Zerrissen. Andreas Osinski
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Kapitel 3
Wenn ich geahnt hätte, auf was für eine Sache ich mich an diesem Abend noch einlassen würde, wäre ich mit Sicherheit nicht noch einmal ins Büro gefahren. Ich hätte meine charmante Begleiterin einfach irgendwann nach Hause gefahren, hätte sie dann vor ihrer Wohnungstür mit einem Augenzwinkern um den obligatorischen Kaffee in ihrem Appartment gebeten und wäre am nächsten Morgen wieder einmal aus einer anderen Richtung ins Büro gefahren. Aber es sollte anders kommen. Ich sollte noch heute Abend einen Fall übernehmen, der Mitleid erregen würde. Und zwar mein Mitleid. Und das war nicht gut. Denn man durfte nicht zu viel Gefühl in einen Fall investieren. Man mußte die nötige Distanz wahren. Abstand halten, die Sache nicht zu sehr an sich herankommen lassen. Es sollte mein erster Entführungsfall werden und diese Geschichte sollte mich dreierlei lehren. Erstens: Es ist möglich, sich an ein- und demselben Abend in zwei verschiedene Frauen zu verlieben. Zweitens: Es gibt zuweilen keine strikte Trennung zwischen Täter und Opfer. Will sagen: Ein Täter ist manchmal mehr Opfer, als es das Opfer selbst ist. Und drittens: Verbrechen lohnt nicht, so abgedroschen es vielleicht auch klingen mag. Hier sollte es sich auf eine ganz andere, ungewöhnliche Art und Weise bewahrheiten. Aber der Reihe nach. Meine Name ist Hayenfeldt. Nicht James, sondern Dirk. Dirk Hayenfeldt. Ich bin Privatdetektiv. Alles begann an einem Tag im Spätsommer. Ein Tag wie jeder andere auch. Es war ungefähr halb zehn abends, als ich Simonsens, ein kleines und sehr exklusives Restaurant am Rande der Stadt nach einem einfach phantastischen Abendessen mit einer hinreißenden Schönheit namens Susann verließ. Wir hatten viel Spaß gehabt, gelacht, gut gegessen und die eine oder andere Flasche Moet Chandon geleert. Es war übrigens das erste Mal, daß ich Sushi zu mir genommen hatte und ich hoffte inständig, daß ich es auch noch ein paar Stunden in mir behalten würde. Jedenfalls machte sich dieses brodelnde Geräusch an einer Stelle unterhalb meines Magens breit, als ich mich angespannt in meinem Stuhl zurücklehnte und mir eine Benson & Hedges genehmigte. Mit Sicherheit war dieses Sushi-Ding die zufällige Erfindung eines außerordentlich hungrigen japanischen Gastes, ging es mir durch den Kopf. Jemand, der es einfach nicht mehr abwarten konnte, etwas Essbares zwischen die Zähne zu bekommen. Und bekanntermaßen sind Japaner ja auch immer irgendwie in Eile. Da kann man einfach nicht immer abwarten, bis alles durchgegart ist. Der völlig entnervte Koch wird ihm dann einfach ein wütendes „Dann friß den Fisch doch einfach roh!“ um die Ohren gehauen haben.Und jetzt verdienen sich die beiden mit dieser Erfindung eine goldenen Nase. Der Gast hieß übrigens Yamamoto Su. Der Spitzname des Kochs war höchtwahrscheinlich Shi. Ich hätte wetten können! Ich genoß solche Abende zu zweit, denn sie waren leider viel zu selten. Bei meinem Job hatte ich üblicherweise weder Zeit noch die Gelegenheit, ein so ausgiebiges Dinner und dann noch in so charmanter Gesellschaft einzunehmen. Es kam einfach immer irgendetwas dazwischen. Meistens reichte es bei mir nur für Currywurst und Pommes rot-weiß bei meinem italienischen Freund Paolo, eine schnelle Pizza oder einen Hamburger.Da hatten es die Kollegen aus dem Fernsehen schon besser. Mondäne Dinner in irgendwelchen exklusiven Restaurants im Beisein einer gutbetuchten Klientel. Restaurants, in denen man dem Kellner soviel Trinkgeld geben mußte, wie anderenorts ein komplettes Dreigänge-Menü kostete! Aber die Kollegen aus dem Fernsehen waren ja auch in der Lage, jeden noch so komplizierten Fall innerhalb von sechzig Minuten lösen. Und sie fuhren den ganzen lieben langen Tag im offenen Ferrari über Hawaii, zumindest aber im Pontiac Firebird über den sonnenbüberfluteten Santa Monica Freeway. Und was tat ich? Ich holperte mit meiner S-Klasse im Frühnebel über die schlaglochübersäte Umgehungsstraße unserer Stadt. Bei Regen, wohlgemerkt! Aber so war eben das Leben! Mein Begleiterin war fünfundzwanzig Jahre alt, hatte langes, gewelltes Haar und war Besitzerin einer wohlproportionierten Figur. Sie war blond, aber entgegen der landläufigen Meinung ganz und gar nicht blöd. Was im übrigen ja alle Blondinen für sich in Anspruch nahmen. Komisch, denn blöde Blondinen gab es trotzdem. Ich hatte da schon mal die eine oder andere kennengelernt. Susann McGafferty war gebürtige Amerikanerin irischer Abstammung aus Chicago/Illinois und erst seit kurzem in der Stadt. Sie verdiente ihren Lebensunterhalt als Dolmetscherin in einer dieser unzähligen Niederlassungen eines namhaften Softwaregiganten aus Silicon Valley, der unsere hübsche kleine Stadt mit seiner Anwesenheit ungemein bereicherte. Ich hatte sie, nachdem uns ein dummer aber dankenswerter Zufall zusammengeführt hatte, zum Abendessen mit anschließendem Stadtbummel eingeladen, um mit ihr das hiesige Nachtleben zu erforschen. Es sollte eine Entdeckungsreise im wahrsten Sinne des Wortes werden, denn ich war in der letzten Zeit wenig ausgewesen und wußte daher nicht, welche Läden gerade „in“ waren. Ich hatte gegen Mittag nichtsahnend in meinem kleinen Straßencafe gesessen und einen Espresso getrunken. Gleich um die Ecke unseres Büros. Susann hatte am Nebentisch Platz genommen und aufmerksam die Speisekarte studiert. Sie war mir sofort aufgefallen, mit ihren langen blonden Haaren. Dann war sie plötzlich zu mir herübergekommen und hatte mich mit verständnisloser Mine und einem leichten Kaugummiakzent in der Stimme gefragt, was denn ein „Strammer Max“ sei. Ich hatte es ihr -so gut es eben ging- erklärt und sie dann im weiteren Verlauf unseres Gespräches zum Essen eingeladen. Kein Strammer Max, versteht sich. Während des Abendessens hatte sich Susann als eine ungemein unterhaltende und mitteilungsbedürftige Person herausgestellt, die mir monologartig ihre ganze Lebensgeschichte von Geburt an erzählte. Unterbrochen nur von den wenigen Momenten die sie benötigte, um ihrem kleinen Mund mit geeister Melone zu füllen. Die Art, wie sie die kleinen dunklen Kerne auf den Rand ihres Löffels spuckte, hatte mich einfach umgehauen.Sie hatte mir mindestens eine Stunde von ihrem Vater, Onkel Joey und ihrem Lieblingsbruder Jon erzählt, einem Rechtsanwalt aus Detroit. Und dann war da noch Großonkel Jake. Ein Dynamitfischer aus Baton-Rouge. Ihr Vater Ed, nach ihrer Schilderung ein kleiner, dicklicher Herr mit beginnender Glatze, war pensionierte Armeegeneral und verbrachte seinen Lebensabend mit der Aufzucht von Tomaten. Streng ökologisch, versteht sich. Ich hatte es bis zu meinem Treffen mit Susann nicht für möglich gehalten, daß das Thema „Tomaten“ Gesprächsstoff von mehr als zwanzig Minuten liefern konnte. Aber es ging. Oder hätten Sie etwa gewußt, daß es doch tatsächlich Tomatenmarmelade gab? Ich jedenfalls nicht! Onkel Joey war Erdnußfarmer und fabrizierte nach Susanns Bekenntnis nichts außer Erdnüssen und Schulden. Onkel Joey war mir sofort symphatisch und ich hätte ihn zu gern kennengelernt. Nicht, weil ich etwa Erdnüsse gern knabberte, nein, sondern weil mir das mit dem Schuldenmachen durchaus bekannt war und tatsächlich auch eine gewisse Parallele zu meiner Person aufwies. Aber heutzutage mußte man einfach Miese auf dem Konto haben. Nur so wurde man in der Bank persönlich mit Namen angesprochen und bereits an der Eingangstür abgeholt. Von einem säuerlich lächelnden Angestellten im Konfektionsanzug und mit knapp über dem Bauchansatz endender grauer Lederkrawatte. Und man wurde regelmäßig nach dem Gesundheitszustand befragt. „Wie geht es Ihnen denn heute, Herr Hayenfeldt? Was macht die Erkältung?“ Es war doch schön zu wissen, daß sich jemand so um einen sorgte. Bruder Jon war vor Jahren als Anwalt für den amerikanischen Zweig der Mafia tätig gewesen und hatte sich dabei aufgrund eines Fehlers leider eine Kugel ins Kniegelenk eingefangen. „Six-pack“ nannte man so etwas. Machte man einen Fehler, gab es eine Kugel ins Hangelenk. Machte man einen schweren Fehler, einen Schuß ins Fußgelenk. Machte man allerdings einen unverzeihlichen Fehler, war das Kniegelenk dran. Jedenfalls hatte sich Anwalt Jon aus dem Mafiageschäft zurückgezogen und bediente nunmehr eine fast ebenso unberechenbare Klientel: Reiche und scheidungwillige Ehefrauen. Äußerst rachsüchtig und zu allem fähig! Ich kann auch nicht sagen, das mich Susanns Mitteilungsbedürfnis in irgendeiner Form störte oder gar langweilte. Nein, ich war vielmehr gezwungen, es zu akzeptieren, sollte aus dem verbleibenden Abend noch das werden, was ich mir erhoffte. Denn ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, nicht von dem Gedanken beseelt gewesen zu sein, sie so schnell wie möglich ins Bett zu kriegen! Aber Amerikanerinnen war ja bekanntlich sehr prüde und die Chancen standen schlecht für mich. Nichts desto trotz hatte mich Susann mit ihrer natürlichen und hinreißenden Art in ihren Bann gezogen, so daß ich an unserem weiteren Vorhaben, einen Stadtbummel zu unternehmen, festhielt und mich darauf -zugegebenermaßen- auch ein wenig freute. Es würde wohl noch ein hartes Stück Arbeit werden, ging es mir durch den Kopf, als ich die Beifahrertür meines Wagens öffnete und Susann mit einer einladenden Handbewegung meiner Linken andeutete, einzusteigen. Nachdem wir uns träge in die Ledersitze meines Mercedes hatten fallen lassen, startete ich den Motor, um mit ihr in Richtung Innenstadt zu fahren. Ich verfeinerte den ohnehin schon exquisiten Klang meines Sechszylinders mit etwas gedämpfter Musik,