Silber. Hans.Joachim Steigertahl
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Als er aus dem Stall trat und sorgfältig die Tür wieder verriegelte, brach das Unwetter, das er schon vor Stunden ertragen hatte, erneut los. Heftige Sturmböen peitschten die Birken an der Klostermauer, im Westen zuckten erste Blitze. Noch vor dem ersten Regenguss lief Cuonrad eilig an der Klosterkirche und dem Kreuzgang entlang zum Haus des Abtes.
Ono von Wettin war von Walafried, dem Bruder Pförtner, der den späten Gast eingelassen hatte, schon in Kenntnis des längst befürchteten Ereignisses gesetzt worden und erwartete Cuonrad mit zwei reich verzierten Kelchen dunklen, roten Weines.
„Setz dich“. Cuonrad betrat den spartanisch aber erlesen möblierten Wohnraum des Abtes, der trotz seines Amtes kaum älter war als der Ritter. Gewebte Teppiche mit Darstellungen aus dem Leben und Wirken Christi bedeckten die beiden Querwände, direkt gegenüber der Tür befand sich das große Fenster mit der oben zulaufenden Spitze, wie es in den letzten Jahrzehnten Mode geworden war; völlig ungewöhnlich war der Luxus der mit Blei gefassten bunten Scheiben, die den ganzen Rahmen ausfüllten und so das Unwetter draußen hielten. Bei jedem Blitz konnte Cuonrad andere Szenen im Glasfenster erkennen. Unter dem Fenster stand die schwere, aus Eichenholz geschnitzte Truhe, in der die Dokumente des Klosters aufbewahrt wurden, auch die, die Cuno über sich und die Seinen ihm zur Verwahrung übergeben hatte. Zwei Fackeln in ihren Wandhalterungen rechts und links des Fensters gaben ein schwaches, aber im Vergleich mit den Blitzen stetiges Licht. Der Abt, ein großer, kräftig gebauter Mann, kaum älter als Cuonrad, der nach den langen Jahren des Streitens und Ausgleichens eher wie ein Ritter als wie ein Kirchenmann erschien, saß, mit der schwarzen, weit fallenden Kutte seines Ordens bekleidet, den Kopf von der Kapuze fast verdeckt, in einem reich verzierten Armstuhl aus hellem Holz, neben sich ein Tischchen mit Intarsien, auf dem die beiden Kelche standen; zwischen ihnen lag die – wie Cuonrad wusste – reich illustrierte Bibel, in die sich Ono in seinen wenigen Mußestunden zu vertiefen pflegte. Er wies auf den Stuhl an der anderen Seite des Tischchens. „Mach die Tür zu, das Wetter ist gar zu unchristlich – und außerdem muss niemand zuhören.“
Der Ritter legte seinen schweren Mantel ab, der bisher den wappengeschmückte Brustharnisch verborgen hatte und ließ sich in den Stuhl sinken. Unter den prüfenden Blicken das Abtes lächelte er kurz und sagte: „Nein, nein, Ihr müsst nicht schauen, ich habe keine Pestbeulen, bin unverletzt und vom letzten Gewitter schon fast wieder trocken, aber müde. Auch des Lebens!“
Der Abt reichte ihm den ziselierten Pokal: „Trink erst einmal und dann erzähle!“
Steigerthal, Thüringen, Frühjahr 1316
Cuno hüpfte unbeschwert die zwei Stufen zum Lichthof hinunter, rannte durch den äußeren Zwinger zum Tor und schaute den beiden Reitern entgegen, die eben auf die steinerne Bogenbrücke ritten.
Über ihm hatte aus der Wachstube schon der Ruf „Wettin“ gehallt und war mit „turingia semper“ von den beiden Reitern beantwortet worden.
Auf einem kräftigen Braunen saß sein älterer Bruder Gernot - meistens nur der „Kleine“ gerufen, um ihn von seinem Vater Gernot, dem „Alten“ zu unterscheiden - wenig standesgemäß gekleidet in einen einfachen, blauen Bauernkittel ohne Wappen, der hervorragend dazu diente, das darunter getragene Kettenhemd und das Kurzschwert zu verbergen. Ihm zur Seite ritt Cuonrad von Hohnstein, Cunos Pate, im glänzenden Kettenhemd unter dem wehenden Mantel. Er war das Oberhaupt der weit verzweigten Familie derer von Hohnstein. Hinter ihnen folgten ein paar von Hohnsteins Leuten und sein Knappe mit dem Schild. Hohnstein, die rechte Hand des Landgrafen Friedrich, des Herrschers über Thüringen, gehörte zu einem alten Grafengeschlecht, dessen Stammsitz, Burg Hohnstein, etwa drei Tagesritte nach Südosten lag. Burg Hohnstein war auch das Vorbild für die Burg in Steigerthal gewesen, einer der Gründe, warum Cuonrad von Hohnstein gerne hierher kam.
Cuno schaute seinem Bruder kurz ins Gesicht, um irgendwelche Informationen ablesen zu können. Aber der „Kleine“ war schon so geübt, dass sich Cuno, ohne seine Neugier befriedigt zu haben, vor Hohnstein verbeugte und ihn in Steigerthal willkommen hieß, wie es Usus war in den Burgen der thüringischen Ritter.
Der Graf glitt von seinem grauen Hengst, drückte sein Patenkind kurz aber herzlich an sich und befahl: „Bring mich zu deinem Vater!“ Cuno hatte hunderte von Fragen, er hatte ja gesehen, was im Dorf gestern Abend geschehen war, aber er wusste, dass Hohnstein erst seinen Vater sprechen wollte. Zu Cunos Glück kam einer der beiden Stallburschen herbei um die Pferde zu versorgen, so dass der Junge mit dem Angebot „Darf ich Euch zu ihm führen?“ wenigstens die Chance hatte, bei dem Gespräch dabei zu sein.
Stolz lief Cuno vor dem Grafen und seinem Bruder durch den Hof zum im Süden der Burg gelegenen Wohnhaus der Familie. Sie stiegen die wenigen Stufen, die immer noch aussahen als wären sie frisch gehauen worden, hinauf; einer der beiden Torflügel war offen, um die warme Luft in den Saal hineinzulassen. Der „Kleine“ öffnete auch den zweiten Flügel und ließ den Grafen eintreten.
Der Boden des Saals war mit frischem Stroh bestreut, die großen Tische waren mit Sand geschrubbt, Becher und Holzteller standen sauber in der Mitte. Nur die an der Wand gestapelten Bänke für das Gesinde wiesen darauf hin, dass offensichtlich gerade der Saal geputzt worden war. Der große offene Kamin am Ostende des Saals war mit einem Strohteppich verhängt, damit die warme Luft des strahlenden Tages nicht gleich wieder entwich. Cuno stürmte die Holztreppe rechts neben dem Kamin hoch, klopfte an die dritte Tür und trat ein, ohne auf Antwort zu warten. „Cuno!“ Die Stimme des Vaters klang unwirsch. „Habe ich ‚Herein‘ gesagt?“ „Entschuldige, Vater, aber ich habe Dir den Grafen Hohnstein gebracht, den Du doch sicher nicht erwartet hast!“ „Ich weiß, dass er da ist, ich habe sein Wappen auf der Satteldecke schon erkannt, lange bevor er die Zugbrücke mit Gernot betrat, auch wenn der Mantel es meist verdeckte; und schließlich kenne ich den Herrn Grafen gut genug! Tretet ein!“ wandte er sich an den Grafen „ und verzeiht dem Wildfang Cuno sein mangelndes Benehmen.“ Cuonrad trat ein, lächelte Gernot an und legte ihm beide behandschuhten Hände auf die Schultern. „Es tut gut, Euch wohl zu sehen in diesen unruhigen Zeiten!“
Die beiden Männer traten an das Fenster, das seit dem Wärmeeinbruch von seiner Bretterverschalung befreit war, und schauten hinunter zum Dorf. Zwei verkohlte Ruinen waren deutliche Zeichen für das, was der Graf meinte.
Der „Kleine“ hatte ihm auf dem Weg hierher berichtet, was geschehen war: Eine Truppe Reiter unter der Fahne des benachbarten Städtchens Nordhausen war des Abends angerückt und hatte plötzlich die wenigen noch anwesenden Bergleute mit Waffengewalt vertrieben, das Windenhaus über dem Schacht angezündet, den zum Löschen herbeigeeilten Schachtmeister niedergeschlagen, ihm den Schlüssel entrissen und dann in der Schmelzhütte das fertige Silber entwendet, bevor sie auch diese Kammer dem Feuer überantworteten und unter lautem Gejohle davonjagten.
Menschen waren wohl nicht zu Schaden gekommen, der Schachtmeister hatte sich bald wieder erholt, aber die Schmelzöfen waren zerstört, der Schacht ohne Winde nicht mehr benutzbar, das Silber fort. Graf Hohnstein, den der Landesherr Friedrich zum thüringischen Münzvogt ernannt hatte, hätte daraus in den kommenden Wochen Münzen schlagen lassen sollen, um die dringendsten Bedürfnisse des Hofes und des Heeres zu befriedigen.
Während der Alte berichtete, legte Graf Hohnstein die Handschuhe ab und warf den Mantel über einen Schemel. „Ich habe natürlich gleich heute Morgen den Kleinen mit zwei landfremden Knappen, die hier bei mir dienen, nach Nordhausen geschickt, um im Kloster und der Stadt zu erkunden, wer hinter dem Angriff steckt, aber leider konnte der Magistrat nachweisen, dass die Fahne gestohlen und