Zerrissen. Andreas Osinski
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Kapitel 4
„Herr Hayenfeldt? Kommen Sie bitte herein!“ waren die leisen Worte, mit denen mich eine sehr elegant aussehende Lady so um Mitte Vierzig an der Eingangstür empfing, nachdem ich den messingfarbenen Türklopfer mehrfach gegen das weißschimmernde Holz geschlagen hatte. Und zwar genau so lang, bis in mir die sichere Erkenntnis herangereift war, daß der Löwenkopf in der Mitte des Türblattes ganz offensichtlich kein Zierobjekt darstellte! Mir gegenüber stand eine Dame, die nach meiner ersten Einschätzung niemand anderes als Lisa Warbs selbst sein konnte. Schon beim ersten ihrer leisen Worte hatte ich die gleiche, symphatisch klingende Stimme wiedererkannt. Es war dieselbe Stimme, mit der ich noch vor wenigen Minuten telefoniert hatte und die mich möglicherweise überhaupt erst hatte hierher kommen lassen. „Guten Abend. Ich bin Lisa Warbs!“ fügte sie nach einer kurzen Pause mit leiser Stimme hinzu. Lisa Warbs machte einen kurzen Schritt zur Seite und gab mir so den Weg ins Innere des Hauses frei. Ihr schlanker Körper befand sich jetzt halb hinter der wuchtigen Eingangstür und von draußen sah es so aus, als ob sie dort Deckung suchte, sich versteckte. Jedenfalls wirkte das mächtige Türblatt wie ein überdimensionaler Schutzschild vor ihrem Körper.Kopfnickend und wortlos folgte ich ihrer Aufforderung und trat mit zwei großen Schritten in den hellgefliesten Vorflur. Mit einer fließenden Bewegung streckte ich ihr meine rechte Hand entgegen, während ich mit der anderen ein wenig unbeholfen nach der Türklinke tastete. „Guten Abend, Frau Warbs!“ murmelte ich -der Situation angemessen- ebenfalls mit leicht gedämpfter Stimme und schob mit meiner Linken die schwere Eingangstür hinter mir ins Schloß. „Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte.“ erklärte ich ihr, während ich die Schuhe auf der dunklen Fußmatte abstreifte. „Aber Sie wissen ja, der Verkehr....!“ fügte ich mit einem entschuldigenden Unterton in der Stimme hinzu. Lisa Warbs nickte verständnisvoll und schüttelte wortlos meine Hand. Ihr Händedruck war butterweich und kraftlos, die Handfläche feucht. Ich blickte zu ihr herunter und wartete einen kurzen Moment, während ich ihre rechte Hand weiterhin fest umschlossen hielt. Lisa Warbs trug eine weitgeschnittene weiße Seidenbluse mit eingewebten Rautenmuster, einen wadenlangen, enganliegenden Rock und flache Schuhe. Leicht gewelltes, braunes Haar umrahmte das ebenmäßige Gesicht und fiel mit einem leichten Schwung auf die schmalen Schultern. Sie hatte etwas Zerbrechliches an sich. Das Gesicht war blaß und müde. Und die geröteten Augen, die so gar nicht zu ihrer übrigen Ausstrahlung paßten, verrieten mir, daß sie noch vor kurzer Zeit geweint haben mußte. „Es geht schon.“ sagte sie ein wenig stockend und mit einem plötzlichen Lächeln auf den Lippen. Ein aufgesetztes Lächeln, das mir ganz offensichtlich den Eindruck vermitteln sollte, daß sie sich gut im Griff hatte und daß alles eigentlich halb so schlimm wäre. Ihre verquollenen Augen signalisierten mir allerdings ein völlig anderes Bild! Lisa Warbs wandte sich schnell zur Seite. Ich löste kurzerhand meinen Griff und stopfte die Hände ein wenig verlegen in die Hosentaschen meiner Jeans. Diese emotionsgeladenen Situationen waren nicht so mein Ding, wenn ich mal ehrlich war. Lieber observierte ich da vierundzwanzig Stunden am Stück verschwendungssüchtige Ehefrauen bei einer dieser ausgedehnten und ermüdenden Shopping-Touren in der City. Und das sogar bei sengender Hitze! Aber auch diese zwischenmenschlichen Dinge waren Teil meines Jobs. Der unangenehmere Teil, allerdings.Mit einer fahrig wirkenden Bewegung ihrer linken geleitete mich Lisa Warbs weiter in das Innere des Hauses. Der Weg führte uns durch eine verschwenderisch große Glastür in einen hell erleuchteten Flur, an dessen Seitenwänden unzählige metallgerahmte Grafiken hingen. Einige dieser Bilder hatte ich schon mal zuvor gesehen, in irgendeiner Zeitschrift. Die meisten sagten mir jedoch nicht viel, und ich schenkte ihnen keine weitere Beachtung. Gemälde mit röhrenden Hirschen vor einer schneebedeckten Gebirgslandschaft oder ein weißglänzendes Segelschiff auf hoher See, damit konnte ich ja noch etwas anfangen! Aber diese dreieckigen Farbtupfer -japanisch auf das absolute Minimum reduziert und dann als moderne Kunst deklariert- waren nicht so mein Geschmack. Jedenfalls ging ich davon aus, daß es wohl keine Kopien waren, die mir da in allen Farben der Welt und recht abstrakt von den Wänden entgegenschrien. Kleine punktförmige Scheinwerfer leuchteten von der hellvertäfelten Decke herab und tauchten den Fußboden in ein angenehm warmes Licht. Ich