Das ungeteilte Vertrauen. Norbert Johannes Prenner

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      Stephansplatz, 17 Uhr 10 Erich völlig außer Atem: „Maria, es tut mir Leid, ehrlich. Carl hat mich so lange aufgehalten.“ Sie umarmten sich innig und küssten sich leidenschaftlich. „Mach dir keine Gedanken, ich bin selber erst seit zwei Minuten hier. Die Franzi hat mir gesagt, wir könnten übers Wochenende ins Strandhotel am Wallersee fahren. Sie möchte´ uns gerne einladen, du .... mein Gott, hast du dich heute schon in den Spiegel gesehen, also ... wie du ausschaust – blass, Ringe unter den Augen! Heute wird aber geschlafen, hörst du? Du rührst mir die Schreibmaschine nicht mehr an vor morgen früh, verstan-den?“ „Ja, mein Schatz, alles mein Schatz. Nur, weiß deine Franzi überhaupt, ob es noch freie Zimmer gibt am Wallersee? Hast du eine Ahnung, was dort los ist in letzter Zeit! Lauter erholungsbedürftige Journalisten! Und denkst du an die verlausten Decken voriges Jahr?“ „Geh, sei nicht so zimperlich, Erich. So schlimm waren die auch nicht. Ein bisserl gekratzt haben sie halt. Das was alles. Aber vielleicht ist heuer schon wieder alles anders, besser.

      Lassen wir uns einfach überraschen, und die Franzi ruft ohnehin vorher an, hat sie gesagt.“ „Vielleicht hast du Recht. Weißt du noch wie Carl damals in letzter Minute ein Lastauto organisiert hat, damit die Eröffnung des Hotels überhaupt stattfinden konnte.“ Ja, natürlich, das werd´ ich nie vergessen, und sie haben hervorragend gekocht. Ach, dieses himmlische Beuscherl mit Nockerl! Ein Gedicht! Meine Mutter hat immer gesagt, der Hunger ist ein guter Lehrmeister. Jetzt erst weiß ich wieder, was es heißt, sich satt essen zu können!“ „Satt essen, gute Idee. Was haben wir denn noch in unseren Kammern, mein Schatz?“ Maria wurde ernst und sagte: “Erich, ich kann nirgends Fleisch auftreiben! Heute früh war ich am Naschmarkt. Es gibt nur Kartoffeln und Bohnen. Ein paar Rüben vielleicht. Du, wenn du willst, ich mach dir eine Eierspeis´. Eier gibt´s genug, Gott sei Dank, bist du einverstanden damit?“ Etwas brummig stimmte er zu. „Na, vielleicht krieg´ ich im Mai was Anständiges zu essen.

      Der Minister Sagmeister hat uns versprochen, dass nach der letzten missglückten Lieferung eine Besprechung der Ernährungsreferenten die schmale Fleischration zumindest für den Mai sichern soll. Das ist wirklich sehr edel von ihm, findest nicht auch?", spottete Erich. „Warum ziehen wir nicht auf´s Land? Draußen ist alles viel leichter. Mich friert, bitte lass uns gehen, ja?“, drängte seine Frau. „ Komm!“ sagte Erich, „so gut wie im letzten Jahr geht´s uns heuer nicht. Erinnerst du dich, Weihnachten im J u n i 1946?“ „Ja, die amtliche Lebensmittelzuteilung der Kollegen aus den Bundesländern für die unterernährten Wiener Journalisten“, lachte Maria. „Dieses Jahr gibt´s wahrscheinlich Steak“, sagte Erich. „Warum?“ fragte sie ungläubig, als sie in vom Graben in den Kohlmarkt einbogen. „Weil uns die Amis gesehen haben. Daraufhin haben sie gemeint, wer so unterernährt ist wie wir, kann sicher nur dummes Zeug zusammen schreiben. Also wäre es besser, wir schicken ihnen lieber was Ordentliches zu essen.“ Beide kicherten.

      „Hast du unsere Kalorienkarte mit, oder ist die noch in der Einkaufstasche im Seitenfach?“ fragte Erich. „Wozu brauchst du die jetzt? Es hat doch bald alles zu.“ „Ach, ich dachte, ich krieg´ irgendwo noch einen Krautkopf her.“ „Aber das verträgst du ja gar nicht mit deinem empfindlichen Magen“, antwortete Maria. „Weiß ich selber. Ich kenne einen Portier bei uns, bei dem kann ich ihn gegen Zigaretten eintauschen. Wenn ich nichts zu Rauchen habe, fällt mir auch nichts zu Schreiben ein, verstehst du?“ Maria schüttelte verwundert den Kopf. „Fühl´ mal“, bat sie Erich, der seine Hand unter ihren Mantel auf ihren Bauch schob. „Spürst du was?“ „Ja, Hunger“, lachte er, während sie eng umschlungen über den Heldenplatz gingen. „Ich habe Angst, Erich. Ich weiß nicht, das ist keine Zeit ein Kind zu bekommen.“ „Ach, Liebling, es ist in Ordnung. Der Krieg ist vorbei, ich habe wieder Arbeit. Was soll passieren? Zu allen Zeiten haben die Menschen Kinder bekommen. Wir haben weiß Gott schlimmere Zeiten erlebt, etwa nicht?“ „Vielleicht hast du Recht“, flüsterte Maria.

      In ihrer Wohnung, Nagler Gasse 12 angekommen, machte sich Maria sogleich in der bescheiden eingerichteten Küche zu schaffen. Erich vertauschte seinen grauen Anzug mit dem Morgenmantel und ließ sich in den Fauteuil fallen, um die Abendausgabe der Arbeiter-Zeitung durchzublättern. „Schatz, mit zwei oder drei Eiern?“ fragte Maria aus der Küche. „Besser drei“, antwortete Erich, „ und – gibt´s Salat?“ „Nein, tut mir Leid, heute nicht. Ein wenig ist noch vom Gurkensalat da, von gestern. Magst du den?“ „Ich bitte darum“, antwortete Erich. Maria servierte das Abendessen. „Setzt du dich nicht zu mir?“ „Ja, aber ich ess´ nichts mehr am Abend“. Du wirst noch verhungern, Liebes“, stellte Erich mit ernster Miene fest. „Hör´ dir das an“, fuhr er fort, „ Du hattest Recht, als du sagtest, der Hunger sei ein guter Lehrmeister. Hier steht, dass er uns Österreichern zum Bewusstsein gebracht hat, dass wir im eigenen Land nicht genügend Nahrungsmittel produzieren würden und dass es vom Außenhandel abhinge, ob wir uns satt essen können oder nicht.“

      „Hm. Vor allem aber von denen, die die Lebensmittel derzeit hier verteilen“, flüsterte Maria. „Österreich ist also in hohem Maße daran interessiert, seinen Handel mit der Außenwelt auszubauen.“ „Außenwelt! Wie das klingt, als ob wir in einem Käfig säßen. In gewissem Sinne sitzen wir auch in einem, Erich, oder? Gut bewacht, von fremden Soldaten.“ „Ach, Maria, das wird nicht ewig dauern, glaube mir. Sobald wir den Staatsvertrag haben, ist die Angelegenheit für die erledigt, du wirst sehen.“ „Ja, mit einem Molotow muss man erst einmal verhandeln können.“ Sie blickte über Erichs Schulter. „Lies! In der Sitzung des Außenministerrates hatte Molotow den Vorschlag Marshalls, die österreichische Frage an die Generalversammlung der Vereinten Nationen zu überweisen, damit sie in der Frage der Reparationen Empfehlungen ausarbeite, als absolut unbegründet zurückgewiesen. Und so wird´s auch beim Staatsvertrag werden! Gute Nacht, Liebling, mir reicht´s für heute.“ „Und ich komme um eins.“

      Kapitel 3

       In der Redaktion

      „Bitte etwas leiser!“ rief Carl, „wir können überhaupt nichts hören!“ Das Gemurmel im engen Sitzungszimmer verstummte. Alle lauschten gebannt der Stimme des Rundfunksprechers: „... die weiteren Verhandlungen im September dieses Jahres an die Generalversammlung der UNO zu überreichen. Marshall gab der Sowjetunion die Schuld an dem Scheitern der Verhandlungen über den Staatsvertrag, und zwar in erster Linie deswegen, weil Molotow sich weigerte, in der Frage des deutschen Eigentums in Österreich seine Ansicht auch nur im Geringsten zu ändern.“ „Na bitte, hab´ ich nicht gesagt, die Russen werden alles blockieren, was ihnen nicht in den Kram passt?“ rief Carl erzürnt. „Dreht doch endlich ab, wir kommen sonst gar nicht weiter“, forderte einer. „Noch nicht abdrehen, wartet noch“, rief Erich dazwischen, „... und nachdem Molotow erklärt hatte, dass lediglich die amerikanische Weigerung, die sowjetischen Abänderungsanträge zum Entwurf eines Viermächtepaktes in Erwägung ziehen .....“, fuhr der Sprecher fort, jedoch konnte man im allgemeinen Durcheinanderreden der Anwesenden nichts mehr verstehen.

      „So, jetzt wissen wir alle, was uns erwartet, meine Herren“, sagte der Chefredakteur.“ „Na dann, Mahlzeit. Den Staatsvertrag können wir uns malen“, meinte Erich resigniert. Dr. Brock schlug mit dem Kaffeelöffel sanft an den Tassenrand und bat um Ruhe. „Darf ich Sie ersuchen, Platz zu nehmen, meine Herren. Wir haben noch viel vor heute Abend.“ Es begannen Sesselrücken und Papierrascheln. Alle hatten einen Sessel ergattert. In der Runde glimmte Zigarettenfeuer, dichte Rauchschwaden zogen unter den grünen Hängelampen des Konferenztisches ihre stummen Bahnen. Die Kaffeekanne kam nicht zur Ruhe. Plötzlich trat Stille ein im Sitzungszimmer. „Wie Sie wissen, hat sich die Salzburger Journalistengewerkschaft einstimmig gegen den Beitritt zu einer reinen Fachgewerkschaft ausgesprochen.“

      Man vernahm deutliches Raunen und Räuspern im Zimmer. „Die Argumente der Salzburger Kollegen waren die, dass sie ihrer Über-zeugung nach nicht die für die Presse unbedingt notwendige Berufsvertretung darin sehen, die mit allem Nachdruck die Interessen der österreichischen Redakteure

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