Secret of Time. Joachim Koller
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Julia kam näher und betrachtete den Inhalt der Schatulle.
„Ist das echtes Gold?“, fragte sie staunend.
„Ich habe keine …“
„Ich weiß, mein Schatz“, unterbrach sie ihn und nahm das Quadrat in die Hand. Leon schätzte die Länge auf fünfzehn Zentimeter, alle Kanten waren sorgfältig geglättet worden. Julia drehte das Quadrat um und zeigte es ihrem Mann.
„Da ist etwas eingeprägt, es sind Buchstaben.“
Leon sah es sich näher an und erkannte, dass seine Frau recht hatte.
„Aber spiegelverkehrt, als wäre dieses Ding ein Teil eines Stempels.“
Während er noch überlegte, was das alles zu bedeuten hatte, war Julia in ihr Zimmer verschwunden und kam mit einem färbigen Schwamm zurück.
„Nur gut, dass wenigstens ich mich etwas künstlerisch betätige, oder?“
Sie tupfte die beschriebene Seite mit dem bläulichen Schwamm ab und drückte das Goldquadrat danach auf ein leeres Blatt Papier.
Ratlos standen sie vor dem Blatt und betrachteten die Wörter vor ihnen.
„Sieht lateinisch aus“, meinte Julia.
„Sorry, das ist keine Sprache, die ich beherrsche.“
„Und nun?“
„Ich frage mich gerade, warum wir uns damit beschäftigen. Mein Vater wollte nichts mehr mit mir zu tun haben. Jetzt vermacht er mir ein Familiengeheimnis, welches sich als eine kleine Goldplatte herausstellt, auf der einige Wörter stehen.“
Doch Leon war selbst etwas neugierig geworden. Er nahm sein Tablet und schaltete es ein.
„Was hast Du vor?“
„Wir können nicht Latein, aber es gibt eine Suchmaschine, die auch übersetzen kann“, meinte er grinsend und tippte die Wörter der Reihe nach ein. Aber als er das Ergebnis sah, konnte er nur die Augenbrauen hochziehen und erneut den Kopf schütteln.
„So ein Schwachsinn, sieh her.“
Repertori - Entdecker
Inperfecto familia – Unvollendete Familie
Oculi obviam in – Treffen sie die Augen
Duobus rectis – Zwei rechts
Aperit quadratum in – Öffnet auf dem Quadrat
Ad Descensum – Der Abstieg
ultra tempus – Jahreszeit
„Das ergibt keinen Sinn“, meinte Julia.
„Ganz genau. Was auch immer mein Vater damit vorhatte oder sich dabei gedacht hat, ich erkenne keine Logik und keinen Sinn dahinter.“
Er nahm das Metallquadrat, wischte es ab und warf es in die Holzschachtel hinein. Dabei fiel ihm auf der Innenseite des Deckels eine eingestanzte Zeile auf.
Picture ostendit viam - Duo ex me - Aurea quadratum Antoni
„Nicht noch so ein …“, stöhnte Leon auf und ließ auch diesen Satz übersetzen.
„Das Bild zeigt den Weg. Zwei von mir, das goldene Quadrat von Antoni. Was soll ich damit nun anfangen?“
Er schloss die Schatulle und blickte zu Julia.
„Vielleicht ist er auf seine alten Tage hin etwas verrückt geworden“, überlegte er laut.
„Leon, es war Dein Vater, da kannst Du nicht so reden.“
„Du weißt schon noch, dass es mein Vater war, der Dir erklärt hat, Du bist nicht gut für mich, weil Du unbedingt Karriere machen willst. Mein Vater war derjenige, der mir erklärt hat, ich soll meinen Job hinschmeißen und Architektur studieren, damit die Tradition der Familie Sagnier weiter bestehen bleibt. Der Mann, der, anstatt sich auf die Hochzeit seines einzigen Sohns zu freuen, anruft und mir empfiehlt so eine unwürdige Frau mit neumodischen Ansichten nicht zu heiraten.“
Leon wurde etwas lauter, er verspürte keine Trauer, sondern nur dieselbe Wut, wie damals nach seinem letzten Telefonat mit seinem Vater. Julia schwieg und legte einen Arm um ihn.
„Ist schon okay. Wir werden diese Schatulle irgendwo hinstellen und damit ist die Sache erledigt. Einverstanden?“
Leon nickte, drehte sich dann zu seiner Frau und küsste sie.
Die Schatulle wurde verstaut und schon nach einigen Tagen war sie vergessen. Leon lebte sein Leben weiter, glücklich verheiratet mit Julia und verschwendete keine Gedanken mehr an seinen Vater oder das ominöse Geheimnis der seltsamen Worte.
Teil 2 - Sightseeing
Fünf Monate später
Samstag, 9 Uhr
Ruhig, fast wie auf Schienen, flog das Flugzeug im langsamen Sinkflug über die spanische Küste. Leon lehnte mit dem Kopf an der Kabinenwand und wurde durch die Ansage der Stewardess munter. Von seinem Fensterplatz sah er die Großstadt Barcelona vorbeiziehen. Deutlich war der Hafen zu erkennen, unweit davon ein Grünstreifen, der sich durch das dicht besiedelte Stadtgebiet zog. Ein Stadtteil mit quadratischen Häuserblocks stach ebenfalls deutlich hervor. Aus diesem ragte eine gewaltige Kirche heraus. Die Sagrada Familia, die unvollendete Kirche, wie er aus seinem Reiseführer wusste. Für Leon war es der erste Besuch in Barcelona, der Urlaub war sehr kurzfristig zustande gekommen.
Julia hatte vor zwei Monaten ihren Job gekündigt und zu einer großen Hotelkette gewechselt. Gleich nach einigen Wochen hatte man ihr einen Auftrag in Berlin zugeschanzt. Deshalb war sie noch zwei Wochen in Deutschland. Bislang waren sie nie länger als ein paar Tage voneinander getrennt gewesen, nun aber waren es schon drei Wochen, die seine Frau in Berlin verbrachte. Eine Stadt, die Leon schon öfters besucht hatte, was ihn zuerst überlegen ließ, sie zu besuchen. Da sie aber meistens bis abends im Hotel zu tun hatte und von einer Sitzung zur nächsten dirigiert wurde, entschied er sich dagegen. Um dennoch nicht nur daheimzusitzen und auch wieder einmal alleine etwas zu unternehmen, suchte er nach einem billigen Städtetrip für mehrere Tage. Das günstigste Angebot, das ihm unterkam, war ein Aufenthalt in Barcelona für eine Woche. Zuerst sträubte er sich noch, aber als ein Kunde bei ihm seinen Barcelona-Trip, samt Besuch eines Fußballmatches des FC Barcelona im Champions League - Spiel gegen Bayern München, stornierte, nutzte er die Gunst der Stunde. Als großer Fußballfan wollte sich Leon nicht die Chance entgehen lassen, dieses hochklassige Aufeinandertreffen live mitzuerleben. Außerdem war er der Meinung,