Hand aufs Herz. Susanne Holzer Sybille Maier-Ginther
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Endlich glaubt man, man wäre jetzt „drin“, dabei könnte es laut den anderen Forumsteilnehmerinnen mit jedem Bauchzwacken vorbei sein mit der ganzen Freude! „Was, du hast Ausfluss?? Das könnte Fruchtwasser sein und dein Baby könnte im Begriff sein zu sterben!“ Auch wenn es schwer fällt, sollte man in so einer Situation nicht gleich in Panik verfallen. In den meisten Fällen geht alles gut. Das muss man sich nur immer wieder sagen, denn sonst macht man sich ganz und gar verrückt.
Leider gibt es natürlich sehr wohl den Fall, dass genetisch etwas schiefläuft und sich ein kleiner Wurm nun mal nicht weiterentwickelt. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie weh das in dem Moment tun muss und vielleicht gibt es in solchen Augenblicken auch gar keine Worte des Trostes – schon gar nicht Mediziner-Standardfloskeln wie „Die Natur regelt das ganz gut, was nicht lebensfähig ist, wird abgestoßen“. Ich frage mich, wie man mithilfe solcher Phrasen wieder Mut finden soll. Viel eher würde mich vielleicht der Gedanke beruhigen, dass mein Körper zumindest fähig ist, ein Kind zu zeugen, nur dass eben diesmal etwas schief gelaufen ist. Beim nächsten Mal kann durchaus alles klappen – und deswegen darf man nie die Hoffnung aufgeben!
Will ich‘s wirklich wissen?
Ich glaube, beim nächsten Mal werde ich mir das Geschlecht meines Kindes nicht mehr sagen lassen. Warum? Wenn man noch nicht weiß, was es wird, hat man alle Möglichkeiten: Eine kleine Ballerina, ein wilder Fußballer – es könnte alles sein, bis es dann plötzlich heißt: „Was denken Sie denn, was es wird?! Ich: „Das Bauchgefühl sagt ja ein Mädchen, aber ein Bub wäre …“ Und noch bevor ich es aussprechen konnte, sagte mir der Herr Doc schon, dass es ein Mädchen wird.
Mein Mann stieß einen Seufzer aus und meinte, er hätte es ja gewusst. Ob das nun positiv oder negativ war, weiß ich bis heute nicht, aber viel wichtiger ist wohl die Frage, wie sich das für mich anfühlte! Positiv, negativ, ich konnte es gar nicht so genau sagen. Irgendwie hatte ich jedenfalls das Gefühl, irgendetwas beraubt worden zu sein, was immer das auch sein sollte. Vielleicht der Möglichkeit, einen kleinen Fußballer im süßen Dress mit Papa über den Rasen tollen zu sehen?
Ein Mädchen, oh Gott, ich würde also eine Tochter bekommen. War das gut? Konnte so eine Mutter-Tochter-Beziehung nicht unglaublich kompliziert sein? Konnte man da nicht richtig viel Schaden anrichten? Konnte ich das, eine Tochter haben?? In den ersten Stunden nach dem Arztbesuch machte ich mich völlig verrückt mit solchen Gedanken. Zig Mal nervte ich meinen Mann mit Fragen wie: „Hättest du nicht gerne einen kleinen Fußballer?“ Er: „Ist sie aber nicht“ Ich: „Aber bist du jetzt traurig"? Er: „Nein, sie war ja nie ein Fußballer, es ist ein Mädchen.“
Ich konnte aber einfach keine Ruhe geben und zermarterte mir den Kopf mit diversen Was-wäre-gewesen-wenn-Szenarien. Wie immer blieb mein Mann pragmatisch und meinte: „Schatz, niemand auf der Welt könnte dir hier und jetzt garantieren, dass der Bub, wenn er denn einer geworden wäre, mal nicht Friseur oder Balletttänzer geworden wäre, also krieg dich bitte wieder ein! Es ist, was es ist, ein tolles, süßes Mädel!“. Natürlich hatte er recht, aber irgendwie fühlte es sich trotzdem nach Verlust an, eigenartig. Gott sei Dank sind solche Verlustgefühle aber auf einmal komplett verschwunden, wenn das Baby geschlüpft ist. Denn dann sind solche Gedanken plötzlich absolut relativ. Dann ist es, was es ist und es ist gut!
Da haben wir den Salat bzw. den Pimmel
Bevor mir meine Frauenärztin verkündete, dass wir einen Jungen bekommen würden, hätte ich jedem gesagt: „Uns ist es ganz egal, was es wird, Hauptsache gesund!“. Das wäre auch keine Lüge gewesen, ich war ja selbst davon überzeugt, dass es so war. Ich konnte mir sowohl ein süßes, kleines, mit Puppen spielendes Mädchen als auch einen frechen, kleinen, über die Wiese tollenden Jungen vorstellen.
Dass diese Überlegungen aber rein theoretisch waren und nur so lange lustig, so lange sie eben nichts als Überlegungen waren, hätte mich selbst überrascht. Denn dass ich unterbewusst offensichtlich felsenfest davon ausgegangen war, ein Mädchen zu bekommen, wurde mir erst klar, als mir meine Ärztin verkündete, dass es „ein Burli“ werden würde. Fast hätte ich empört gerufen „Nein, da muss eine Verwechslung vorliegen!“
Beim Arzt war ich noch wie in Watte gepackt, aber als ich dann im Auto saß, drang es irgendwie endgültig zu mir durch. Bis kurz vor dem Büro kullerten mir bittere Tränen die Wangen hinunter und ich hätte mich gleichzeitig selbst ohrfeigen können. Welche Mutter heult bitte, wenn sie erfährt, dass sie in ein paar Monaten einen süßen, kleinen Jungen im Arm halten wird?! Ich war ja bereits jetzt eine Rabenmutter!
Leider machte diese Erkenntnis das Ganze natürlich auch nicht besser: maßlos enttäuscht zu sein und gleichzeitig zu wissen, dass man dazu absolut überhaupt kein Recht hat und sich gerade aufführt wie der letzte Vollidiot. Und trotzdem: Wie soll man seine Gefühle in diesem Moment abstellen? Denn nichts lieber würde man in diesem Moment tun, schließlich kann der kleine Mann da drinnen ja nun wirklich nix für seinen Pimmel und man möchte sich nur uneingeschränkt auf ihn freuen (den Sohn, nicht den Pimmel).
Stattdessen macht einem das Kopfkino leider einen Strich durch die Rechnung. Nicht nur weil ich mit einem Mädchen endlich eine Verwendung für meine alten Sissi-Bücher gehabt hätte, konnte ich mir einfach gar nicht vorstellen, wie das mit einem Jungen werden sollte. „Laut, stinkend, tobend, wild, zerstörerisch, prollig – das will ich alles nicht, das kann ich nicht und das ist mir alles so unglaublich fremd. Nachmittage am Fußballplatz, Spielzeugautos, Bagger – das ist alles nicht meine Welt und wird’s auch nie sein!“- so ging es in meinem Hirn und Herz im Kreis.
Gleichzeitig versuchte ich, mir 100 Gründe auszudenken, warum Jungs toll sind. Ich dachte an alle wunderbaren Männer, die es in meinem Leben gibt und die ich doch teilweise viel, viel toller fand als alle Frauen, die ich kenne. Und dennoch: Anfangs blieb der einzige Grund, der auch bei mir im Herzen ankam, dass es schließlich super wäre, wenn mein kleines Mädchen später einen großen Bruder hätte. Na super…!
Im Grund genommen hatte ich wahrscheinlich Angst, dass ich zu diesem kleinen Mann keine Beziehung aufbauen könnte, dass er mir so fremd und – ja! – unsympathisch bleiben würde wie die kleinen Rotzlöffel-Jungs aus meinem Bekanntenkreis, an denen ich wirklich so gar nichts Liebenswertes finden konnte.
Ich fühlte mich wegen meinem Herumgespinne richtig schlecht. So richtig. So schlecht wie ich mich noch selten wegen irgendetwas gefühlt hatte. Meinem kleinen, ungeborenen Sohn gegenüber tat es mir maßlos leid und ich versprach ihm hoch und heilig, dass seine Mama in den nächsten Tagen aufs Beste versuchen würde, sich so richtig auf ihn und seine Autos und Bagger und Superman-Pyjamas zu freuen. Nur im Moment bräuchte sie noch ein bisschen Zeit, ein paar Tränen und Schoko-Lebkuchen und viel Liebe – denn noch tat das im Herzen ganz schön weh, auch wenn Baby Boy selbiges gerade von unten schon so richtig schön zu erwärmen versuchte.
Ich weiß nicht, ob es der Lebkuchen war oder die heftigen Tritte meines Kleinen, die mir die Flausen aus dem Kopf trieben - auf jeden Fall konnte ich mich jeden Tag mehr mit dem Gedanken anfreunden, bald einen Sohn zu haben und als Noah dann da war, war es tatsächlich so, wie immer alle sagen: Man kann es sich nicht mehr anders vorstellen. Nicht, weil man plötzlich alle Mädchen doof findet oder auf einmal den Reiz von Spielzeugbaggern entdeckt hat, nein – man kann es sich einfach wortwörtlich, buchstäblich und rein logisch nicht mehr vorstellen,