Zerrissen. Andreas Osinski
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Kapitel 2
Der machanische Wecker auf Klaus-Dieter Warbs Nachttisch klingelte laut und ohne Erbarmen. Stärker und stärker drang das pulsierende und nervenzerreißende Tönen wie durch einen dichten Nebel hindurch in sein Bewußtsein. Dabei war es ihm zunächst so vorgekommen, als sei dieses helle Klingeln ein Teil des soeben durchlebten Traumes gewesen.Er hatte sich mit seiner Frau Lisa auf einem riesigen weißen Kreuzfahrtschiff in der Ostsee befunden. Einem futuristisch anmutenden Luxusliner mit blauen Schornsteinen und hoch herausragenden Aufbauten. Sie waren soeben mit kleiner Fahrt in die riesige Schleusenanlage vor dem Nord-Ostsee-Kanal eingelaufen und hatten dann gestoppt. Der russische Kapitän auf der Brücke hatte etwas Unverständliches in die Lautsprecheranlage gerufen und die Crew an Oberdeck hatte daraufhin begonnen, das Schiff an der Schleusenmauer festzumachen. Sie hatten beide auf dem Promenadendeck gestanden. Arm in Arm. Und sie hatten von hoch oben dem geschäftigen Treiben dort unten interessiert zugeschaut. Die Arbeiter in der Schleuse hatten auf sie wie kleine geschäftige Ameisen gewirkt. Fortwährend hin- und herlaufend, scheinbar planlos und ohne Ziel. Im hinteren Bereich der Schleuse hatten dann plötzlich große rote Leuchten aufgeblinkt. Sie hatten sich erschrocken umgedreht und bemerkt, daß sich die mächtigen Schleusentore in ihrem Rücken in Bewegung gesetzt hatten. Zudem hatte irgendwo eine riesige Klingel begonnen, laut und durchdringend zu tönen. Mehr und mehr hatte er aber noch in seinem Traum dann realisieren müssen, daß dieses pulsierende Klingeln nicht etwa ein akkustisches Warnsignal der Schleusenanlage war, sondern ausschließlich dazu diente, ihm auch noch das allerletzte bißchen Schlaf aus den Gliedern zu treiben. Er hatte auch nicht etwa eine Warnklingel gehört, sondern lediglich seinen alten Wecker. Ein Erbstück seines verstorbenen Vaters.Nachdem er nunmehr ansatzweise in der Lage war, einen klaren Gedanken zu fassen, langte er aufgeschreckt mit seiner rechten Hand hinüber zum Wecker und brachte das Getöse in seinen Ohren mit einem gezielten Handschlag zum erliegen. Tastend und mit noch immer geschlossenen Augen fingerte er seine Armbanduhr vom Nachttisch. Er ließ sich noch einen Moment Zeit, gähnte dann kräftig und blickte auf das gelbschimmernde Ziffernblatt seiner Rolex. Seine Uhr zeigte kurz vor sechs und es sollte wie jeden morgen die gleiche unbarmherzige Tortour beginnen. Auch wenn er schon hunderte Male aufgestanden war, so war es doch jedes Mal wieder ein grausamer nicht endenwollender Kampf. Ein Kampf, bei dem der Sieger tagtäglich schon von vornherein feststand. Er haßte sich dafür. Er haßte diese Quälerei jeden morgen und seine mangelnde Selbstdisziplin in dieser Hinsicht. Obgleich er stetig an sich arbeitete, war dieses Problem wohl nicht mehr in den Griff zu bekommen. Jedenfalls nicht mehr in diesem Leben. Es war nicht zu leugnen, daß er schwach war. Willenlos und butterweich. Aber nur in dieser Hinsicht. Nur wenn es um das morgendliche Aufstehen ging. Aber warum eigentlich? War er nicht der Chef, kam es ihm plötzlich in den Sinn, als er den rechten Arm wieder unter die wärmende Bettdecke zog. Und gehörte es nicht auch zu den Privilegien eines Chefs, sich ab und an mal die Freiheit zu gönnen, später als üblich im Büro zu erscheinen? Hatte er sich das nicht wenigstens verdient, in all den Jahren der Plackerei? Theoretisch ja. Aber praktisch nein. Denn gerade heute hatte er schon um acht Uhr einen wichtigen Besprechungstermin mit einigen hochkarätigen Geschäftspartnern. Ein Arbeitsfrühstück in seinem Büro, das er unter gar keinem Umständen verpassen durfte. Immerhin ging um die weitere Zukunft seines Verlages. Wenn heute alles so klappte, wie er es sich schon seit Wochen vorgestellt und ausgemalt hatte, wäre er wohl einer der mächtigsten Männer in der Verlagbranche. Dann hatte er für sein Unternehmen den Weg ins nächste Jahrtausend geebnet und sich selbst ein Denkmal gesetzt. Der Gedanke an ein Denkmal gefiel ihm irgendwie, je mehr er darüber nachdachte. Vielleicht war es wirklich die richtige Zeit dafür. Jedenfalls aber für ein in Öl gemaltes Portrait im Eingangsbereich seines Büros. Gut. In den Schoß gefallen war ihm diese Sache nicht. Er hatte hier und da ein paar Zahlungen an die richtigen Leute leisten müssen. Große Summen und nur in bar! Und als seine zukünftigen Geschäftspartner sich immer nicht ganz schlüssig waren, ob sie ihn mit ins Boot nehmen sollten, hatte er sogar ein wenig Druck ausüben müssen. Aber das gehörte doch zum Geschäft. Das war üblich. Man mußte nur die richtigen Leute kennen und ihre Wünsche erfüllen. Oder man mußte über sie Bescheid wissen. Hier mal eine Einladung zu einem Shopping Trip nach New York zur Weihnachtszeit, dort mal eine Einladung zum Formel-1 Rennen nach Monaco. Seinen zukünftigen Vertragspartnern würde eigentlich nichts anderes übrig bleiben, als mit ihm ins Geschäft zu kommen. Er wußte einfach zuviel. Und er hatte ihnen auch gesagt, was er wußte. Es war nicht ganz sauber, was er getan hatte. Dessen war er sich durchaus bewußt. Aber er hatte Verantwortung. Für sich, seine Familie und die Belegschaft. Und er wollte diese Sendelizenz. Koste es, was es wolle! Klaus-Dieter Warbs legte den rechten Arm unter den Kopf und wandte seinen Blick leicht nach links zu Lisa. Sie schlief noch tief und fest. Er konnte ihr leises und gleichmäßiges Atmen hören. Der schmale Träger des blauen Satinoberteils war ein Stück heruntergerutscht und gab den Blick auf ihre makellose Schulter frei. Er beobachtete, wie sich ihr Körper sanft und in einem gleichbleibenden Rhythmus auf und ab bewegte. Lisas Schönheit und Anmut, die sich -wie es ihm schien- im Schlaf noch viel intensiver präsentierten, zauberten den Hauch eines Lächelns auf sein Gesicht. Er war stolz. Stolz und glücklich, das Leben mit einer solch phantastischen Frau teilen zu können. Lang und intensiv betrachtete er ihr Gesicht. Es war ein in besonderes Gesicht. Gezeichnet von Erfahrungen und Niederschlägen und den zahlreichen Narben auf der Seele. Ein Gesicht, das dennoch nichts von seiner ursprünglichen Elastizität und Jugendlichkeit eingebüßt hatte, trotz der fünfundvierzig Jahre, die Lisa mittlerweile zählte. Er liebte jedes einzelne dieser zierlichen und kaum sichtbaren Fältchen, die sich rechts und links um ihre graublauen Augen gruppierten. Und er war sich sicher, das nur wenige dieser Fältchen ein Zeichen des voranschreitenden Alters waren. Die anderen schienen ihm von dieser Sorte zu sein, die nur ganz wenige Menschen erlangten. Menschen, die häufig und gern lachten, so wie es seine Frau unablässig tat. Er liebte jeden Quadratzentimeter ihres braungebrannten und immer noch straffen Körpers. Ein Körper, der ihn immer wieder aufs neue faszinierte und magisch anzog, obgleich er ihn schon viele Male besehen und berührt hatte. Und jedesmal, wenn er ihn betrachtete, fielen ihm neue, bis dahin verborgen gebliebene kleine Besonderheiten auf, die seine Blicke fortan fesselten. Lisas Figur war trotz ihres Alters und der Geburt der gemeinsamen Tochter Claudia immer noch tadellos. Seine Frau war schlank und sie arbeitete hart dafür. Sie schwamm regelmäßig und joggte mindesterns zweimal in der Woche. Auf ihren Wunsch hin hatten sie vor ein paar Jahren angebaut und einen Fitnessraum mit allerlei Gerätschaften eingerichtet. Dazu spielten sie fast jedes Wochenende gemeinsam Tennis, sofern es seine Zeit und sein enger Terminkalender erlaubten. Es wurde ihm einfach nie langweilig, Lisa heimlich zu betrachten. Insbesondere wenn sie schlief. Und wieder einmal wurde ihm bewußt, daß er süchtig nach dieser Frau war. Er würde es ihr niemals sagen können, wie tief seine Liebe wirklich war. Aus seinem Munde würde sie es niemals erfahren. Es war einfach nicht in ihm, nicht seine Art, solche Sachen einzugestehen. Er hatte eine andere Erziehung genossen. Kälter und nicht so gefühlsbetont, einfacher und durchstrukturierter. Gefühle waren da eher zweitrangig. Aber es reichte, daß er sich selbst eingestehen mußte, daß er hier sehr verletzlich war. Und es verursachte ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Er wußte nicht, was er anstellen würde, wenn sie ihn eines Tages vielleicht verließe. Klaus-Dieter Warbs wandte den Kopf zur Seite und blickte nachdenklich an die weißgetünchte Zimmerdecke. Nie wäre es ihm in den Sinn gekommen, seine Frau mit einem dieser jungen Dinger aus dem Büro zu hintergehen, so wie es seine Geschäftsfreunde regelmäßig taten. Ganz offensichtlich vor dem alleinigen Hintergrund, sich mit einem solchen Abenteuer über eine beginnende Midlife Crisis hinwegzutrösten. Das hatte er einfach nicht nötig. Gelegenheiten gab es es genug für ihn. Konkrete Angebote auch. Es war zwar nicht so, daß ihm die Frauen geradezu hinterherliefen, aber eine ganz bestimmte Dame hatte ihm speziell in den letzten Wochen wieder heftige Avancen gemacht. Dieses ganz spezielle Angebot, das nur eines zum Ziel hatte. Aber er hatte ihr nur die kalte Schulter gezeigt. Denn was hatte man denn schon davon? Die Aussicht auf eine vielleicht aufregende Nacht mit viel Champagner in einen kleinen anonymen Motel am Rande der Standt? War es das? Das Prickeln