Der gelbe Himmel und die graue Ebene. Jörg Röske
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Schließlich befand sich auch das zweite Seil in einer vom Großmast an einem Seil herabhängenden Rolle, und Jero zog nun mühsam das längliche Geschoss hinauf zum Schiff. Er tat dies, indem er abwechselnd mit aller Kraft an den Seilen zog, sich auf der anderen Seite des Großmastes an diesem mit einem Bein abstützend. Sobald der Torpedo ein wenig an Höhe gewonnen hatte, band Jero das Seil schnell an das Balkengestänge, das vor und hinter dem Großmast auf dem Oberdeck angebracht worden war. Mehr als eine geringe Höhe durfte er nicht erreichen, denn sonst bestünde die Gefahr, dass der Torpedo durch die Seilschlingen durchrutsche. Und mehr als diese Höhen ließ die Körperkraft des Ritters nicht zu, denn es waren mehrere Zentner, die er bewegte.
Die Sonne stand im Zenit, als der Torpedo längsseits an der Backbordseite hing. Der warme Mittagswind und das Rahsegel des Fockmastes brachten Schiff, Ritter und Torpedo zur Burg, in dessen Hof der Burgherr sein Schiff landete. Er hechtete über die Bordwand, schaute dann auf das Geschoss, überlegte das weitere Vorgehen, da erinnerte er sich - blitzartig zuckte das Bild vor seinem inneren Auge auf. Er sah das leichte Heben des U-Boot-Bugs, als der zweite Torpedo sein Rohr verlassen hatte. Natürlich wurde der Bug leichter, wenn ihn ein ordentliches Gewicht verließ, und der leitende Ingenieur eines U-Boots musste sofort dafür sorgen, dass das Boot wieder in die Horizontale gelangte.
Jero wunderte sich erneut über sein Wissen über das Schifffahrtswesen von U-Booten. Der Ritter drehte sich um und richtete seinen Blick auf den kleinen Turm.
Rotsprung
Das Seil hing noch, war vom Tag des heftigen Gewitters übriggeblieben, und Jero kletterte daran den kleinen Turm hinauf. Die Sonne schien heiß und der tiefgelbe, obere Himmel lastete ordentlich über der grauen und weiten Ebene. Der Ritter schwitzte, erreichte das Turmdach und zog - seinen Blick auf die Luke gerichtet - das schwere Stahlschwert. Dann machte er sich an der Falltür zu schaffen, setzte unzählige Male die Waffe am Rand des Holzes an, suchte nach einer Möglichkeit, dieses Hindernis zu überwinden.
Da gelangte er an das Ende, das Holz und Metall vor ihm schmiedeten, spürte die Mauer, die vor ihm unnachgiebig und in unabänderlicher Härte stand. Der Ritter hatte gehofft, nicht von dem Gebrauch machen zu müssen, das er nun aus dem umgehängten Lederbeutel heraus nahm. Er legte den Sprengstoff, den er dem Torpedo entnommen hatte, auf die Luke und befestigte die Lunte. Mit einem Schwefelholz entzündete er die Schnur, die zu zischen begann. Schnell eilte er zum Seil, kletterte bis kurz unter die Oberkante der Turmdachmauer und vernahm einen kurzen und heftigen Schlag - ohne jegliche Verzögerung.
Jero schaute nach, sah den Boden des Turmdachs, in dessen Mitte sich eine schwarze Öffnung befand. Verstreut lagen Holzsplitter auf dem Steinboden und der Ritter kletterte über die Zinnenmauer. Ein Blick ins Innere des Turms ließ ihn das Seil holen, es von der Außenmauer zu nehmen und ins Düstere des kleinen Turms hinein zu hängen, ins Unbekannte, für dessen Erkundung dem Ritter nur sein Schwert, das Seil und eine Portion Mut zur Verfügung stand.
Ihm rieselte es beim Einstieg seltsam den Rücken hinunter, als er vom Lichtraum in den der Nacht hinüberglitt. Angenehm kühl war es dort und karges Licht drang durch die wenigen Schießscharten hinein. Jedoch wurde die Luft des Turmesinneren beim beständigen Nähern zum Boden warm. Er erreichte ihn und der Ritter fand sich in einer Atmosphäre von Schwarz, Rötlichkeit und vulkanischem Dampfkribbeln und Feuervibrieren wieder.
Vor sich entdeckte er einen grauen Steinaltar, auf dessen grauer Weihedecke sich zwei rote Kerzen in grauen Steinkerzenständern befanden. Zwischen ihnen lag Kleidung aus rotem Wildleder und roter Baumwolle, und vor dem Altar lehnte in der Mitte dessen Front ein Schwert.
Jero stand barfüßig auf dem warmen Steinboden in der Mitte des runden, kleinen Turms und schaute und regte sich nicht.
Dann geschah weihevoll seltsames. Der Ritter entledigte sich sämtlicher Dinge, die er am Körper trug und ging bestimmten Schrittes zum streng nach den geometrischen Gesetzen der Symmetrie und der Rechtwinkligkeit gehauenen Stein. Er entzündete mit einem in seiner linken Hand verbliebenen Schwefelholz die beiden Kerzen, und ein warmer Schimmer leuchtete auf.
Dann nahm er das hellrote Unterzeug, zog es an und danach die weinrote Lederkleidung, die aus einer Jacke, die vor Brust und Bauch zugeschnürt werden konnte, und einer engen Hose bestand. Ein schmales Baumwolltuch bildete den Gürtel, in den Jero das leichte, schmalklingige und elegante Schwert steckte. Er verharrte einen Moment und setzte sich dann im Schneidersitz vor den grauen Quader. Dann zog er das Schwert aus der Scheide, das angenehm in der Hand lag und dessen langer Griff aus rotem Elfenbein bestand. Er prüfte die Klinge, bemerkte eine unglaubliche Schärfe des blankpolierten Metalls und begann, mit dem leicht geschwungenen Schwert sein volles und schwarzes Haupthaar abzuschneiden.
Danach steckte er die Waffe zurück in die rote Scheide und prüfte mit der rechten Hand seinen nun kahlen Kopf.
Der Ritter war zufrieden und spürte eine Art Arm, der begann, sich um seine linke Schulter zu legen.
Abgrund
Erst nach einem Wimpernschlag erschreckte sich Jero, denn der Arm fühlte sich gut an, warm und weich. Er wollte sich erheben und dem Eingedrungenen in die Augen schauen und stellte mit Unbehagen fest, dass sein Vorhaben misslang. Da sah er erst die weiteren Arme, die sich kalt und glitschig um seine Beine geschlungen hatten und sie fest hielten. Ein weiterer weicher und warmer Arm hatte sich der rechten Schulter bemächtigt, und Jero vermochte nicht, seinen Oberkörper zu drehen. Er sah den rot leuchtenden Griff seines neuen Schwertes vor sich, wollte es ziehen. Und die Arme ließen sich nicht bewegen.
Der Ritter wandte sich, konnte nur noch seinen Kopf bewegen, mit dem er im Blickwinkel nur einen vagen, schemenhaften Brei von Schwarzem und Rotem hinter sich erkennen konnte. Er hielt inne, verschnaufte, gab nicht auf und versuchte, sich mit aller Kraft loszureißen. Da spürte er, dass er gefangen war, und er schrie einen Schrei, den niemand hörte, und der auch seinen Ohren verborgen war.
Nach diesem Verzweiflungsatem, der lange währte, sackte der starke Ritter zusammen, dämmerte dahin, wie ein Floß auf einem grauen Fluss, der eine weite Ebene durchzog, und dessen Ufer von Schilf gesäumt war - an einem trüben Nachmittag mit grauen Wolken am Himmel. Schließlich schlief Jero ein und erwachte nach unbestimmbaren Träumen, die wirr und fieberhaft geschehen waren und eine tiefe Unruhe in des Ritters Seele verankerten.
Zunächst - beim Öffnen seiner Augen - wusste er nicht, in welchem Gemäuer er sich befand. Ein kühler Wind streifte umher, der Ritter setzte sich auf, schaute umher und entdeckte in dem Düsteren um ihn herum den grauen Steinaltar. Da erinnerte er sich an das vergangene Geschehen, erhob sich hektisch und blickte um sich - den Eindringling suchend und mit der rechten Hand den Schwertgriff umschlossen haltend. Allmählich wurden Jeros Bewegungen langsamer und schließlich stand er nur noch da, spürte den kühlen Wind um seinen Kopf wehen.
Verwirrt war der Ritter, hatte Zweifel, die einkerkernden Arme erlebt zu haben, waren sie vielleicht nur ein Schreckgespenst seiner unruhigen Träume gewesen.
Etwas streifte ihn am Kopf, und blitzschnell zog Jero sein neues Schwert, drehte sich dabei und vollführte mit der eleganten Klinge einen sicher geführten und kraftvollen Hieb. Noch den Nachhall des Blinkens seines Schwertes vernehmend sah er in das Dunkle vor sich, dann schnell um sich, dann nach oben und schließlich vor sich auf den Boden. Er entdeckte das Ende des Seils, das ihn auf den Turm und in dessen Inneres gebracht hatte.
Präzise abgetrennt lag das Seilstück vor ihm auf dem Steinboden, und der Ritter war erleichtert.