Gärtnerei war er als ungelernte Kraft beschäftigt gewesen. Wie ein Stück Dreck hatten sie ihn behandelt. Selbst dem Hund seines Arbeitgebers war es besser ergangen als ihm, denn der wurde schließlich hin und wieder gestreichelt - aber er?
Und die Bezahlung! Ganze 450 Mark hatte er damals auf die Hand bekommen und das bei der Schufterei, manchmal bis zu zehn Stunden am Tag.
Nein – das hatte er nun wahrlich nicht nötig. Du steigst jetzt aus und lebst von der Fürsorge, die ist schließlich höher als dein jämmerlicher Lohn und dann wirst du erst einmal die Welt kennen lernen.
Bei dem letzten Gedanken verzog sich sein Gesicht zu einer Grimasse. Die Welt kennen lernen! In zwanzig Jahren war er von Krempe bei Itzehoe über Kiel, Schleswig, Heide, Husum und jetzt schließlich auf der Insel Föhr gelandet.
Hier gefiel es ihm am besten - auch wenn es Winter war. Trotzdem war es nicht so kalt wie auf dem Festland und noch etwas kam hinzu: Die Leute waren richtig nett zu ihm.
„Hans, besorg' uns doch ein paar Brötchen und 'ne Buddel Bier. Ich hab' noch zwei Euro und fünfzig Cent in der rechten Hosentasche.“ Das hatte Paul ihm noch nachgerufen, als er heute Morgen den Bauwagen verließ. Ja, der gute Paul. Ihm war es auch nicht besser ergangen. In Kiel hatte er ihn auf einer Parkbank getroffen. Dort hatte er ihm seine ganze Lebensgeschichte anvertraut. Dem war inzwischen alles egal. Persönliche Ziele hatte er überhaupt keine mehr. Die Hauptsache für seinen Partner war, dass er bei ihm war.
Er dagegen träumte immer noch vom großen Gewinn. Trotz der zwanzig Jahre des Herumzigeunerns