Im Vorhof zur Hölle. Beatrix Falkenstein
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„Ich würde Ihnen direkt einen Termin zur Stanze machen, wenn Sie wollen, nebenan in unserer Brustklinik.“ Ich sah sie verständnislos an.
„Wieso denn eine Stanze in der Brustklinik?“
„Das ist eine Gewebeentnahme, dann können wir im Labor überprüfen, was es ist.“
„Und wann soll dieser Termin sein und was passiert dabei?“, fragte ich, immer noch völlig verständnislos.
„Also, da wird unter Lokalanästhesie eine Stückchen Gewebe entnommen und ins Labor gesendet. Dann wissen wir, ob es Krebs ist oder nicht.“
Und da war es, mein Unwort des Jahres 2014: Krebs!
Sie kam schnell wieder zurück.
„Morgen um 12.00 Uhr?“
„Was, gleich morgen? Da habe ich doch Termine.“
Sie sagte nichts, schaute mich nur an.
„Naja, das hier ist wohl wichtiger als irgendwelche Termine im Geschäft, oder? Wann soll ich mich wo melden?“
„Sie gehen direkt hinten durch in die Brustklinik, da melden Sie sich an. Alles Weitere sehen wir dann.“
Sie gab mir die Hand und ich war allein; ein drittes Mal im Vorhof zur Hölle.
Ich war wie betäubt und ging mechanisch durch das Klinikgelände zum Parkhaus, setzte mich in mein Auto und starrte vor mich hin. Was war denn gerade über mich hinweggerollt? Ich konnte meine Gedanken nicht greifen, alles ging so schnell und ich verstand gar nicht, was da los war. Langsam fuhr ich los, musste ja wieder zurück ins Geschäft, in meine Klinik. Während der Fahrt klingelte mein Handy: Na, ist alles okay? stand in Deiner SMS. Scheiße, was sollte ich denn jetzt antworten? Ich wusste es doch selber nicht.
Ich schrieb zurück: Bin unterwegs, melde mich gleich!
Nach 15 Minuten hielt ich es nicht mehr aus und fuhr an den Straßenrand. Dann rief ich Dich an. Kaum hörte ich Deine Stimme, fing ich an zu weinen.
„Ich hab etwas in meiner Brust und morgen wollen sie da reinstechen und etwas zur Untersuchung schicken.“
„Was? Was ist denn das? Wieso ist da was, ich verstehe nicht!“
Ich versuchte Dir in Ruhe zu erklären, was passiert war und was jetzt gemacht werden sollte.
„Mach Dir keine Sorgen. Du hast Dich doch immer gesund ernährt und rauchst auch schon solange nicht mehr.“
Ich hörte pure Verzweiflung aus Deinen Worten und das nicht sein kann, was nicht sein darf. Ich dachte vermutlich das Gleiche wie Du und sagte: „Ich habe Angst zu sterben!“
„Ich weiß, aber Dir wird nichts passieren, bestimmt nicht.“
Ich fuhr ins Büro, in die Klinik. Meine Kollegin, die denselben Befund vor 13 Jahren gehabt hat, hatte Urlaub; mein anderer Kollege war da. Ich konnte es nicht für mich behalten und erklärte ihm: „Ich habe vielleicht Krebs und muss morgen zur Biopsie. Sie müssen die Sitzung morgen ohne mich machen.“
Er schaute mich mit großen Augen an.
„Ach, da wird bestimmt nichts sein, ganz bestimmt nicht, werden Sie sehen.“
Er konnte die Nachricht nicht wirklich verdauen, das merkte ich ihm an. Aber da konnte ich ihm nicht helfen, ich hatte jetzt erst mal genug mit mir zu tun.
Ich wusste nicht mehr, wie mir geschah. Was war passiert? Vorgestern war meine Welt doch noch in Ordnung. Ich wurde den Klumpen im Bauch nicht mehr los und während des Tages wurde mir klar, dass er wohl nie wieder ganz weggehen würde. Dabei hatte ich nur Angst vor der Untersuchung gehabt, nicht vor dem Ergebnis.
Als Du nach Hause kamst, hast Du mich mit Tränen in den Augen in den Arm genommen. Wir haben nur da gestanden, gemeinsam geweint und haben jeden Bezug zu Zeit und Raum verloren.
Ich konnte nur noch denken: Ich will nicht sterben. Ich habe Angst.
Wir haben dann viel geredet über die Möglichkeiten, die wir noch nicht kannten und irgendwann wurde mir klar: ich lasse mir einfach beide Brüste abnehmen, dann ist der Krebs weg und ich bin wieder gesund. Du nickst und sagst: „Die Dinger sind egal. Wenn es das Richtige ist, dann weg damit.“
Immer wenn Du mich ansiehst, steigen Dir die Tränen in die Augen und ich muss mitweinen. Ich fühle mich so scheiße und kann an dem Zustand einfach durch gar nichts etwas ändern. Der Klumpen klemmt mir alles ab, wie ein Monster, das tief in mir an mir herumnagt. Aber ich glaube, dir geht es noch schlechter, weil Du mir nicht helfen kannst.
Der Termin zur Stanze fand am nächsten Tag statt. Viel geweint habe ich vorher und zwischendrin. Ich hatte Angst, fühlte mich aber gleichzeitig gut aufgehoben. Ein fataler Fehler, wie ich heute weiß.
Vor der Stanze gab es erneut einen Ultraschall von der Pionierin der Senologie und dann auch das vernichtende Urteil.
„Dass das bösartig ist, sehe ich auf den ersten Blick. Hat meine Kollegin denn gestern nichts gesagt?“
Nein, hatte sie nicht. Endlich sah ich dann auch selbst die Bilder.
Wow, das dicke, weiß Ding steckt in meiner Brust? 2,4 cm groß, 2 Zipfel, sehr dichte Struktur und nicht tastbar?
Nein, man konnte es tatsächlich nicht fühlen. Selbst der Profi suchte und fand nichts und resignierte beim Abtasten. Das Bild war so krass in meiner Wahrnehmung, dass ich alles hinnahm, was man mir dann sagte.
Die Stanze war nicht schön. Aushaltbar, aber wirklich nicht schön. Es tat merkwürdig weh, so irgendwie tief innen. Dann bekam ich einen Druckverband und konnte mich wieder anziehen. Die ganze Zeit konnte ich meine Tränen nicht halten. Ich weinte und weinte und fing mich gar nicht mehr.
Die Professorin hatte mir viel zu sagen. Was gut wäre, was weniger, was ich jetzt tun sollte und was die nächsten Schritte wären. Wenn ich denn wollte! Wollte ich und hatte ich überhaupt eine Wahl?
„Am nächsten Tag, Freitag, rufen wir Sie an, ob die Histologie meinen Befund bestätigt. Am Montag gehen Sie dann zum Staging in die Nuklearmedizin für ein Knochenszintigramm, zum Ultraschall der Leber und zum Röntgen der Lunge. Das heißt, wir überprüfen die anderen wichtigen Stellen auf Metastasen. Wenn die Histologie steht und ich alles im Tumorboard besprochen habe, sehen wir weiter. Wir nehmen wir Sie dann stationär auf und operieren brusterhaltend. Vorher müssen Sie noch zum Sentinel – Markierung der Lymphknoten – und zur Anästhesie.“
Sie wendet sich an die Schwester.
„Bitte kümmere Dich um die Termine fürs Staging Und morgen rufst Du Frau Falkenstein an und gibst ihr die Histologie durch.“
„Ja, wenn der Befund dann auch schon im PC ist!“
„Nein, Du rufst bitte die Pathologie an und erfragst den Befund, okay?“
Zu mir gewandt sagte sie: „Das Warten ist oft das Schlimmste, wissen Sie?“