Das ungeteilte Vertrauen. Norbert Johannes Prenner
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„Mir geht´s da nicht anders, glaub´ mir. Mit der Haltung der Amerikaner, gegen jede Expansion des Sowjetregimes zu opponieren, machen sie sich bei denen keine Freunde. Man darf allerdings die innenpolitische Seite ihrer Politik nicht übersehen. Da haben viele den republikanischen Wahlsieg im November auf die scharfe antikommunistische Haltung der Republikaner und auf ihren Wahlschlager, die Demokraten wären prokommunistisch, zurückgeführt.“ „Ja, aber alles hat doch bisher darauf bloß abgezielt, den Republikanern den Wind aus den Segeln zu nehmen, das war aber auch schon der einzige Grund für die scharfen antikommunistischen Töne, wo jeder weiß, dass die Kummerln (Kommunisten) in Amerika eine nicht vorhandene Größe darstellen“, meinte Carl. „Da hast du auch wieder Recht“, antwortete Dr. Brock, „ die Standpunkte der Sowjets und der Amis sind ganz einfach nicht vereinbar. Vielleicht haben wir von den Sowjets mehr erhofft, als möglich schien.
Aber vielleicht gibt es noch Hoffnung, wer weiß? Wir liegen schließlich erst in der ersten Runde“, fügte er hinzu.“ „Kann sein, Wolfgang. Ich hoffe nur, dass unseren Kindern dieses Jammer einmal erspart bleibt, was wir hier ausbaden dürfen. Was haben sich die verdammten Faschisten heiser geschrien, haben die Fahnen geschwenkt und gejubelt. Und jetzt? Jetzt haben wir den Scherben auf. Das ganze Theater hat in einer sinnlosen Zerstörung geendet. Das einzig Sinnvolle, das uns noch bleibt, ist, uns für die Menschlichkeit und Gerechtigkeit einzusetzen, für eine Welt, die das Grauen des Krieges nicht mehr kennen soll, hab´ ich Recht?“ „Ach Carl“, seufzte Dr. Brock. Stillschweigend gingen sie eine Zeit lang nebeneinander her. „Mir machen die Kommunisten hierzulande genau so viel Angst wie die an der Wolga“, sagte Carl nach einer Weile. „Erinnerst du dich an den Konvoi bei der Demonstration? Wo haben die Kerle bloß das ganze Benzin her? Im Gegensatz zur Partei der Massen ist das die Partei des Benzins!“ Dr. Brock musste lachen.
„Dabei sind sie so freudlos vor sich hingetrottet. Beim Parlament haben sie sich schließlich nicht entblödet, aus der Demonstration einen Faschingszug, eine Maskerade zu machen, hast du davon gehört?“„Jajaja“, antwortete Brock abwesend und versuchte angestrengt, den Faden um seinen losen mittleren Mantelknopf fester zu schlingen, um ihn nicht zu verlieren. Schließlich meinte er: „Wir sitzen in einer tiefen Krise, und die wird sich sicher nicht nur auf Europa alleine beschränken. Die Sowjets versuchen Europa zu schwächen, das sieht doch jedes Kind. In Osteuropa haben sie ihre militärische Lage dazu missbraucht, um sich eine einseitige, für sie sichernde Politik zu verschaffen. Da können die Briten und die Amerikaner gar nichts machen, wenn sie diese Staaten vom übrigen Europa wegsperren, wirst sehen. Und den Amerikanern werfen sie vor, einen politischen Druck mit ihren Dollars auszuüben.“ „Ja, und in Ungarn lassen sie sich schon gar nicht in die Karten schauen“, setzte Carl hinzu, „und uns werfen die Herren Kommunisten vor, wir lassen uns von den Amerikanern kaufen. Ha! Dass ich nicht lach´! Selbst sind sie ja völlig autonom, was?“
„Genau. Jetzt werfen sie ihre Flugblätter schon über den Wäldern und Feldern ab, damit sie ganz sicher sein können, dass auch die Hasen und Rehe langsam mit ihrem Programm vertraut werden“, ätzte Dr. Brock amüsiert, „aber wenn´s nicht so traurig wär´, könnten wir direkt lachen, was, Carl?“ „Du sagst es“, meinte dieser. Schließlich standen sie vor dem Redaktionsgebäude und gingen die steilen Treppen zum Eingang hinauf. „Oh, das Fräulein Angerer! Einen wunderschönen guten Morgen!“ verbeugte sich Carl vor der Sekretärin des Chefredakteurs. „Herr Redakteur“, antwortete sie und klimperte verheißungsvoll mit ihren Wimpern. Gemeinsam bestiegen sie den wackeligen Lift und fuhren hinauf in den dritten Stock, wo sie das Sitzungszimmer betraten, um dort mit den bereits eingetroffenen Redakteuren ausgedehnt über die neue Lage zu diskutieren.
Aber wie ging es danach weiter? Man kam zu dem Schluss, dass sich die gewünschte Vereinheitlichung der Gehälter auf Wiener Basis aus grundsätzlichem Kalkül als nicht durchführbar erwiesen hatte. Viel mehr entschied man sich für eine Unterscheidung nach Gehalts-klassen. Schließlich hatte sich auch noch der Beitritt zur internationalen Journalistengewerkschaft als nicht zielführend erwiesen, da diese hauptsächlich mit politischen Fragen beschäftigt war. Streitfragen wurden nicht in Verhandlungen gelöst, sondern durch Kampfabstimmungen entschieden. Australien, wie auch Dänemark und Norwegen waren den folgenden Sitzungen des Exekutivkomitees fern geblieben. Der Delegierte der USA hatte die Sitzung demonstrativ verlassen. Belgien, England, Holland und Schweden lehnten ihre Mitarbeit im Komitee ab. Österreich hatte darauf gesetzt, dass die Vereinigung möglichst viele Länder umfassen würde und ihre Bedeutung nur darin liegen konnte, um sich vorwiegend mit beruflichen und gewerkschaftlichen Fragen zu beschäftigen.
Wie jedoch später die Budapester Konferenz zeigte, hatte man sich diesen Bereichen ungenügend gewidmet. Das führte zu einer allgemeinen Unterkühlung zwischen der österreichischen Journalistengewerkschaft und der IJO. Hätte es da nicht noch eine kleine Vorgeschichte gegeben. 1945 wurden in einer kleinen Tiroler Gemeinde zwei NS-Funktionäre erschossen. Jahre später sollten fünf Kommunisten wegen Mordes vor Gericht gestellt werden. Daraufhin polemisierten österreichische KP-Blätter gegen das Vorgehen der Justiz, worauf ihre Zeitungen be-schlagnahmt wurden. In der Folge entsandte das Exekutivkomitee der IJO in Prag eine Delegation zur Untersuchung der Pressefreiheit nach Österreich. Damit wäre man angeblich dem Wunsch der öster-reichischen Delegation nach einer Untersuchung nachgekommen. Wie sich allerdings herausstellte, hatte es so einen Antrag nie gegeben. Doch nach und nach kam Licht ins Dunkel dieser Affäre. Es stellte sich nämlich heraus, dass sich die KP-Fraktion in dieser Angelegenheit an die IJO gewandt hatte. Aufgrund der verabsäumten vorherigen Fühlungnahme mit der österreichischen Journalistengewerkschaft führte letztendlich dieser Affront gegen die österreichische Journalistengewerkschaft zu deren Austritt aus der Organisation.
Auf der Pariser Konferenz beschäftigte man sich hingegen mit völlig anderen Problemen. Die Außenminister Russlands, Englands und Frankreichs, als Vertreter Europas, berieten über das Angebot der Vereinigten Staaten, dem alten Kontinent Hilfe zu leisten. Dies glich quasi einem Rollentausch in der Weltwirtschaft und war sinnfällig eine der folgenschwersten Wandlungen, da die USA nun England als führende Finanz- und Wirtschaftsmacht der Welt abzulösen begonnen hatte. In Österreich rätselten die Redakteure diverser Tageszeitungen derweil darüber, woher denn die ach so unabhängigen Kommunisten die Mittel für ihre Werbekampagnen, so unerreichbare Dinge wie etwa Flugzeuge oder Benzin, bekommen hätten?
Kapitel 5
Im Esterházykeller
Nach einer wirklich anstrengenden Sitzung des Redaktionsausschusses, in der man ausführlich und ergebnislos über die Lohnentwicklung diskutiert hatte, pilgerten der Chefredakteur samt seinen Kollegen ausnahmsweise nicht ins nahe gelegene Stammcafé, nein, man lenkte seine Schritte in Richtung Stadtheurigen, in den Esterházykeller am Haarhof, 1. Bezirk, mit dem Grundgedanken, wenn dort seit 1683 guter Wein ausgeschenkt wird, sollte man voll Vertrauen auch heute noch dorthin gehen können. Immerhin hatte man die ehrwürdigen Katakomben im 19. Jahrhundert mit elektrischem Licht ausgestattet, trotzdem starrte die Öffnung des Einganges kaum weniger dunkel heraus als vor 300 Jahren und ließ jeden der Herren zuallererst respektvoll einen prüfenden Blick auf die ungeahnte Tiefe mit ihren 27 Stufen werfen, bevor man tatsächlich riskieren sollte, auf diesen in die unendlichen Weiten dieses berühmten Kellers hinunterzusteigen.
Unter großem Gestöhne und Gejammer schafften es die Zeitungsmenschen schließlich doch, in den untersten Teil dieses Weinrefugiums zu gelangen, um sich ebenso, wie weiland die tapferen Verteidiger Wiens gegen die türkische Belagerung, am frischen Weine zu laben. „Und? Wie geht´s dem Fräulein Tochter?“, fragte Carl seinen Kollegen. Erich verdrehte die Augen. „Heute Nacht durchgeplärrt. Die Zähne!“ „Na, da sind wir ja hervorragend ausgeruht, wie ich sehe. Könnte es sein, dass du vorhin in der Redaktion eingenickt bist?“ fragte Carl. „Das könnte