zur Seite, beugte sich ganz zu ihr herunter und berührte mit seinen Lippen sanft und liebevoll ihre rechte Wange. Er liebte diese Frau und er war süchtig nach ihr. Und hoffentlich würden sie noch viele Jahre miteinander verbringen dürfen. Klaus-Dieter Warbs warf sich schwungvoll auf die andere Seite des Bettes und schlug mit einem gezielten Ruck die blaugeblümte Decke zur Seite. Es wurde Zeit für ihn. Und wenn er heute schon aufstehen mußte, so konnte er es auch gleich tun, ging es ihm durch den Kopf, als er mit langsamen Schritten in das gegenüberliegende Bad schlurfte. Auf dem Weg dorthin fuhr er sich noch kurz mit allen zehn Fingern durch die Haare, um diesen wenigstens für einen Moment den Anschein einer vorläufigen Ordnung zu geben. Mit einem knarrenden Geräusch gab die gläserne Tur der Duschabtrennung seinem festen Griff nach und glitt ächzend zur Seite. Er drehte die Heißwasserarmatur auf, fingerte dann ein weißes Badetuch aus dem offenen Schrank hinter seinem Rücken und legte es über den oberen Rand der Duschkabine. Klaus-Dieter Warbs machte zwei lange Schritte hinüber zum Waschtisch, nahm Zahnbürste und Zahnpasta von der gefliesten Ablage und blickte kurz in den Spiegel vor ihm. Kleine Wassertropfen hatten sich mittlerweile auf dem kühlen Glas des Spiegels niedergeschlagen, so daß er im unteren Teil nur noch die verschwommenen Umrisse seines Gesichts ausmachen konnte. Das Badezimmer glich mittlerweile einem türkischen Dampfbad.Nachdem er sich sorgfältig die Zähne geputzt hatte, ging er wieder hinüber zur Dusche. Langsam drehte er mit der Rechten an der Kaltwasserarmatur, während er die linke Hand kurzerhand in den Wasserstrahl tauchte. Als die aus der Wand kommende Fontäne die richtige Temperatur erreicht hatte, zog er seinen Pyjama aus und stieg schließlich unter die Dusche.Wohlig empfing ihn das herabprasselnde Wasser wie ein warmer Sommerregen. Es umschloß seinen müden und ausgelaugten Körper wie eine beschützende Hülle. Kleine Rinnsale liefen seinen Rücken hinab und durchfluteten ihn mit Energie. Er schloß für einen Moment die Augen und er sog diese Kraft förmlich in sich auf. Alles, was er bekommen konnte. Nachdem sich sein Körper an die wohltuende Wärme gewöhnt hatte, legte er den Kopf in den Nacken und öffnete die Augen. Er ließ seinen Mund röchelnd mit Wasser vollaufen, um es dann mit einem kurzen und gezielten Strahl gegen das Glas der Duschabtrennug zu schießen. Sein Ziel war ein unnützes Gelage von Wassertropfen, das sich an einer der Duschkabinenwände versammelt hatte und dem scheinbar nur mit seiner Hilfe der Weg nach unten zu seinen Füßen geebnet werden konnte. Dort verlor es seine Individualität, seine scheinbare Persönlichkeit. Es verschwand ganz einfach gurgelnd im Ausguß, um wieder ein Teil des Universums zu werden, oder um in irgendeiner anderen Dusche irgendwo auf der Welt ein neues Gelage zu bilden. Er genoß es, morgens lange und ausgiebig zu duschen und er nahm sich die Zeit dafür. Es war die richtige Moment des Tages, um sich mit vergangenen Begeben- heiten zu befassen oder über Probleme nachzudenken. Auch wenn die Lösung dieser Probleme eigentlich noch nicht so ganz dringend war. Hier unter der Dusche fand er Wege, ja ganze Verkaufsstrategien für bis dahin nicht verkaufbare Kriminalromane irgendwelcher namenloser Jungautoren. Meist Schreiberlinge im Nebenberuf, die von dem Gedanken beseelt waren, sich selbst und der Welt etwas beweisen zu müssen. Eigentlich konnte er sich nicht beklagen, ging es ihm durch den Kopf, während er sich vorbeugte und die Flasche mit dem Shampoo vom Wannenrand fingerte.Er sah für seine fünfundfünfzig Jahre immer noch phantastisch aus, war gesund und erfolgreich und hatte eigentlich alles erreicht, was es zu Erreichen gab. Er hatte weder Probleme mit dem Gewicht, noch mit seinem Haar. Zwar war er mittlerweile stark ergraut, doch störte ihn das wenig, solange es Lisa nichts ausmachte. Er konnte mit sich zufrieden sein. Claudia würde ihren Weg als Chemikerin vielleicht doch noch machen und eines Tages möglicherweise sogar noch die Doktorwürde erlangen. Eigentlich hätte er lieber einen Sohn gehabt. Ein Sohn, der auch in Zukunft den Namen Warbs tragen würde und der sein Unternehmen eines Tages weiterführen konnte. Ein Sohn, dem er zum richtigen Zeitpunkt die Zügel in die Hand geben konnte und der sein Lebenswerk vollenden würde. Er hatte es Lisa zwar nie ausdrücklich gesagt, doch hatte er aus seinem Wunsch auch nie einen Hehl gemacht. Er war sich somit sicher, daß sie seine Gefühle und Wünsche in dieser Hinsicht kannte. Ein zweites Kind war ihnen ja leider versagt geblieben. An ihm hatte es nicht gelegen, da war er sich sicher. Er hätte es gern gesehen, wenn Claudia damals nach dem Abitur eine Lehre in seinem Unternehmen begonnen hätte. So hätte sie das Verlagsgeschäft von der Pike auf kennenlernen können mit dem Ziel, die Geschäfte eines Tages selbst zu führen oder zumindest eine leitende Position einzunehmen. Er hatte es ihr wieder und wieder angeboten, aber sie hatte es immer wieder abgelehnt. Lisa hatte ihn leider nicht dabei unterstüzt. „Laß`sie doch das tun, was sie möchte:“ hatte sie ihn gebeten. Er konnte Lisas Einstellung nicht verstehen und manchmal hatten sie sich deswegen gestritten. Claudia hatte stattdessen den Plan geschmiedet, mit ein paar engen Freundinnen einen Frauenladen zu eröffnen. Kleidung, Bücher, Accesoires, Kosmetika und Versicherungen. Alles für die Frau und nur für die Frau.Die Idee hatte etwas, das hatte er schon damals zugeben müssen. Da aber weder seine Tochter noch die anderen Damen zumindest über Grundkenntnisse im kaufmännischen oder betriebswirtschaftlichen Bereich verfügten, hatte er diesen Plan nicht unterstützt. Sie wären schnell gescheitert, da war er sich sicher. Und er wäre der Leidtragende gewesen, denn dieser Fehlschlag wäre immer mit ihm und seinem guten Namen in Verbindung gebracht worden. Er hätte die Scherben zusammenkehren dürfen. Wiedereinmal! Nein. Er hatte vielmehr alles daran gesetzt, Claudia diese Flausen aus dem Kopf zu treiben und sie zu einem ordentlichen Studium zu bewegen. Mit sehr viel Überredungskunst, ein wenig Druck, einem eigenen Cabriolet und einem kleinen Appartment in der Stadt war es ihm schließlich gelungen. Ein Betriebswirt- schaftsstudium oder Jura waren doch noch immer der Garant für den Start in eine erfolgreiche berufliche Karriere. Er selbst hatte leider nicht studieren können. Die Zeiten waren anders, damals. Irgendwie härter. Er hatte schon sehr früh sein eigenes Geld verdienen müssen. Und später hatte er einfach keine Zeit mehr gehabt, für ein Studium. Arbeit, Karriere und Familie hatten ihn voll in Anspruch genommen. Es war ohnehin schwer genug gewesen, daß alles unter einen Hut zu bringen. Jetzt war er zu alt, die Schulbank noch einmal zu drücken. Und irgendwann würde er sich seinen Doktortitel einfach kaufen, ging es ihm durch den Kopf. Eine mittelgroße Spende an eine namenlose Universität in Südamerika war ausreichend, hatte er vor kurzem irgendwo gehört. Und einige seiner Geschäftspartner hatten es getan und ihren h.c. bereits verliehen bekommen. Eine Urkunde mehr an der Bürowand. Bei seiner Tochter hatte alles zunächst recht erfolgversprechend ausgesehen. Claudia hatte Spaß an ihrem Studium gehabt, war erfolgreich und hatte auch schon ein paar beachtenswerte Erfolge verbuchen können.. Und insgeheim hatte er noch immer die Hoffnung gehegt, daß sie ihre Meinung vielleicht ändern und eines Tages doch in seinen Verlag einsteigen würde. Dann der Bruch. Die Entführung. Schluß, Aus, Ende. Von einem auf den anderen Tag. Fast sieben Jahre war es jetzt her. Klaus-Dieter Warbs registrierte, wie sich seine Laune wieder zusehends verfinsterte. Langsam senkte er den Kopf, ließ die Schultern hängen und blickte betreten zu Boden. Der harte Strahl des Wassers traf jetzt auf seinen Hinterkopf und es kam ihm so vor, als würde sein Nacken von tausenden kleiner Nadeln durchbohrt. Ein kalter Schauer durchzuckte ihn und lief dann mit langsamer Geschwindigkeit seinen Rücken hinab. Er war eine schlimme Zeit, damals. Die Erinnerung war schmerzlich und verursachte noch immer dieses dumpfe Gefühl des Gelähmtseins und der unsagbaren Wut in ihm. Ab und an durchlebte er diese Zeit wieder, fühlte er sich plötzlich um sieben Jahre zurückversetzt. Nicht nur in vereinzelnd auftretenden Gedanken, sondern auch in regelmäßig wiederkehrenden Alpträumen. Die Träume waren weniger geworden, im Lauf der Zeit. Aber sie kamen. Ohne Vorankündigung und zermürbten ihn, machten ihn fertig. So mächtig er auch war, auf diese Alpträume hatte er nicht den geringsten Einfluß. Sie waren immer da und es waren immer dieselben Bilder, die sich vor seinem geistigen Auge abspielten. Er konnte Claudia sehen, angekettet an ein verrostetes Heizungsrohr. Frierend mit dreckverschmiertem Gesicht und zerrissener Kleidung. Wimmernd und um ihr Leben bettelnd. Daneben ein fies grinsender Fettwanst mit verschwitztem Gesicht, eine riesige mattglänzende Waffe an die Schlafe seiner Tochter haltend. Davor eine zweite Person. Ein kleiner Gnom. Einäugig, laut und hämisch lachend und mit einem gefalteten Stadtplan in der Hand. Der Zwerg zwang Claudia, nach einem überdimensionalen Telefonhörer zu greifen. Dann konnte er ihre Stimme hören, ängstlich flehend, tränenerstickt. Was sie sagte, konnte er nicht verstehen. Aber ihre Stimme klang wie durch einen dicken Wattebausch hindurch. Weit weg. An dieser Stelle des Traumes sah er immer seine Assistentin Frau Busch auf einem Motorrad heranfahren. In dunkler Lederbekleidung, aber ohne Helm. Sie drückte dem Gnom ein Paket aus Zeitungspapier in die Hand, woraufhin dieser Claudia auf die Wange