Das ungeteilte Vertrauen. Norbert Johannes Prenner

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Das ungeteilte Vertrauen - Norbert Johannes Prenner

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dem Bewusstsein, dass diese Zeitung von einem in Moskau zusammengestellten und ausgebildeten Team von Offizieren redigiert worden war, und in der Hoffnung, dass diese Zeitung am neuesten Stand der Informationen war, obwohl das „Neue Österreich“ dieser Zeitung in der Lesergunst längst den Rang abgelaufen hatte. Mit der Zeitung unterm Arm begab er sich schnurstracks ins Café Bräunerhof und ließ zunächst einmal beim Ober einen kleinen Schwarzen anschreiben, denn als Redakteur war er dort ein gern gesehener Gast und aufgrund der Tatsache, dass er stets die neuesten Nachrichten mitbrachte, auch kreditwürdig. Um 15 Uhr würde er seine Frau am Stephansplatz treffen, so blieben noch ganze zwei Stunden bis dahin, und die gehörten ihm, ihm ganz alleine, in seiner Hoffnung, dass die Verantwortlichen dieser Welt den dringenden Appell Papst Pius des XII. zur Wahrung der Moral und der Einigkeit ernst nehmen mochten, um die Gegensätze, die sich auf politischem, sozialem, wirtschaftlichem und vor allem kulturellem Gebiet in den letzten Jahren entwickelt hatten, auf einen Nenner zu bringen.

      Zustände, vor denen selbst die mutigsten Menschen in den letzten Jahren erschaudern mussten. Seit dem Einzug der Amerikaner, Briten und Franzosen im August 1945 hatten die drei Westalliierten vergeblich versucht, in ihrer Besatzungszone eine starke, mediale Hegemonie zu errichten, wobei sie neben ihren Zeitungen auch die Rundfunkstationen Rot-Weiß-Rot und Alpenland betrieben. Zusätzlich zur Österreichischen Zeitung der Russen fungierte der von Amerikanern gegründete Wiener Kurier als Sprachrohr britischer Vormundschaft. Das hatte man nun davon. Amüsiert über den Bericht vom Staatsbankett im Kreml, bei dem angeblich nichts von all´ den Spannungen bemerkt wurde, welches Stalin mit einem Trinkspruch eröffnet hatte, und bei dem Molotow ihn mit zwanzig Trinksprüchen wohl zu übertreffen gedachte, bestellte er ein Glas Wasser und war sich darüber im Klaren, dass die frommen Wünsche der Amerikaner nach einer raschen Lösung solche bleiben würden, und zwar für längere Zeit.

      „Was meinen Sie, Herr Franz, wie lange werden uns die in Moskau noch an der Nase herumführen?“ fragte er den Ober. „Also, wenn Sie mich so fragen, Herr Doktor, dann kann ich nur eins sagen, ein Kompromiss wird´s werden, mehr dürfen wir nicht erwarten, Sie werden sehen! Aber - wenn ich die dummen Sprüch´ von den Engländern schon hör´, dass es keinen Grund gibt, dass Österreich nicht ein blühendes Land werden könnte, dann vergeht´s mir, wenn Sie wissen was ich meine!“ „Ja, natürlich“, entgegnete Erich nachdenklich, vergeblich in seinen Taschen nach einer Zigarette kramend. „Nehmen´s eine von mir, Herr Doktor, bitte! Sie sind ja Stammkunde g´wesn, immer schon, hoffentlich bleiben´s uns auch in Zukunft treu!“ Erich bedankte sich höflich und bat um Feuer. „Und noch was sag´ ich Ihnen.

      Wenn die Russen nicht so arrogant und verstockt wären und nicht alles blockieren täten, dann hätt´ ma schon längst unsern Vertrag und a Ruh´ wär, finden´s nicht?“ „Sicher. Im Zeitschinden sind sie einmalig auf der Welt. Leider wird auch die Kluft zwischen den beiden Großen immer gewaltiger. Überall nur Krisen. Die griechische, die türkische und weiß der Teufel noch welche!“ „Wem sagen Sie das, Herr Doktor. Und dabei versichert man und uns täglich, dass weder die Russen, noch die Herren Amerikaner einen neuen Krieg wünschen.“ „Eben. Zwei Jahre dauert das Debakel um den sogenannten dauerhaften Frieden nun schon. Bis jetzt sind sie in ihren Verhandlungen über theoretisches Bla-Bla nicht hinausgekommen. Jetzt brauchen wir den Truman, der uns mitteilt, dass mit der Bergpredigt vor 2000 Jahren bereits alle Voraussetzungen für einen dauerhaften Völkerfrieden geschaffen worden sind!“ Beide lachten herzlich.

      „Das ist wirklich ein guter Witz, Herr Doktor, nur glaub´ ich, wird das die gottlosen Russen einen Dreck kümmern, wenn Sie verstehen, was ich mein´.“ „Da haben Sie auch wieder Recht, Herr Franz. Wie ich immer sag´, der Russ hat noch was ganz Anderes vor, sonst täten die nicht so darauf drängen, dass die Amis hier möglichst bald wieder abziehen und gar ihnen das Territorium überlassen. Bei dem Gedanken fühl´ ich mich gar nicht wohl. Sie doch auch nicht, oder?“ „Na, das können´s glauben. Aber – nicht bös´ sein Herr Doktor, ich muss – dort drüben, Kundschaft!“ Erich wandte sich wieder seiner Zeitung zu. Zumindest brauchte er heute nicht vor 17 Uhr in der Redaktion sein. Er war in Sorge, dass das Papier für die Abendaus-gabe wieder nicht reichen würde. Der Volksstimme ging es da schon besser, die wurden von den Sowjets mit den Lieferungen bevorzugt behandelt. In der Regel ging es ohnehin bloß um vier Seiten, die in den alten Maschinen, mühsam zusammengeflickt, gesetzt und gedruckt wurden. Und wenn schließlich alles funktionierte, konnte man nur hoffen, dass es keinen Stromausfall gab. Wer von den Journalisten nicht das Glück hatte, für eine Besatzungsmacht zu schreiben, musste seine Artikel eben mit leerem Magen verfassen, und das Hungergefühl verstärkte sich nach Redaktionsschluss nur noch mehr, wenn es nicht vom Arbeitsstress verdrängt wurde.

      Danach ging man nach Hause, in der Hoffnung, nicht vom großen Unbekannten überrascht zu werden, über dessen Untaten man zuvor lang und breit berichtet hatte. Dabei gehörte Erich noch zu den Glücklichen, einen Arbeitsplatz zu haben, auch wenn dabei ein Teil seines Lohnes nur in Naturalien abgegolten wurde, die mit Geld gar nicht zu bezahlen gewesen wären. Immerhin, man konnte genug Brot und Gemüse, zwar kaum Fleisch, jedoch Fett, Zucker, Milch- und Eipulver bekommen, und – es gab Zigaretten und Kaffee von den Amerikanern. Erich blickte über den Rand seiner Brille und sah s i e lange an. Sie war dunkelhaarig, schwarzes Kostüm, Mitte vierzig, schien groß und schlank und saß an einem kleinen Tisch am straßenseitigen Fenster. Sie blätterte offensichtlich bloß so zum Schein in einer Broschüre, ohne richtig darin zu lesen und rauchte. Aus dem Volksempfänger konnte man leise Straußwalzer hören. Erich schrieb ein paar Notizen auf den Zeitungsrand, die ihm für die bevorstehende Redaktionssitzung wichtig schienen, die Dame in Schwarz immer wieder beobachtend.

      Mit der Aufnahme seiner journalistischen Arbeit und seiner Verantwortung gegenüber dem wieder erstandenen Österreich war auch bei ihm der Wunsch nach Absicherung der beruflichen Tätigkeit erwacht, denn schließlich träumte jeder von der Verbesserung seiner Arbeitsbedingungen, ja, träumte davon, irgendwie einen Ausweg aus den herrschenden chaotischen Verhältnissen zu finden. Einige Kollegen aus den Redaktionen der Arbeiter-Zeitung, des Kleinen Volksblattes, der Volksstimme und des Neuen Österreich hatten sich bereits vor zwei Jahren getroffen, um die Möglichkeiten zur Gründung einer alle politischen Gruppierungen umfassenden gewerkschaftlichen Organisation zu erkunden. Man hatte ein Komitee gegründet, das den Auftrag erhalten hatte, alle in Wien anwesenden demokratischen Vorkriegsjournalisten zusammenzutrommeln, um vorerst einmal mit dem Österreichischen Gewerkschaftsbund Fühlung aufzunehmen, mit dem Ziel, sich in eine überparteiliche Bewegung einzugliedern.

      Doch obwohl Erich über seine eigene Situation in dieser Sache angestrengt nachdachte, warf er immer wieder prüfende Blicke in Richtung jener Dame am Fenster. Inzwischen war auch sein Kaffee kalt geworden. Die Dame in Schwarz rauchte eine Zigarette nach der anderen. Vier Herren in amerikanischen Uniformen hatten in der Zwischenzeit neben dem uralten, schwarzen Piano Platz genommen und tranken helles Bier aus schmalen, hohen Gläsern. Sie unterhielten sich dezent, nicht so unzivilisiert, wie die Russen neulich. Es war bereits viertel nach eins. Einigermaßen entspannt lehnte sich Erich an die mit grünem Kunstleder bespannte Lehne der Sitzbank und gähnte. Ober Franz stand unbeweglich an der Theke und warf ihm verständnisvolle Blicke zu. Dabei deutete er mit seinem Kopf in Richtung der Dame am Fenster. Erich nickte. Man hatte sich verstanden, was auch immer es hätte bedeuten sollen, als plötzlich Carl an Erichs Tisch trat, heller Staubmantel, Kragen hochgestellt, einen Packen Zeitungen unterm Arm.

      „Hier versteckst du dich also, gut, dass ich dich gefunden habe! Es gibt Neuigkeiten, mein Lieber!“ „Was du nicht sagst. So setz dich doch endlich!“ forderte er Carl auf. „Du trinkst doch ein Bier mit mir, wenn ich dir erlaube, mich einzuladen, oder? Du schaust aus, als ob du bezahlen könntest!“ Sie lachten beide herzlich. „Herr Franz! Zwei Helle wenn ich bitten darf!“ rief Carl dem Ober zu. „Sehr wohl die Herren. Hamma was zu feiern oder was?“ „Also wo brennt´s?“ fragte Erich. Carl, der inzwischen seinen Mantel abgelegt und sich gesetzt hatte, begann:“ Also, hör´ zu.“ Er sprach aber nicht weiter, sondern drehte sich vorsichtig um in Richtung Dame am Fenster und fragte ganz leise:“ Wer ist die, bitte schön? Wieso sitzt du noch hier?“ „Also, ich bin ein treuer Ehemann, ja! Nur damit du´s weißt.

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