wie Hulle. Peter Baldinger
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Familienurlaube fand ich grundsätzlich ätzend:
Vor zwei Jahren hatten wir einen Wohnwagen im Schwarzwald auf einer Weide gemietet. Es hatte pausenlos aus Kannen geschüttet. Wir haben in der Blechdose gehockt, Mau-Mau gespielt, Fliegen gefangen und sie in das Netz einer fetten Kreuzspinne geworfen.
Meine erste Erinnerung an einen Urlaub ist von der Insel Texel in Holland. Hatte eine Krabbenplage gegeben. Millionen der Viecher hatten die Insel zugedeckt.
Diesmal machten wir auf Urlaub auf dem Bauernhof. Schlichter Horror, mit den Gäulen und so. Ein Gaul hatte mich abgeworfen und mir voll in die Fresse getreten. Tagelang hatte ich einen Abdruck vom Huf gehabt. Ein anderer war einfach mit mir oben drauf davongeprescht und hatte in der Täterä angefangen zu grasen.
Carsten und ich spielten den ganzen Tag ‚kleines grünes Telefonmännchen‘. Das ging so: Man wählte irgendeine Nummer. Wenn jemand abhob, sagte man mit hoher Piepsstimme:
„Hier ist das kleine grüne Telefonmännchen. Ich komme aus Mexiko und lebe nun im Telefon. Ich bin sooo hungrig! Haben Sie nicht Bratkartoffeln für ein armes, kleines, grünes Telefonmännchen?“
Der Rest war Improvisation. Wir hatten viel Spaß.
Später auf dem Schützenfest aßen wir Bratwurst und lungerten an einem beliebten Karussell rum. Die spielten ‚Gary Glitter‘ und so nen Zeug. Das nervte zwar, aber es lungerten viele nette Millies rum.
Als die tausend Glühbirnen des Karussells zackig mit Grün, Gelb und Rot die Dunkelheit besudelten, quasselten wir zwei von ihnen an. Die waren volle Pulle geschminkt. Carsten mampfte hysterisch eine Karotte nach der anderen. Wir schäkerten und luden sie immer wieder ins Karussell ein. Es kostete uns das ganze Taschengeld. Am Schluss knutschten wir mit ihnen beim Herumrasen. Echt stark.
Am nächsten Tag tobten wir wieder hin. Es war der letzte Tag des Schützenfests. Die beiden Millies tauchten aber nicht auf. Dabei hatten sie es hoch und heilig versprochen. Der Kerl, der die Fahrtchips während der Fahrt einsammelte und sich dazu affig von Wagen zu Wagen hangelte, sprang bei voller Fahrt ab und landete direkt bei uns. Er schrie gegen ‚Waterloo‘ an: „Die beiden Tussen sind vonner Jeisterbahn. Sind wechjezojen, nach Jöttingen. Isch fahr heut‘ Nacht och rüber. Kommt mit! Könnt beim Uffbau helfen, dann sehter se wieder und verdient Pelunse eh. Is doch was!“
Lehnten wir ab.
Nachts stritten Muttern und der Alte. Muttern warf hysterisch ihren dreistöckigen Holznähkasten nach dem Alten und er wiederum schmiss leere Bierflaschen durch die Gegend (meine Zimmertür). Dabei ging es wohl um Beischlafprobleme: der Alte war geil, aber Muttern war an dem besoffenen, dickbäuchigen Sack nicht interessiert. Also ging der Alte noch mehr Saufen und schäkerte mit Tussen rum, die ihn aber sowieso abblitzen ließen.
Klappte es zwischen Muttern und ihm doch mal, das passierte ungefähr zweimal im Jahr, meist in einer Nacht von Freitag auf Samstag (erkannte man sofort an dem fröhlichen Pfeifen des Alten) so gingen sie zusammen in die Stadt und Muttern kriegte ein neues Kleid oder Schmuck geschenkt.
1974
Ostern. Nach drei Jahren Wartezeit hatten wir überraschend ein Visum bekommen, um nach Riesa in die Ostzone zu reisen. Muttern hatte da eine Tante, die sie besuchen wollte. Machten wir dann halt, obwohl Muttern vom Alten total angekotzt war und der als ‚Gegenmaßnahme‘ immer blau war.
Kurz vorher hatte der Alte einen knatzelorangen Passat aus der gerade herausgekommenen Passat-Serie von einem VW-Mitarbeiter abgekauft. Damit gondelten wir ‚rüber‘ und quartierten uns bei der Tante ein.
Die hatte ihre drei Zimmer bis zur Decke mit antiquarischen Möbeln zugestapelt. Viel Gequassel. Im Flur in einer Schale lag eine Sammlung Fluppen aus aller Welt. Indische, Russische, Arabische und aus der DDR. Davon bediente ich mich und vernebelte das Klo. Schmeckten echt Klasse.
Den Passat hatten wir im Hof geparkt. Als wir runtergingen, um irgendwo hinzugurken, standen mindestens hundert Leute im Hof und begafften die Karre.
Am nächsten Tag zuckelten wir nach Dresden, obwohl wir das eigentlich gar nicht durften. Dem Alten war aber auch das schnuppe. In Dresden wollten wir nach langem Rumgelatsche was Essen gehen, aber an allen Restaurants hing ein Schild mit der Aufschrift: ‚Wegen Überfüllung geschlossen‘. Konnte irgendwie nicht sein, da praktisch niemand unterwegs war. Da dem Alten wirklich alles egal war, sind wir in eins einfach rein und hochgegangen. Oben war eine riesige Halle mit unzählig vielen gedeckten Tischen. Die waren alle leer, außer an einem in der Mitte, da saßen die Angestellten und spielten Karten. Obwohl der Alte mit D-Mark Scheinen wedelte (peinlich), kriegten wir nichts zu futtern.
Frustriert gab sich der Alte die Kante in einer Eckkneipe. Muttern fluchte. Aber dem Alten war alles so schnuppe, dass er sogar Muttern nicht ans Steuer des neuen Wagens ließ, sondern es selbst besoffen nach Riesa zurückfuhr. Aber er hatte Glück, weil keiner uns stoppte.
Einmal taperte ich alleine durchs Städtchen. War ne echte Erfahrung. Alles war mit einer dicken Schicht Kohlenstaub überzogen. Menschenleere Straßen und keine Geschäfte. Ich fand aber eine Kneipe, die mir Fluppen der Marke Karo verkaufte. Duftes Spielkarten-Design, aber ohne Filter. Lange drehte ich die Packung hin und her und las alles durch was draufstand. Immerhin meine erste gekaufte Packung. Schmeckten aber nur mäßig.
Irgendwann entdeckte ich ein kleines Plattengeschäft mit Schrottplatten. Also kaufte ich drei Platten mit Bachs Orgelwerken, weil es ja fast nichts kostete. Würg!
Ich rief im Rathaus an und fragte naiv, ob sie nicht wüssten, wie man als Band an einen Übungsraum kommen könne. Die waren sehr freundlich und gaben uns in einer Schule in Döhren ein Klassenzimmer, in dem wir nachmittags üben durften. Meschan spielte die Telecaster von seinem Bruder, ich meine Epiphone-Gitarre und Carsten einen E-Bass. Statt Verstärker nahmen wir olle Röhrenradios vom Sperrmüll. Ging auch. Wir übten zwei Mal die Woche und machten einige Fortschritte.
Immer hinterher stellten wir die Radios in einen Holzschrank. Der Schrank war alt. Die Schule war modern. Der Raum war hell. Der Hausmeister war nett.
Muttern ging auf den Balkon und tat so, als prüfe sie das Wetter. In Wirklichkeit verabredete sie sich aber mit ihrem Geliebten, der in den Seitenflügel unseres Blocks gezogen war. Dann brachte sie mal den Müll runter. Nach einer halbe Stunde wurde der Alte wütend und stiefelte hinterher.
Als er wiederkam, hatte er eine blutige Nase. Er hatte bei dem Macker geklingelt, der hatte sogar aufgemacht und Muttern war tatsächlich dagewesen. Der Alte war noch viel wütender geworden, aber der Typ hatte einen schwarzen Gürtel in Karate und war ein Body-Building-Riese. So hatte der Alte eine verpuhlt gekriegt und war die Treppe runtergeflogen.
Das konnte er gar nicht verknusen. Deshalb zog er in eine Dachmansarde zwei Straßen weiter. Muttern reichte die Scheidung ein.
Der Alte wollte, dass ich bei ihm lebe. Das machte ich aber lieber nicht.
Muttern fing an Kunst zu studieren. Nach der Schule fuhr ich manchmal in die Kunsthochschule hinter den Herrenhäuser Gärten. Die Ateliers, der Geruch der Farben - ultrageil.
Meschan und ich besuchten Roland, einen Typ aus meiner Klasse. Der wohnte in Gleidingen. Dazu musste man ewig mit der Straßenbahn