Zerrissen. Andreas Osinski

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Zerrissen - Andreas Osinski

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hatte sich keiner mehr erbarmt, in unserem Büro für Recht und Ordnung zu sorgen. Das Resultat hatte sich dann auch im Laufe der letzten Monate um meinen Schreib-tisch herum angehäuft! Aber so war sie, unsere Frau Hilbert. Eine Seele von Mensch, ein guter Privatdetektiv aber leider auch ein bißchen stur. Typisch norddeutsch, eben. Auf meinem Schreibtisch fand ich lediglich drei Briefe vor, aber keine Notiz von meinem Partner Marc. Zwei der Briefe betrafen unbezahlte Telefonrechnungen, der dritte Umschlag beinhaltete ein Schreiben der Anwältin meiner Exfrau. Ich brauchte ihn auch gar nicht zu öffnen, denn ich wußte auch so, was drinstand. Entweder war ich mal wieder mit dem Unterhalt im Rückstand oder sie wollte mehr Geld. Privatdetektive sind übrigens immer mit den Unterhaltszahlungen im Rückstand. Das gehört sich einfach so! Nach und nach durchkämmte ich sämtliche anderen Räume unseres Büros und fand die erhoffte Notiz auch nach intensivster Suche weder auf Marcs noch auf Frau Hilberts Schreibtisch. Gerade als ich beschlossen hatte, sämtliche Papierkörbe vorsichtshalber einer näheren Inspektion zu unterziehen, bemerkte ich aus den Augenwinkeln heraus, daß die rote Leuchtanzeige des Anrufbeantworters blinkte. Natürlich! Marc hatte angerufen und die Nachricht per Telefon auf das Band des Anrufbeantworters gesprochen, schoß es mir durch den Kopf. Marc nannte das Kästchen übrigens stilecht amerikanisch einfach AB. Warum, wußte keiner so genau! Aber wenn wir beide außer Haus zu tun hatten und unser Büro nicht mehr besetzt war, benutzten wir den Anrufbeantworter manchmal als Informations-zentrale. Eine tolle Sache. Man konnte Nachrichten hinterlassen und per Fernabfrage abrufen. Ich lag also scheinbar richtig mit meiner Befürchtung, daß Marc den Zettel mit der Telefonnummer von Simonsens wohl schlichtweg verbummelt hatte. Ich spulte das Band des kleinen schwarzen Kastens an den Anfang zurück und drückte dann die Taste mit der eingravierten Aufschrift „play“. Gemächlich setzte sich das Band in Bewegung, begleitet von einem leisen Rauschen.Was ich dann allerdings hörte, ließ mich wider Erwarten erschrecken. Es war alles andere als die mir vertraute Stimme meines Partners Marc:

      „Guten Abend. Mein Name ist Lisa Warbs. Ich möchte Sie engagieren. Ich benötige ihre Hilfe. Ich glaube, daß mein Mann entführt worden ist. Bitte rufen sie mich schnellstmöglich zurück. Ich erwarte Ihren Anruf. Und ich werde nicht die Polizei einschalten.“

      Nachdem ich Lisa Warbs sofort unter der angegeben Nummer zurückgerufen hatte, brachte ich Susann zurück in ihr Appartement. Denn Lisa Warbs hatte mich gebeten, noch heute Abend zu ihr zu kommen. Meine irische Freundin war zunächst etwas enttäuscht, zeigte dann jedoch Verständnis für meinen sehr kurzfristigen Entschluß. Susann verbarg ihre Enttäuschung so gut es ging, allerdings bemerkte ich den traurigen Ausdruck in ihren Augen. Außerdem schwieg sie die weitere Fahrt über, so daß sich mir der Verdacht förmlich aufdrängte, daß etwas nicht ganz in Ordnung war. Aber schließlich war es mein Job. Ein Job, wie jeder andere auch. Nur mit dem kleinen Unterschied, daß man rund um die Uhr im Einsatz war. Und manchmal noch ein wenig länger! Ich gebe ja zu, daß ich den Rest des Abends auch lieber mit Susann verbracht hätte. Geschäfte hin, Geschäfte her. Nur so wäre ich höchstwahrscheinlich noch in den Genuß gekommen, den Rest ihrer Lebensgeschichte auch noch zu hören. Aber ich hatte keine Wahl. Diese Frau benötigte Hilfe, und ich würde sie ihr geben. Wir hatten mittlerweile das Viertel unserer beschaulichen Stadt erreicht, in dem sich Susanns Appartment befand. Der Verkehr hatte sich ein wenig gelegt und wir waren zügig vorangekommen. Mit langsamer Geschwindigkeit lenkte ich den Mercedes auf den hellerleuchteten Parkplatz des kleinen Gebäudekomplexes und stellte den Motor ab. Wortlos blickte ich zu Susann herüber. Ich wußte nicht genau, was ich ihr jetzt sagen sollte. „Glaubst Du, daß es lange dauert?“ kam sie mir zuvor. „Kann ich nicht sagen.“ entgegnete ich schulterzuckend. „Es hängt da von ab, was eigentlich genau passiert ist.“ Susann blickte nachdenklich durch die Frontscheibe nach draußen. Im hellen Licht der Parkplatzbeleuchtung konnte ich erkennen, daß sie ihre Stirn in Falten gelegt hatte. „Ich mache dir einen Vorschlag!“ entfuhr es ihr plötzlich. Meine neue Freundin drehte sich in ihrem Sitz ein wenig zur Seite und blickte mir mit einem verschmitzten Gesichtsausdruck entgegen. „Mein Appartment ist dort oben in der zweiten Etage. Dort, der kleine Balkon, links!“ Susann deutete mit dem Zeigefinger ihrer rechten in die Richtung des uns genau gegenüberliegenden Blocks. „Du fährst hier später einfach nochmal vorbei, nachdem Du mit dieser Frau gesprochen hast. Wenn bei mir noch Licht brennt, darfst Du raufkommen. Wenn nicht, dann hast Du leider Pech gehabt!“ Susann machte große Augen und warf mir ein breites Kaugummi-Lächeln herüber. Ihr Gesichtsausdruck sprach Bände und signalisierte mir, daß mir eine phantastische Nacht entging, wenn ich mich jetzt nicht ein wenig beeilte und daß es allein meine Schuld wäre, wenn ich diese einmalige Gelegenheit verpaßte. Ich sah wortlos in die Richtung, die Susann mit ihrem Finger angedeutet hatte und erblickte einen kleinen Balkon mit zwei Fenstern zur Rechten. Die Adresse, die Lisa Warbs mir während unseres Telefonates genannt hatte, war ganz in der Nähe, so daß ich es durchaus schaffen konnte. „Ich versuch es!“ sagte ich und startete demonstrativ den Motor. „Dann sieh mal zu, daß Du schnell aus dem Wagen kommst! Sonst ist es nachher noch Deine schuld, wenn ich es nicht schaffe!“ fügte ich noch hinzu. Susann beugte sich zu mir herüber, hauchte mir einen Kuß auf die Wange und flüsterte ein verheißungsvolles „Bis später!“ in mein Ohr. Sie war doch mehr Irin als Amerikanerin, ging es mir durch den Kopf, während ich die Ausfahrt des Parkplatzes ansteuerte. Und zwar in der sicheren Gewißheit, mich spätestens gerade eben in diese Frau verliebt zu haben! Ich verließ die City über die westliche Umgehung in Richtung Süden. Der Verkehr hatte sich beruhigt und nur hier und da verursachten vereinzelte Nachtschwärmer ein paar zünftige Staus derjenigen Art, die grundlos und aus heiterem Himmel entstanden und dann Jahrzehnte brauchten, um sich wieder aufzulösen. Eine Frage kreiste wieder und wieder durch meinen Kopf. Warum gerade ich? Warum war Lisa Warbs ausgerechnet auf uns gekommen? Wir standen weder an erster Stelle in den Gelben Seiten noch waren Marc und ich bislang für eine so hochkarätige Klientel tätig geworden, mal abgesehen von dem alten Kerlin. Es mußte etwas anderes sein, oder war es purer Zufall? Jedenfalls benötigte diese Frau Hilfe, und sie hatte mich dazu bestimmt, ihr diese Hilfe zu geben. Und ich würde, wie immer, mein Bestes, geben. Das war ich meiner Klientel und auch mir einfach schuldig. Klaus-Dieter Warbs. Der Name war mir ein Begriff. Mit ihm verband ich zunächst weniger die Person, sondern eher einen der größten Verlage weit und breit. Ein Wirtschaftsimperium. Der Warbs-Verlag war eine der tragenden Wirtschaftssäulen unserer Stadt und verlegte einfach alles, was sich in irgendeiner Form verlegen oder sonstwie unter die Leute bringen ließ. Angefangen von der Mehrzehl der hiesigen Tageszeitungen über Taschenbücher und Magazinen bis hin zu sehr kostspielig aussehenden Fachbüchern mit zehnzentimeter breiten Buchrücken. Gerade in den letzten Wochen war der Warbs-Verlag wieder in aller Munde gewesen und Gesprächsthema Nummer eins. Ich hatte es nur so am Rande mitbekommen, denn ich interessierte mich nicht sonderlich für diesen Börsenklatsch. Das war einfach nicht meine Welt. Jedenfalls munkelte man etwas von einer Fusion mit einem anderen Verlag. Ein Verlag, der über eine Sendelizenz verfügte und der dem Warbs-Verlag den Weg in ein neues Medium eröffnen konnte. Ob was dran war, an dieser Geschichte, konnte ich nicht beurteilen. Jedenfalls hatte die brodelnde Gerüchteküche die Börsianer mächtig aus der Ruhe gebracht und die Warbs Aktien waren ein paar Punkte nach oben geklettert. Die Person des Klaus-Dieter Warbs schien zur Größe und Gewaltigkeit seines Imperiums eher bescheiden und bieder. Er wurde meines Wissens nach in den letzten Kriegstagen geboren und war dann zusammen mit den Eltern und einer jüngeren Schwester aus dem Osten geflüchtet. Später hatte er eine Bilderbuch-karriere hingelegt. Vom Schuhputzer zum Millionär, sozusagen. Ich selbst hatte ihn vor ein paar Jahren auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung getroffen und ein paar Worte mit ihm wechseln können. Es wäre also zuviel gesagt, wenn ich behaupten würde, daß ich ihn kannte. Aber jeder, der mit Klaus-Dieter Warbs geschäftlich oder privat zu tun hatte, konnte bestätigten, daß er nicht dieser klischeehafte Managertyp war, den scheinbar nur irgendwelche Bilanzen interessierten und dessen Gesprächsthemen immer um die Themenbereiche „Gewinn“ und „Umsatz“ kreisten.Ganz im Gegenteil! Klaus-Dieter Warbs schien vielmehr ein netter und liebenswerter Mensch zu sein, der jedem unnötigen Konflikt aus dem Wege ging und der sehr zurückgezogen lebte. Bodenständig und fernab der Glitzerwelt. Jedenfalls war er nicht sehr oft auf den Titelblättern der einschlägigen Gazetten zu sehen. Gleichwohl war Klaus-Dieter Warbs war ein nicht zu unterschätzender Machtfaktor in unserer Stadt. Jemand, der sich zwar stets im Hintergrund hielt aber der trotzdem

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