Zerrissen. Andreas Osinski

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Zerrissen - Andreas Osinski

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plötzlich zu einem einzigen gleißenden Lichtermeer zusammen. Die Helligkeit war unerträglich und geblendet kniff ich die Augen zusammen. Fast schon blitzartig wandte ich meinen Blick wieder nach unten und entdeckte tausende kleiner tanzender Lichtpunkte auf dem Fliesenboden vor mir. Und es dauerte einige Sekunden, bis ich durch den orange-violetten Punktenebel vor meinen Augen hindurch erkannte, daß Lisa Warbs leicht schwankte, als sie den endlos erscheinenden Flur entlangging. Ich folgte ihr in gebührendem Abstand, noch immer halbblind mit zugekniffenen Augen und schmerzverzerrtem Gesicht. Nur das eintönige Klacken ihrer Absätze hallte durch den Raum und brannte sich förmlich in mein Gehirn. Lisa Warbs stoppte am Ende des Korridors, wandte sich mit einer schnellen Drehung nach links und öffnete eine weißlackierte Zimmertür. Sie blieb im Rahmen stehen und bat mich mit einer einladenden Handbewegung, in den Raum zu gehen. „Bitte nehmen Sie schon einmal Platz. Ich komme sofort.“ entfuhr es ihr mit leiser Stimme, als die Tür nach innen aufschwang. „Ich möchte mir nur rasch ein neues Taschentuch holen!“ Lisa Warbs machte auf dem Absatz kehrt und verschwand schnell in das gegenüberliegende Zimmer. Ich nickte wortlos und trat in den kleinen und schwachbeleuchteten Raum. Das gedämpfte Licht war eine Wohltat für meine arg strapazierten Augen und ich wagte es, sie ganz zu öffnen. Zunächst nur für einen Moment, dann für länger. Das Erste, was ich durch die noch verbliebenen tanzenden Lichtpunkte vor meinem Gesicht erblickte, waren dutzende von Bücherregalen aus dunklem Holz. Sie reichten vom Fußboden bis zur Zimmerdecke hinauf und sie befanden sich an jeder einzelnen Wand des Zimmers. Regale mit vielen quadratischen Fächern und unzähligen Büchern darin. Nicht solche Paperbacks, wie ich sie besaß, sondern richtige Bücher. Mit prunkvollem Einband aus Leder und goldgeprägten Lettern auf dem Buchrücken. Es mußten zigtausende sein und es schien mir nach erster und -zugegeben- sehr grober Schätzung, als beinhaltete dieser Raum die gesamte Literatur der letzten Jahrhunderte. Angefangen von Goethe über Schiller bis hin zu Hemingway und Wilhelm Busch jr.Das nächste, was meine Aufmerksamkeit magisch auf sich zog, war ein brennender Kamin. Ein große, ausladende Feuerstelle aus hellem Marmor, die sich an der Stirnseite des fast quadratischen Raumes befand und in der ein kleines Feuer gemütlich vor sich hin flackerte. Fast schon bedächtig züngelten die vereinzelten Flammen empor und gaben dem Raum etwas Behagliches. In einen solchen Bibliothek würde sogar ich mir die Zeit zum Lesen gönnen, ging es mir durch den Kopf, während ich mich aus dem Türrahmen löste und langsam in Richtung Kamin schlenderte. Allerdings würde ich hier auch regelmäßig nach kürzester Zeit in einen ohnmachttiefen Schlaf fallen. Ich hätte wetten können! Denn das war eines meiner wenigen Probleme: Immer wenn ich Abends im Bett ein Buch zur Hand nahm, schlief ich spätestens nach fünf Minuten ein. Und las ich ein bißchen in meinem Shell-Autoatlas, schon nach zwei Minuten. Langsam beugte ich mich vor, blickte für ein paar Sekunden bedächtig in die knisternden Flammen und breitete dann kurzentschlossen meine Hände über dem Feuer aus. Selbstverständlich in sicherer Entfernung. Das Feuer war bereits am Erlöschen, aber es hatte noch genug Kraft, meine Finger auch aus dieser Entfernung mit wohliger Wärme zu durchfluten. Ich wendete meine Hände mehmals von links nach rechts und irgendwie erinnerte mich diese Situation fatal an den letzten Grillabend im Spätsommer. Nur mit dem kleinen Unterschied, daß es kein Steak war, was da langsam vor sich hin schmorte.Ich entdeckte mehrere messinggerahmte Bilder, die in Höhe meiner Augen auf der linken Seite des breiten Kaminsimses säuberlich aufgereiht standen. Und erst bei genauerem Hinsehen bemerkte ich, daß es sich um Fotografien handelte. Die Bilder zeigten Lisa und Klaus-Dieter Warbs beim Skifahren im Tiefschnee, auf einer weißen Segelyacht und vor einem rotmetallenen Gebilde, das ich innerhalb kürzester Zeit als die Golden Gate Bridge identifiziert hatte. Auf dem größeren Foto in der Mitte war das Portrait einer jungen Dame zu erkennen. Eine Dame, die mir unbekannt war, die aber eine gewisse Änhlickeit mit Lisa Warbs aufwies. Vielleicht ein Foto aus jungen Jahren, ging es mir durch den Kopf, als ich mich kurzentschlossen erhob und umdrehte. Mein Blick fiel wie zufällig auf zwei antik aussehende Ohrensessel, die sich etwa in der Mitte des Raumes befanden und die sogar ich mit meinen -zugegebenermaßen- eher laienhaften Kenntnissen in Sachen Antiquitäten getrost als „wohl Englisch“ einstufen durfte. Ich besaß nur wirklich eine ganze Palette von Talenten. Aber „antike englische Polstermöbel der späteren Gründerzeit“ waren nur wirklich nicht gerade mein Fachgebiet. Jedenfalls schimmerte das Dunkelrot des gesteppten Leders im Schein der kleinen Stehlampe dahinter einladend zu mir herüber. Die beiden Sessel waren um einen niedrigen Tisch postiert, der sich bei näherem Hinsehen als Teewagen entpuppte. Auf der runden Rauchglasplatte erblickte ich eine kleine Tischlampe mit einem grün-gläsernen Lampenschirm sowie einen flachen Aschenbecher aus Messing. Alle Möbel und Gegenstände in diesem Raum schienen mit viel Liebe zum Detail ausgesucht worden zu sein. Dieses Zimmer trug eindeutig Lisa Warbs Handschrift. Das gab mir jedenfalls mein detektivischer Spürsinn zu verstehen. Die anheimelnde Sitzgruppe war im übrigen noch so geschickt placiert, daß man direkt auf das brennende Kaminfeuer blicken konnte, ohne den Kopf auch nur einen Zentimeter zur Seite bewegen zu müssen. Man mußte nur einfach über den Rand des Buches in den Händen hinwegschauen, wenn man den vom Lesen ermüdeten Augen für einen Moment Entspannung gönnen wollte. Aber natürlich nur dann, wenn man nicht bereits eingeschlafen war. Sehr ergonomisch, ging es mir durch den Kopf, als ich mich vom Kamin löste und auf den rechten der beiden Sessel zusteuerte. Zugegeben, die Einrichtung und Möblierung der Bibliothek zeigten zwar Stil und innenarchitektonisches Geschick, waren jedoch ganz und gar nicht mein Geschmack. Ich bevorzugte die klare Linie. Vor allen Dingen aber war es hier viel zu aufgeräumt! „Nehmen Sie doch bitte Platz.“ hörte ich es plötzlich leise hinter mir. Ich drehte mich erschrocken um und blickte in Lisa Warbs Gesicht. Sie hatte den Raum wieder betreten, ohne daß ich es bemerkt hatte und deutete nun mit einer Handbewegung auf den Sessel vor mir. In der linken Hand hielt sie ein gefalltetes Taschentuch. Wir setzten uns und ich lehnte mich bequem in meinem Sessel zurück. Und erst jetzt bemerkte ich die Müdigkeit in mir. Sie lähmte mich und dämpfte meine Wahrnehmung. Es war kein Wunder, denn schließlich war ich ja fast den ganzen Tag in der Stadt umhergelaufen, um Yuppie Tom auf den Fersen zu bleiben. „Stört es Sie, wenn ich rauche?“ fragte ich kurz. „Nein, bitte!“ antwortete Lisa Warbs und schob den Messingaschenbecher in die Mitte des Wagens. „Kann ich bitte auch eine haben?“ „Selbstverständlich!“ antwortete ich ein wenig überrascht und fingerte die Benson & Hedges aus der Seitentsche meiner Lederjacke. Ich war nicht davon ausgegangen, daß sie rauchte. Denn ich hatte in diesem Raum weder Zigaretten noch benutzte Aschenbecher entdeckt. Mit einer schnellen Bewegung hielt ich Lisa Warbs die angeknüllte Schachtel entgegen und suchte mit meiner Linken angestrengt nach einem Feuerzeug. Während ich die Flamme an das hintere Ende ihrer Zigarette hielt, formulierte ich im Geiste bereits meine erste Frage an Lisa Warbs. Von dieser ersten Frage, das hatte mich jahrelange detektivische Erfahrung im Umgang mit Menschen gelehrt, hing sehr viel ab. Man mußte sie so vorsichtig verpacken, daß sie dem Gegenüber einerseits das Gefühl von Verständnis und Vertrauen vermittelte, andererseits aber auch geeignet war, gewisse Informationen zutage zu fördern. Denn darum ging es ja schließlich, Informationen zu bekommen. Bei der ganzen Fragerei mußte man dann auch noch sehr behutsam vorgehen und seinem Klienten den Eindruck vermitteln, daß man ihn verstand und seine Ängste ernstnahm, auch wenn man selbst vielleicht ganz anders über die Sache dachte. Gar nicht so einfach, dies alles unter einen Hut zu bekommen Zeigte man zuviel Mitgefühl, war man zukünftig der seelische Mülleimer des Auftraggebers. Und zeigte man zu wenig, war man spröde oder kaltherzig. Jedenfalls war man den Auftrag im letzteren Fall mit ziemlicher Sicherheit los. „Ich möchte Sie bitten, mir einfach alles der Reihe nach zu erzählen.“ begann ich, nachdem ich auch meine Zigarette angezündet und einen ersten tiefen Zug genommen hatte. „Was genau ist passiert? Warum glauben Sie, daß Ihr Mann entführt worden ist?“ Lisa Warbs Gesichtsausdruck verfinsterte sich zusehends. Sie lehnte sich angespannt vor und zog die Beine bis dicht unter den Sessel. Sie überlegte. Starr und regungslos klebte ihr Blick an der Zimmerdecke. So, als ob sie etwas von ungeheurer Wichtigkeit mitzuteilen hatte und noch nach den richtigen Worten suchte. Zweifellos war Lisa Warbs eine Frau, die immer erst nach den richtigen Worten suchte, bevor sie etwas von sich gab. Egal, wie wichtig es auch war. „Mein Mann und ich waren heute verabredet.“ begann sie leise. „In der Stadt. Zum Essen. Ich fand heute morgen eine Nachricht von ihm. Einen Notizzettel. Er schlug mir vor, gemeinsam mit ihm zu Mittag zu essen. Ich sollte ihn deswegen im Büro anrufen.“ erklärte sie stockend. „Gut. Und haben Sie ihn angerufen?“ bohrte ich nach. „Nein, das heißt ja, aber erst später!“ antwortete sie

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