Zerrissen. Andreas Osinski

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Zerrissen - Andreas Osinski

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heruntergekommene Wohnungen in abbruchreifen Wohnsilos am Rande der Stadt. Nie wieder prügelnde und laut randalierende Nachbarn, die man besser nie zu Gesicht bekommen hätte. Und keine gebrauchten Einwegspritzen mehr im dunklen Kellereingang. Sie wäre gern mit ihm zusammengezogen. Aber eine Wohnung in einer besseren Gegend hatten sie sich einfach nicht leisten können. Nicht bei seinem Einkommen. Es war ihm wichtig gewesen, daß seine Freundin das Zimmer in der Wohngemeinschaft behielt. Er hatte sich geschämt und ihr eine solche Wohnung nicht zumuten wollen. Nicht bei diesem Umfeld. Es war so schon schwer genug. Auf jeden Fall waren sie einen großen Teil dieses Weges schon gegangen. Der Rest war eigentlich ein Kinderspiel. Die Zielgarade. Und was hatte er schon zu verlieren?Er hatte bereits seinen Bruder Theo verloren. Mehr konnte er eigentlich nicht verlieren, außer vielleicht noch die Liebe zu ihr. Aber sie hatte bislang immer zu ihm gehalten, sogar in der schlimmsten Zeit und sie würde es auch zukünftig tun. Dessen war er sich sicher. Theo war das einzige, was ihm in seinem Leben wirklich etwas bedeutet hatte. Theo war seine Familie.Vieles wäre einfacher, wäre sein Bruder noch in der Lage, diese Sache mit ihnen durchzuziehen. Er hätte sich sicherer gefühlt. Es war schließlich das erste Mal nach Theos Tod, daß er etwas wirklich Großes auf die Beine gestellt hatte. Etwas von Bedeutung. Alles war genauestens geplant und durchdacht. Es konnte nichts schiefgehen. Es durfte einfach nichts schiefgehen. Nicht dieses Mal! Der Mann griff kopfschüttelnd zur Seite und kurbelte den Sitz wieder in eine aufrechte Position. Bitte nicht dieses Mal, schoß es ihm durch den Kopf. Zielstrebig, so als ob er sich selbst beweisen mußte, daß ihm zumindest noch die Hand gehorchte, wenn er schon nicht diese Unruhe und das flaue Gefühl in seinem Magen richtig unter Kontrolle bringen konnte, langte der Mann tastend in Mittelkonsole des Wagens und kramte ein Päckchen Zigaretten hervor. Mit einer fahrigen Handbewegung öffnete er die Schachtel und nahm eine heraus. Irgendeine, ohne einer bestimmten den Vorzug zu geben. Letzendlich waren sie doch alle gleich, so wie die Leute hier. Leute, die eine gewisse Reichtumsgrenze überschritten hatten und die sich um den Rest der Welt einen Dreck scherten! Als der Bärtige in die Seitentasche der Jeansjacke griff, um eine Streichholzschachtel hervorzuholen, strich seine Hand wie zufällig über die geriffelten Griffschalen der Waffe. Etwas durchzuckte ihn mit der Wucht eines Blitzes und ließ ihn für einen Sekundenbruchteil erstarren. Er konnte förmlich hören, wie seine Schläfen wieder zu pochen begannen und etwas seine Hand abrupt zurückzog. So, als hätten seine Finger etwas Ekelerregendes berührt. Eigentlich haßte er diese Waffe, deren Existenzberechtigung sich nur aus Verletzen und Töten ergab und die aus friedliebenden Menschen im allernächsten Augenblick mordlustige Bestien formen konnte. Aber sie war wichtig, denn sie würde ihm die Kraft geben, seiner Forderung den nötigen Nachdruck zu verleihen. Für einen kurzen Moment war er unentschlossen, ließ die Hand dann jedoch wieder in der Seitentasche der Jacke gleiten und holte die Waffe schließlich hervor. Leicht und angenehm kühl lag die dunkle Walther PPK in der Hand. Drehend betrachtete er sie von allen Seiten.Mit Daumen und Zeigefinger seiner Linken zog der Mann den Verschluß der Waffe schließlich nach hinten und ließ ihn dann wieder nach vorn schnellen. Er wiederholte diese Bewegung mehrmals und je öfter er es tat, desto mehr hatte er das Gefühl, daß dies eine Art von Kommunikation zwischen ihm und der Waffe war. Frage-Antwort, Aktion-Reaktion, Spannung-Entspannung. Vor einer ganzen Weile schon hatte er die Pistole gekauft. Für zweihundert. Im Hafenviertel. Den Kontakt hatte ein alter Freund aus der Gefängniszeit hergestellt. Jemand, der gute Verbindungen in den Norden hatte und der ihn ab und zu noch besuchte. „Ladykiller“ hatte der mit einer Knastträne tätowierte Verkäufer abfällig geäußert, als er ausdrücklich nach dieser Waffe verlangte. Aber diese Pistole war handlich und unauffällig und leicht in einer Jackentasche zu verstecken. Nachdem der Mann die Walther noch einige Sekunden nachdenklich betrachtet hatte, ließ er sie mit einer schnellen Bewegung wieder in der Seitentasche der Jacke verschwinden und fingerte stattdessen ein Päckchen Streichhölzer hervor. Langsam öffnete er die Schachtel und nahm ein Zündholz heraus. Mit einer geübten Bewegung der Rechten riß er das kleine Stück Holz an der Seitenfläche der Schachtel an, legte den Kopf zur Seite und dirigierte es im Schutz der Handfläche langsam in Richtung Zigarette. Er beobachtete, wie sich die helle Flamme um den Zündholzkopf schloß und hierbei ganz offenbar einer chemischen Gesetzmäßigkeit folgte. An der Unterseite schien die Flamme blau, oben zunächst farblos, dann ins Gelb wechselnd, schließlich Orange. Dieses Farbenspiel war ihm bislang nicht aufgefallen und es wunderte ihn. Und erst als sich das Holz langsam schwarz verfärbte, lenkte er die Zigarette mit den Lippen in das Zentrum der Flamme. Der Mann sog den Rauch tief ein, behielt ihn für ein paar Sekunden in der Lunge und blies ihn dann hastig wieder aus. Eine Art innere Ruhe erfüllte seinen Körper und die Anspannung schwand langsam dahin. Gedankenverloren verfolgte der Bärtige den aufsteigenden Rauch der Zigarette mit den Augen, ohne hierbei den Kopf auch nur einen Zentimeter nach oben zu nehmen. Der Qualm stieg in einer glatten, T-trägerartigen Säule bis zum unteren Ende der vergilbten Sonneblende, dann bis zum oberen Rand der Windschutzscheibe, um danach wie ins scheinbare Nichts zu verwirbeln. Es gefiel ihm und es amüsierte ihn zugleich ein wenig, einen gezielten Luftschwall so in die aufsteigende Rauchsäule zu pusten, daß diese irritiert verwirbelte und sofort wieder ihrer Urform zustrebte, wenn er es abrupt unterließ. Der Mann wiederholte das Spielchen noch ein paar Mal, bis es ihn schließlich langweilte. Dann blickte er auf seine Armbanduhr. Es war zehn nach sieben. Seine Blicke verfolgten den stetig und unermüdlich wandernden Sekundenzeiger auf dem hellen Ziffernblatt. Monoton Runde für Runde drehend, ohne scheinbar auch nur den leisesten Wunsch eines Ausbruchs zu hegen. Hierbei registrierte er nicht die eigentliche Zeit, oder das, was man üblicherweise als Zeit bezeichnet, sondern nur die minimale und voraussehbare Bewegung des Zeigers. Diese kleine Unendlichkeit, die zwischen den einzelnen Sprüngen des goldfarbenen Sekundenzeigers lag. Von Ewigkeit zu Ewigkeit ging es ihm durch den Kopf und er mußte unweigerlich an Theo denken. Wieder einmal, denn diese Bilder verfolgten ihn noch heute. Wie sein Bruder so dagelegen hatte, friedlich mit gefalteten Händen, das Gesicht eingefallen und blaßrosa geschminkt. Das angedeutete Lächeln hatte auf seinen Lippen hatte künstlich ausgesehen. Unwirklich! Irgend jemand hatte sich sicherlich sehr viel Mühe gegeben und auch eine Menge Zeit investiert, um ihn so herzurichten. Aber das, was da in dem Sarg vor ihm lag, hatte nicht mehr die geringste Ähnlichkeit mit seinem Bruder. Sie hatte ihm abgeraten, Theo noch einmal anzuschauen. „Behalte Deinen Bruder so in Erinnerung, wie Du ihn das letzte mal lebend gesehen hast.“ hatte sie ihn gebeten. Er hatte es trotzdem getan, weil es ihm wichtig war. Er mußte sich doch verabschieden, von seinem Bruder. In der kleinen baufälligen Kapelle am Rande der Stadt dann die monotone Predigt des Pfarrers. Dickbäuchig und mit strafendem Gesichtsausdruck. Er hatte dem Geschwafel des Gottesmannes nicht richtig zugehört, war mit den Gedanken woanders gewesen. Weit weg von alledem! Aber irgendwie hatte der Prediger mehrmals von Sünde und Vergebung gesprochen, diese Worte waren ihm noch in Erinnerung geblieben. Sünde und Vergebung, darum ging es wohl im Leben und scheinbar auch im Tod. Nur eine handvoll Menschen war da. Beatrice war aus Canada angereißt. Er selbst hatte für die Beerdigung Freigang bekommen. Ein Vollzugsbeamter hatte ihn begleitet, ohne Handfesseln und stets im Hintergrund. Am geöffneten Grab dann hatten sie ihm alle die Hand geschüttelt. Er wußte nicht genau warum und hatte sich sehr unbehaglich gefühlt. Und er hatte eine rote Rose auf den Sargdeckel geworfen, danach eine Schaufel Sand. Und als alle gegangen waren, hatte er noch eine zeitlang am offenen Grab gestanden und wirklich Abschied genommen. Allein! Der Mann nahm einen weiteren tiefen Zug der Zigarette und drückte den Nacken wieder gegen das abgewetzte Leder der Kopfstütze. Eine wohltuende Kühle durchflutete seine Nackenmuskulatur und er wandte den Kopf leicht nach rechts und links. Theo hatte diese Armbanduhr geliebt. Und niemals hatte sein Bruder diese Uhr abgelegt. Nie hatte man ihn ohne gesehen. Nicht einmal beim Duschen. Theo hatte sich diese Breitling von seinem ersten selbstverdienten Geld gekauft und lange darauf sparen müssen. Alle hatten ihn für verrückt erklärt, so viel Geld für eine Uhr auszugeben. Aber es war seinem Bruder wichtig gewesen. Diese Armbanduhr war das einzige, was ihm als Erinnerungstück geblieben war. Diese Armbanduhr, eine handvoll vergilbter Fotos und ein paar schöne Erinnerungen aus der gemeinsam verlebten Kindheit.Er konnte sich noch gut darin erinnern, wie sie als Kinder zusammen geangelt hatten. An ihrem See, wo sie auch beide das Schwimmen erlernt hatten. In der Schule dann waren sie das erste Mal voneinander getrennt gewesen. Aber nur Vormittags. Nachmittags waren sie wieder die Clausen-Gang. Sie hatten immer zusammengehalten. Wie Pech und Schwefel. Und keiner konnte ihnen etwas anhaben! Dann hatten sie sich eine zeitlang aus den Augen verloren. Theo war nach Canada gegangen und hatte dort sein

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