Tom Winter und der weiße Hirsch. Nicole Wagner

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Tom Winter und der weiße Hirsch - Nicole Wagner

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in von Menschen besiedelte Gebiete zu kommen ...“ Er driftete ab, während er für sich und Tom eine Tasse Grünen Tees eingoss.

      Der Junge lud Astos' Geweih auf einem Schemel ab. „Ich wollte aus diesem alten Geweih einen Zauberstab machen. Denken Sie, das ist eine gute Idee?“

      Griselbart schien es erst jetzt zu bemerken.

      „Es ist sogar eine sehr gute Idee! Die Reiter im Norden machen das auch so. Sie zupfen eine Schuppe vom Hals ihres Drachen und benutzen ihn als Kern für ihren Zauberstab. Das erzeugt außergewöhnliche Magie. Ich selbst habe noch nie einen solchen Zauberstab gemacht, es ist also auch für mich das erste Mal.“

      Der Meister bestand darauf, dass Tom seinen Tee austrank, obwohl der kaum stillhalten konnte. Astos und Griselbart unterhielten sich in Gedanken, zumindest hatte es den Eindruck, da sie einander ansahen, nickten und den Kopf schüttelten.

      Schließlich erhob sich der Zauberer und ließ das Teeservice verschwinden. „Und nun komm mit mir. Auf in die Zauberstabschmiede!“

      Griselbart ging aus der Tür und schickte sich an, eine Treppe hinunterzugehen, die in die Kellerräume führte. Als Astos keine Anstalten machte zu folgen, blieb auch Tom stehen.

      „Astos wird jetzt für kurze Zeit in den Wald zurückkehren“, erklärte Griselbart. „Er wird nicht die ganze Zeit bei dir sein. Aber wenn du nach ihm pfeifst, wird er dich hören und zu dir kommen.“

      „Okay.“ Tom streichelte Astos‘ Hals zum Abschied, dann marschierte auch er die Treppe hinab. Sie führte in ein steinernes Gewölbe, das aus sehr engen Gängen und vielen Verwinkelungen bestand. Ihre Schritte hallten von den Wänden wider, als wäre ein Dutzend Paar Füße anstatt zwei auf der Treppe unterwegs. Tom meinte, ein Knarzen hinter einer verschlossenen Tür zu hören und einmal war er sich sicher, zu hören, wie jemand seinen Namen sagte. Als er Griselbart danach fragte, sagte der: „Ich muss den Radio angelassen haben.“ Aber er lächelte und bewies damit, dass er ihm nicht ganz die Wahrheit sagte. Dann wechselte er das Thema.

      „Weißt du, Tom, es hat mich überrascht, dass Astos sich dafür entschied, dein Reittier zu sein. Er ist schon über dreihundert Jahre alt und hat nie derlei Anstalten gemacht.“

      „Wie alt?“, sagte Tom entgeistert.

      „Astos, der Weiße, ist wahrlich kein Unbekannter in der Anderswelt. Vielleicht sind dir die schwarzen Linien auf seinen Fesseln und an seinem Geweih aufgefallen. Sie alle stehen für Verdienste und Schlachten, die er gewonnen hat. Die Drachengeister der zweiten Pforte ließen sie ihm in einer heiligen Zeremonie angedeihen.“

      „An dem alten Geweih sind sie mir aufgefallen“, sagte Tom. Doch hatte er die Linien für Maserungen der Knochensubstanz gehalten, nicht für Schriftzeichen.

      „Ich war sehr überrascht“, wiederholte Griselbart. „Man kann Großes von euch erwarten, er wird dir viel beibringen. Bald wirst du auch seine Stimme hören können.“

      Schließlich, nach vielen Kurven und Abzweigungen, drückte der Zauberer bei einer Tür die Klinke und bedeutete Tom hineinzugehen. Hitze schlug ihm entgegen. In einem Schmiedeofen, der fast die Hälfte des Raums einnahm, prasselte ein Feuer von so gewaltigem Ausmaß, dass es mit seiner Energie mühelos das ganze Haus versorgen konnte. Im Raum verteilt waren ein Amboss, metallene Werkzeuge und ein großes Steinbassin voll Wasser. Tom war überrascht. Er hatte mit einer magischen Zauberstabschmiede gerechnet, nicht mit einem so traditionellen Verfahren.

      Griselbart ging mit Astos' Geweih zum Amboss. Dort griff er nach einem Messer, das fast schon die Größe einer Säge hatte. Er drehte sich zu Tom um und sagte: „Wir trennen jetzt den Teil, der dein Zauberstab werden soll, vom Ganzen. Für ein paar Minuten verhärten wir diesen Teil im Ofen. Keine Sorge, dabei geht nichts kaputt, es ist ja ein Stück eines Zauberwesens. Dann müssen wir es im Wasser abkühlen. Nur so erlangt er den richtigen Härtegrad. Zieh dir diese Schutzhandschuhe an, Tom!“

      Griselbart wiederholte den Ablauf ein paar Mal und Tom konnte ihm nur wenig zur Hand gehen. Außerdem bog der Zauberer das Geweihstück nach jedem Herausholen ein klein wenig gerade, damit er die leichte Krümmung aus dem Material bekam. Irgendwann, als er der Meinung war, dass Tom es verstanden hatte, durfte auch er an den Amboss.

      Nach eineinhalb Stunden und vielen vergossenen Schweißperlen war der Meister mit Biegung und Festigkeit zufrieden. Das stabförmige Geweih schimmerte im Schein des Feuers wie blank poliert. Toms Arme schmerzten vom vielen Hämmern und langsam machte sich der Schlafentzug bemerkbar. Er unterdrückte ein Gähnen.

      Griselbart wirkte frisch wie eh und je. „Jetzt geht es ans Glätten und Ausformen. Das ist fast noch wichtiger als der Härtungsprozess, denn der Zauberstab muss gut auf deine individuellen Anforderungen ausgerichtet sein, sonst hast du später Probleme beim Zaubern. Unten brauchen wir einen Griff, damit dir der Zauberstab auch in brenzligen Situationen nicht aus der Hand rutscht. Am oberen Ende kannst du ihn nach Belieben verzieren und ich zeige dir ein paar gängige Muster. Das kannst du dann selber machen.“

      Den Griff passten sie an Länge und Breite von Toms Handfläche an, daran, wie stark er zupackte und wie sich seine Hand einmal entwickeln würde. Griselbart zeigte ihm anhand seines eigenen Zauberstabs, der aus einem Dachbalken ebendieses Hauses bestand, das schon seit fünf Generationen im Besitz der Griselbarts war, welchen Effekt die verschiedenen Muster auf die Wirkung des Stabs hatten. Tom versuchte sich alles zu merken. Für die Schnitzarbeit benutzten sie handelsübliche Taschenmesser und Feilen und auch wenn Tom bisher nicht viel geschnitzt hatte, kam er schnell dahinter. Immer wenn Griselbart sagte, jetzt sei der Zauberstab gut genug, wollte Tom weitermachen. Er wusste nicht, wie viele Stunden sie bereits im Keller saßen, als er endlich zufrieden war. Er hielt das fertige Stück ins Licht und verschlang jede seiner Kurven und Maserungen mit den Augen. Ein Seufzer entfuhr ihm.

      „Für deinen allerersten Zauberstab ist das eine beeindruckende Leistung“, sagte Griselbart ernst. Auf der Stirn des Meisters glänzten Schweißperlen und er hatte seine Samtjacke ablegen müssen. Tom lächelte. Als er seinen Zauberstab umschloss, fühlte er eine Wärme von den Fingerspitzen seinen ganzen Arm hinauf fließen. Als er ihn schwang, wurde das Feuer im Kamin plötzlich zu blauen Flammen und schoss auf ihn zu. Doch auch, als es ihn berührte, verbrannte es ihn nicht, es war angenehm warm und leckte nur zärtlich über seine Haut.

      Griselbart lachte schallend.

      *

      Schon beim Aufstehen hatte Skelardo gespürt, dass sich dieser Tag von den vorherigen unterschied. Mehrere hundert Jahre Lebenserfahrung ließen keinen Zweifel zu; irgendwo, vielleicht hunderte Meilen entfernt, außerhalb seines Herrschaftsgebiets, war etwas vorgefallen. Einem Vampir war es unmöglich zu träumen und doch hatte er das Gefühl, dass ihn helle Gestalten des Lichts im Schlaf verfolgt hatten.

      Unruhig ging er in seinem Verlies auf und ab, wobei der Klang seiner Schritte von den Wänden widerhallte. Wann immer sich eine Maus aus ihrem Loch hervorwagte, belegte er sie mit dem Todesfluch, der eine Ader in ihrem Hirn zum Platzen brachte. Ein letztes Fiepen und das Leuchten ihrer Seele war erloschen. Schon so lange arbeitete er auf sein Ziel, Bruckwaldes Thron, hin. Wenn sich ihm irgendetwas in den Weg stellte, musste es ausgeschaltet werden. Skelardo entspannte sich erst, als er die sich nähernden Schritte des Jungen Raephas vernahm. Raephas. Er würde ihm sagen, warum sich das Gleichgewicht zu seinen Ungunsten verschoben hatte. Der Junge öffnete die Tür aus schwarzem Eichenholz und teilte den schweren Vorhang, der dahinter angebracht war, damit er die Geräusche aus den Gängen dämpfte. Das war das schlimmste am Umgang mit menschlichen Wachen, sie machten so viel Krach.

      Raephas küsste dem Grafen die Hand und Skelardo hatte

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