Tom Winter und der weiße Hirsch. Nicole Wagner
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Читать онлайн книгу Tom Winter und der weiße Hirsch - Nicole Wagner страница 21
Reginald fuhr sich mit einer Hand über seine ergrauten Bartstoppeln. Er runzelte die Stirn. „Ihr wollt danach suchen?“, fragte er. „Nach der Magie? Dabei kann ich euch doch helfen. Du weißt, wie gern ich das tue. Aber in letzter Zeit scheinst du nicht mehr viel Lust auf unsere Ausflüge zu haben …“ Ein trauriger Unterton hatte sich in seine Stimme geschlichen.
An Tom nagte das schlechte Gewissen. Er würde schon etwas weiter ausholen müssen, um sich verständlich zu machen.
„Nein, Dad. Ich meine … Die Wesen, Griselbart … sie sprechen mit uns und …“
Reginald blickte ihn verwirrt an. Sorgte mischte sich in seinen Blick und Tom merkte, dass sein Verhalten ihm Angst machte. Vielleicht zweifelte nun er bald an seinem Verstand, nicht andersherum. Da sah er ein, dass es leichter war, wenn er es seinem Vater einfach zeigte.
Tom zog den Zauberstab aus der hinteren Hosentasche. Er richtete ihn irgendwohin und murmelte: „Anaphaino!“ Die große, wabernde Kugel brach aus der Spitze des Zauberstabs hervor und manifestierte sich vor ihnen in der Luft.
Reginald stolperte ein paar Schritte zurück und wäre fast über eine Kiste mit gefrorenen Hühnerkrallen (angeblich die Leibspeise von Hippogreifen) gefallen. „Das ist – aber – wie-“, stammelte er.
Tom zog den Kragen seines T-Shirts herunter und zeigte ihm das blau glühende Gluthien über seinem Herzen.
Reginald starrte darauf, das Gesicht eine Maske der Entgeisterung. Dann schrie er, so laut, dass Tom zusammenzuckte. „ICH HABS GEWUSST! Ich hab immer gesagt, dass es mit dem Lichtbehälter zu tun hat! Es ist der Sitz ihrer Zauberkraft!“
Tom musste ein wenig lachen angesichts seiner Freude. „Ja, Dad, ja, das stimmt, du hattest mit allem recht.“
Reginalds Lächeln verblasste ein wenig. „Dir ist gelungen, was ich versuche, seitdem ich fünf Jahre alt bin. Du hast einen Zugang zur Anderswelt erlangt und bist sogar ein Teil von ihr geworden.“
„Ohne dich hätte ich es nie geschafft. Ich hab nur daran geglaubt, weil du mir alles gezeigt hast, die Beweise, die Unstimmigkeiten. Nur dein Sohn hätte einen Zugang in die Anderswelt finden können.“
Ein kleines Lächeln umspielte Reginalds Lippen. „Du hast Recht. Außerdem bin ich schlichtweg zu alt, um zaubern zu lernen und mit Einhörnern zu rennen und mit Drachen zu fliegen … Aber warum willst du weggehen, Tom?“
„Das sag ich dir auf dem Weg nach draußen. Vorher will ich dir Astos zeigen.“
Sie stiegen die Treppen hoch und Reginald stellte pausenlos Fragen, ohne eine Antwort abzuwarten: „Gibt es Einhörner überhaupt? Die habe sogar ich für eine Erfindung der Menschen gehalten, zu rein, zu unschuldig … Wo kam der tote Kobold her und was hat ihn getötet, Tom? … Wie hast du den Lichtbehälter bekommen? Hast du ihn verschluckt? Aber nein, das wäre absurd …“
Tom antwortete, so gut er konnte, bemühte sich aber gleichzeitig, nicht zu viel zu verraten. Griselbart kannte Reginald und wusste, er würde ihre Geheimnisse so gut wie seine eigenen hüten - Kuru dagegen wäre von seiner Redseligkeit bestimmt nicht begeistert.
Im Garten hinter dem Haus hielt Tom die Finger an die Lippen und pfiff. Ohne dass er sich je besonders darin geübt hätte, kam ihm eine aus drei Tönen bestehende Melodie in den Sinn.
„Was kommt jetzt?“, fragte Reginald. „Ein Kobold?“
Eine Weile standen sie stumm da und warteten, bis ein schwaches Schimmern zwischen den Bäumen des Waldes auszumachen war. Es wurde schnell kräftiger und schließlich trat der schneeweiße Hirsch unter einer Tanne hervor. Er verharrte wachsam, ehe er sich in Bewegung setzte, den Blick ausschließlich auf Tom gerichtet. Durch eine Lücke im Zaun betrat er ihren Garten. Toms Herz begann schneller zu schlagen.
Reginald stieß ein andächtiges Seufzen aus. „Wie wunderschön.“
Tom stimmte ihm im Stillen zu. Dass dieses stolze und sanfte Tier ausgerechnet auf sein Pfeifen hörte und ihn zum Gefährten wollte, ließ seine Brust vor Stolz anschwellen.
Astos blieb vor ihnen stehen und sah in der Nacht fast unwirklich aus, wie die Traumgestalt, derer er sich so lange bedient hatte.
„Danke, dass du gekommen bist“, sagte Tom leise. Er wartete darauf, eine Antwort in seinem Kopf zu hören, aber die ersehnte Stimme blieb aus.
Zur Abwechslung fehlten Reginald die Worte. Fast andächtig strich er dem Hirsch über die weiche Nase, was dieser mit einem Schnauben quittierte. Tom erzählte vom Ritual der Gluthien und wie die Wesen reagiert hatten, als Astos sich ihm unterstellte.
„Und er gehört dir?“, fragte sein Vater.
„Er gehört zu mir“, berichtigte Tom.
„Ein Reiter“, wiederholte Reginald. „Darüber habe ich nie etwas in Erfahrung bringen können. Ich dachte, nur die Waldmenschen oder die Nomaden leben in Symbiose mit Tieren.“
Tom musste seinem Vater noch die anderen Dinge zeigen, die er von Griselbart gelernt hatte, was nicht besonders viel war, aber Reginald war so begeistert, als hätte er die Zaubererwelt bereits gerettet. Immer wieder musste er einen Gartenzwerg vor sich her schieben und wieder zurückholen. Als er versuchte, ihn entzweizubrechen, geschah nicht das Geringste, aber sein Vater merkte es nicht. Für ihn war es genug, wenn Tom mit einem Zauberstab fuchtelte und Formeln aufsagte. Obwohl er ihm mit leuchtenden Augen zusah, bemerkte Tom die Traurigkeit in Reginalds Blick. Er trat an Astos' Seite und murmelte ihm etwas ins Ohr. Der Hirsch sah ihn mit intelligenten Augen an und senkte den Kopf, als hätte er ihn verstanden. Leichtfüßig trabte er davon in Richtung Wald.
Reginald nahm Tom bei der Schulter. „Zuerst hab ich deine Mutter verloren und jetzt dich. Vielleicht bin ich dazu verdammt, allein zu sein.“
Das schlechte Gewissen brannte in Toms Magengrube. „Dad, ich komm zurück, wenn der König in Bruckwalde wieder gesund ist. Ich versprech's.“
Sein Vater bedachte ihn mit einem sorgenvollen Blick. „Da wird einiges auf dich zukommen. Viel kann ich dir nicht auf den Weg mitgeben … Ich habe zugegebenermaßen nicht viel herausgefunden über die Anderswelt …“
„So ein Quatsch. Mit dem, was du in diesem Keller hortest, könnte man ganze Bücher füllen. Und ich wette, mehr als die Hälfte ist absolut zutreffend.“
In diesem Moment kam Astos zurück, im Schein seines silbernen Lichts flatterte ein Kobold und ihm hinterdrein - wie es auch Tom noch nie gesehen hatte - ein Koboldbaby. Es hatte Ähnlichkeit mit einem Katzenbaby, kleine verquollene Augen und wenn es mit seinem Vater sprach, fiepte es herzzerreißend hoch. Beide hatten fuchsrotes Fell und gelbe Gluthien.
„Danke“, sagte Tom zu Astos.
Der Koboldvater richtete den Blick seiner grünen Augen auf ihn. „Du bist also der neue Reiter“, sagte er und musterte ihn. „Ich wusste, dass einer aus eurer Familie den Sprung erneut schaffen würde. So hartnäckig sind die wenigsten.“
Tom lächelte. „Ich heiße Tom“, sagte er.
„Ich bin Ruwyn und mein Sohn heißt Kryk. Astos sagte, wir sollten uns bei deinem Vater vorstellen.“
Reginald,