wie Hulle. Peter Baldinger
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу wie Hulle - Peter Baldinger страница 5
Ich hatte Biologie bei Rattler. Bevor der Unterricht losging, musste man das Spiel: „Hände hinter den Rücken! Zappelt nicht! Aufstehen! Setzen! Aufstehen! Setzen!“ mitmachen. Das weckte einen angeblich.
Dann zeigte er uns Dias von seinen vorsintflutlichen Expeditionen in den Amazonas und nach Afrika. Die Dias waren aber klasse. Dazu erzählte er Geschichten über Badeerlebnisse in Flüssen voller Krokodile, Piranhas und über riesige Insekten und so weiter.
Zwischendurch kriegte Rattler Tobsuchtsanfälle. Er war halt ein alter Fascho. Dabei schlug er mit einem Bambusstock wild auf den Tischen rum, immer dicht neben die Finger. Wenn er den Stock fransig geschlagen hatte, flogen einem die Bambusstücke um die Ohren. Mit hochroten Kopf schrie er dazu, was das Zeug hielt.
Die Stöcke bekam er paketeweise von einer Schulbedarfsfirma direkt in die Schule geliefert.
Dann war er wieder friedlich und sagte, dass es mit Sexualkunde weitergehe.
Das war natürlich ein Witz, denn er hielt uns einen Vortrag über die Wichtigkeit des täglichen Schwanzwaschens, Vorhautverengungen und darüber, dass wenn man mal müsse, man schnellstmöglich ein Klo aufsuchen solle, da jedes Verdrücken ungesund sei.
Bei Rattler hatte ich auch Kunst: Zuerst mussten wir jede Menge Kniebeugen machen. Dann wurde mit Wasserfarben getuscht. Dazu rührten wir unser eigenes Deckweiß in Marmeladengläsern an. Ich lernte, dass es kein Weiß und kein Schwarz in der Natur gibt. Das ein Bild aber fast nur aus Weiß und Schwarz besteht. Interessant.
Am Ende der Stunde mussten wir fegen und die Tische genau nach dem Fliesenmuster auf dem Boden ausrichten, da das nicht auf Anhieb klappte, spielte er wieder etwas mit dem Rohrstock und wir mussten erneut das Rauf-Runter-Gehampel machen.
Insgesamt fand ich Rattler dufte, weil ich etwas über Malerei lernte. Am Ende des Jahres fragte er jeden, ob er eine Eins oder Zwei im Zeugnis haben wollte. Ich entschied mich natürlich für eine Eins und kriegte sie auch.
Als er mit dem Stock jemanden auf dem Rücken erwischte, schickte man ihn in Rente.
1973
Der Sportlehrer, ein alter Knacker sagte, wir sollten um den Maschsee rennen. Das sagte er, wenn er keine Lust hatte, uns Fußball spielen zu lassen (also fast immer). Er ging mit raus ans Ufer des Maschsees, trillerte auf einer Pfeife zum Start und wartete bis alle losgelaufen waren. Das war‘s - für ihn. Einige quälten sich tatsächlich die acht Kilometer um den See. Andere spazierten auf Umwegen zurück. Ich nahm mit einigen eine Fähre und wir machten eine Maschsee-Rundfahrt. Gerade rechtzeitig großen Pause waren wir wieder auf dem Schulhof.
Am Tor zur benachbarten Mädchenschule lungerten die Typen rum, die bald Abitur machten. Sie quarzten Selbstgedrehte.
„Spielst du Gitarre?“ fragte ich einen besonders Langhaarigen. Er hatte einen braunen Hirtenmantel an. Seine Matte lag locker auf dem Schafsfellkragen und bedeckte noch fast den ganzen Rücken. Seine Füße hatte er ganz dicht nebeneinander gestellt. Er machte keine überflüssigen Bewegungen - sparte Energie.
„Ja“, sagte er knapp.
„Kannst du mir Unterricht geben?“ fragte ich ihn.
„Nee“, erwiderte er, weiter bewegungslos, „aber der.“ Nur seine Kippe deutete auf einen Typen der neben ihm stand. Der war etwas kleiner, hatte auch eine stattliche Matte und einen abgebrochenen Schneidezahn. Er hieß Matze.
Zwei Tage später war ich bei ihm zu Hause in Laatzen. Ich zeigte ihm meine Gitarre und er sagte sie sei Schrott. Wir fingen mit dem Unterricht an. Er zeigte mir, wie man Akkorde spielte. Ich klampfte einen ‚Donovan‘ Song und sollte dazu auch singen. Konnte ich aber nicht und hasste es deshalb.
Einen Monat später ging ich mit Matze in die einschlägigen Instrumentenläden. Matze sah sich alle E-Gitarren an. Er hielt sie hoch und prüfte, ob der Hals gerade war, dann spielte er sie durch. Er quatschte mit den Leuten, die ihn alle kannten, da er regelmäßig Gitarren austestete. Ich stand wie ein Depp daneben. Am Schluss kauften wir eine feuerrote ‚Epiphone‘. Wegen Matze kriegte ich Prozente. Auch gut.
Ich überredete den Alten, mich nach Wunstorf zu fahren. Dort spielte in der Aula einer Schule Matze mit seiner Band. Der Nachhilfeschüler vom Alten war auch da. Als er den Alten sah, verdrückte er sich.
Es war ein Hippiekonzert. Matzes Freundin, eine superdufte, langhaarige, knödelbusige Frau in einem Hippiekleid verteilte Räucherstäbchen im Publikum. Kerzen und Wunderkerzen brannten. Der zweite Gitarrist war Matzes Freund von der Schule. Auch beim Gitarre spielen stand er wie eine Steinsäule da. Nur seine Hände bearbeiteten das Griffbrett. Astrein. Es waren nicht mehr als dreißig Leute da, also stellte ich meinen grauen Plastik-Mono-Kassettenrekorder (Neckermann – Hausmarke, zu Weihnachten bekommen), auf den Tisch, stöpselte das Mikrofon ein und nahm das Konzert auf.
Die Band spielte atmosphärische Stücke, die eine halbe Stunde und länger dauerten - mit viel Wah-Wah-Gitarre. Gewaltig! Ich schwamm weg.
Nach ein paar Stunden, das Konzert schien endlos, wurde der Alte ungeduldig, weil er nicht viel trinken konnte und wir düsten zurück.
Zu Hause schaltete ich den Kassettenrecorder ein und hörte mir die Aufnahme an. Nicht so doll, weil übersteuert.
Ich saß am Schreibtisch, der in Wirklichkeit ein alter Küchentisch abgedeckt mit einer hellgelben Leinendecke war und sah durch die Gardine aus dem Fenster. Das Haus gegenüber sah genauso aus wie unser Haus, nur gespiegelt. Braune Fassade. Stierte ich ewig an.
Im Aquarium schwammen die Rotbrustbuntbarsche, die mir jemand angedreht hatte. Sie hatten alle anderen Fische und die Pflanzen aufgefressen. Nun wühlten sie in den Steinen.
Eigentlich sollte ich Hausaufgaben machen, aber dazu hatte ich echt keinen Bock. Also radierte ich weiter alle Köpfe aus den Fotos meines Geschichtsbuchs aus. Das war unglaublich mühselig, weil ich das Papier nicht kaputt machen wollte. Es hatte mich schon zwei Wochen Arbeit gekostet. Hauptsächlich in den Geschichtsstunden und eben nachmittags zu Hause. Auf die entstandenen weißen Flächen malte ich den Leuten entweder Penisse oder Glühbirnen. Die Entscheidung war weitgehend zufällig, obwohl klar war, dass Napoleon einen winzigen Penis mit knubbeliger Eichel bekam und Bismarck einen, der lasch nach unten hing. Wenn die Körper eine Glühbirne kriegten, so akzentuierte ich mit einem goldgelben Buntstift den Glühfaden und den Schein.
Endlich war das Buch fertig! Ich blätterte alles noch mal durch. Sah astrein aus.
Der Alte kam von der Arbeit nach Hause und hatte schon einen im Kahn. Er stolperte schnurstracks in mein Zimmer und wollte die Hausaufgaben kontrollieren. Wie immer mäkelte er an dem bisschen, was ich gemacht hatte, rum und fensterte mir welche.
Dabei musste ich auch laufend Schwachsinn machen:
Erstens Blätter von Bäumen trocknen; die Blätter in Alben kleben; pressen und herausbekommen, wie die Bäume hießen, von denen sie stammten. Das hatte ich dann auch noch in gestochenen Druckbuchstaben drunterzuschreiben. Gähn!
Zweitens in Mathe gut sein, weil der Alte in Mathe immer gut war und er wollte, dass ich das auch werde.
Drittens Latein lernen, weil der Alte versprochen hatte, mir dabei zu helfen und er in Französisch eine Niete