Tom Winter und der weiße Hirsch. Nicole Wagner
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Читать онлайн книгу Tom Winter und der weiße Hirsch - Nicole Wagner страница 17
Tom blinzelte. Das war ihm tatsächlich neu. „Steht in ihnen auch, ob Skelardo besiegt wird?“
Die gelben Augen waren unleserlich. „Das steht nicht in ihnen. Eines jedoch ist sicher: jemand wird auf der Reise verloren gehen und nicht zurückkommen.“
Tom runzelte die Stirn. „Auf welcher Reise? Wen meinst du?“
Der Kater gab keine direkte Antwort. „Für die Wissenden ist es keine große Überraschung.“
„Wen meinst du, Kater?“, fragte Tom drängender und beugte sich vor.
Ein Geräusch aus der Diele ertönte, dann das Schlurfen von zwei Paar Füßen. Die Ohren des Katers zuckten, dann war das Tier verschwunden, schneller, als Tom es für möglich gehalten hätte.
„Viel Glück, Tom Winter“, erklang es in seinem Kopf.
„Mist“, fluchte er.
Griselbart kam ins Zimmer, den müde wirkenden Peer im Schlepptau.
„Mit wem hast du gesprochen?“, fragte der Meister stirnrunzelnd.
„Mit Ihrem Kater.“ Tom blickte sich immer noch nach ihm um. „Er hat mich gewarnt, dass … die Sterne irgendwas vorausgesagt haben … und dass auf unserer Reise jemand verloren gehen könnte.“
„Ach, hat er das?“ Griselbart warf einen giftigen Blick aus dem Fenster. „Das ist das Kreuz mit den magischen Katzen der Elfen, sie wissen nie, wann sie sprechen oder schweigen sollten! Oder nicht, Finwa?“
Doch es kam keine Antwort, nur der Wind heulte leise über die Veranda.
„Wen hat er gemeint?“, fragte Tom.
Griselbart lächelte sanft. „Zerbrich dir bitte nicht den Kopf, mein lieber Junge. Es ist ohnehin schon alles verwirrend genug und auf Wahrsagerei ist niemals Verlass, merk dir das.“
Tom gab sich nur widerwillig mit der Antwort zufrieden. Aber er sah ein, dass er viel zu lernen hatte und dass es nach und nach geschehen musste.
Peers Zauberstab bestand aus Eichenholz, in dessen Kern die tote Hofdame zu einem Pulver verarbeitet war. Er hatte sich beim Verzieren an die gängigen Muster gehalten und viele parallele, sich wiederholende Elemente gewählt; es passte zu ihm.
„Nun gut, Jungs, ich würde sagen, dabei belassen wir es fürs Erste.“
Tom und Peer protestierten, aber Griselbart schüttelte nachsichtig lächelnd den Kopf. „Schaut mal, wie spät es ist. Ihr habt die ganze Nacht nicht geschlafen. Schlaf ist unabdinglich für die Erholung von Körper und Geist und nur, wenn ihr ruht, seid ihr in der Lage zu lernen und Großes zu vollbringen.“
Die beiden gaben nach und ehe sie sich versahen, standen sie wieder auf Griselbarts vorderer Veranda und die Tür war ins Schloss gefallen. Doch mit einem Unterschied: beide hatten sie jetzt Zauberstäbe in der Hand und unstillbare Abenteuerlust im Herzen.
Erste Sonnenstrahlen krochen über die Häuserdächer und just in diesem Moment fühlte Tom, wie ihn die Müdigkeit mit der Wucht einer Abrissbirne überkam. Er konnte sich nicht erinnern, jemals eine Nacht durchgemacht zu haben, außer an Silvester.
„Unglaublich, Tom, wärst du nicht Griselbart zu Hilfe gekommen, als er gegen die Chipera kämpfte, wäre das alles nie passiert!“
„Vielleicht doch. Finwa zufolge passiert alles, was die Sterne voraussagen.“
„Ist das die Katze?“
„Der Kater. Leider hat er nicht mehr verraten.“
Am üblichen Punkt trennten sie sich voneinander.
„Du gehst heute nicht in die Schule, oder?“, fragte Peer mit zweifelndem Blick.
Tom schüttelte den Kopf. „Glas muss die Matheprobe wohl ohne uns schreiben.“
Peer nickte. Vor Müdigkeit schien er sich kaum noch auf den Beinen halten zu können. „Wann gehst du wieder rüber?“
Mit „rüber“ meinte er Griselbarts Anwesen.
„Sobald ich wach bin“, sagte Tom. „Soll ich dich dann anrufen?“
„Ja.“ Peer grinste breit. „Kann's kaum erwarten.“
Tom wusste, als er aufwachte, im ersten Moment nicht, warum er so glücklich war. Müde, aber glücklich. Dann erinnerte er sich. Das Ritual, Griselbarts Erklärungen, die Magie. Er zog den Ausschnitt seines T-Shirts herunter und da war es, das dunkelblaue Licht, das im Rhythmus seines Herzschlags pulsierte. Er dachte an Astos, dessen Geist er vage am Rande seiner Wahrnehmung spürte, und der wohl nicht weit entfernt im Unterholz über seinen Schlaf wachte. Ohne sein Zutun breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus, so ehrlich, wie seit Wochen nicht mehr. Alle Sorgen schienen weit weg und in diesem Moment hätte er in sein Kissen boxen können vor lauter Glück. Da öffnete sich die Tür und Reginald trat ins Zimmer. Seine sonst so offene Miene war umwölkt.
„Die Schule hat angerufen, weil du unentschuldigt gefehlt hast“, sagte er und sah ihn scharf an. „Ich hab natürlich gesagt, ich hätte vergessen anzurufen - nicht dass es die Sekretärinnen überrascht hätte. Als ich in dein Zimmer geschaut habe, hast du so tief und fest geschlafen, dass ich gar nicht probiert habe dich aufzuwecken. Tom, warst du diese Nacht überhaupt zuhause?“ Ernste Sorge sprach aus seinen grauen Augen.
Die Schule. Die Matheprobe. Tom hatte sie komplett vergessen, hatte sogar vergessen seinem Vater zu sagen, er wäre krank. „ Ähm … “, sagte er.
„Du verhältst dich seltsam in letzer Zeit, kommst mitten in der Nacht nach Hause oder gar nicht. Du weißt, du hast bei mir keine Grenzen, weil ich dir vertraue, aber trotzdem musst du mir sagen, wenn du Probleme hast!“
Tom sah ein, dass sein Verhalten mehr als besorgniserregend war. Jetzt galt es zurückzurudern. „Peer und ich sind dem Geheimnis auf der Spur“, sagte er schnell. „Dem Geheimnis von Griselbarts Villa.“
Reginald schaute verblüfft drein, suchte nach Worten. Mit einer solchen Antwort schien er nicht gerechnet zu haben. „Ich verstehe … Und was habt ihr bisher herausgefunden?“
„Die Wesen, sie wohnen im Wald. Sie besuchen Griselbart. Kobolde sind darunter und auch Hirsche … “ Tom wollte seinem Vater die Wahrheit sagen, aber nicht zu viel.
Reginalds neugieriges Naturell gewann letztendlich die Oberhand. „Hirsche? Ihre Spuren habe ich bereits am Waldrand gefunden und, stell dir vor, sogar bei uns im Garten! Erst heute früh bei Sonnenuntergang. Komm mit in die Küche, Tom, dann kannst du mir mehr erzählen.“
Das Gespräch dauerte den ganzen Morgen und Tom bereitete es einiges an Kopfzerbrechen, Reginalds Neugier zu befriedigen und gleichzeitig nicht zu viel zu verraten. Als er dann endlich doch aus dem Haus rannte, ließ er einen entspannt zurückgelehnten Reginald zurück, der eine Menge Stoff zum Nachdenken hatte.
Tom fragte sich, wo Astos war; es beunruhigte ihn, wenn er ihn lange nicht sah, ein Gefühl, das er so nicht kannte.
Peer