Tom Winter und der weiße Hirsch. Nicole Wagner

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Tom Winter und der weiße Hirsch - Nicole Wagner

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euch!“, donnerte er. „Ein solcher Aufruhr in der ersten Pforte! Auseinander!“

      Die Wesen beäugten einander schwer atmend und bleckten die Zähne.

      Griselbart betrachtete den Hirsch und auch er sah missbilligend drein. „Um deine Frage zu beantworten, Tom, sie alle können sprechen. Aber Astos und Kobrat sprechen über Gedanken und auch nur zu denen, die sie verstehen. Und falls du dich wunderst, warum Kuru und Kobrat gerade so wütend wurden-“

      „Astos, der Weiße muss sich schon immer über alle Richtlinien hinwegsetzen“, zischte Kuru. „Wenn er Gefallen an dem Menschlein findet, darf er den obersten Kodex einfach außer Acht lassen, der sagt: Halte die Anderswelt geheim!“

      Griselbart nickte. „Das ist richtig. Astos hat falsch daran getan, dich in deinen Träumen zu ermuntern, zu uns zu kommen. Es ist ein schweres Vergehen.“

      Vielleicht antwortete der Hirsch darauf und Tom konnte es nur nicht hören, denn alle schwiegen für einen Moment.

      „Ich verstehe“, sagte Griselbart dann. Sein Gesichtsausdruck war unergründlich.

      „Ich will euch helfen“, sagte Tom und drehte sich zu Peer um. „Und du?“

      Der nickte. Wenn man bedachte, was er in den letzten Momenten alles gesehen und gehört hatte, sah er relativ gefasst aus. „Ich auch.“

      „Was ist mit-?“

      „Charlie ist sowieso mit von der Partie. Sie wurde vom obersten Gremium dazu bestimmt, aber für sie allein scheint mir das eine unlösbare Aufgabe zu sein.“

      Kunibert machte ein missbilligendes Geräusch. „Nicht, dass sie ihr nicht gewachsen wäre. Aber es wäre mir lieb, meine Tochter in einem Stück wiederzubekommen.“

      „Natürlich, Kunibert, das wissen wir, deshalb will ich ihr Tom und Peer zur Seite stellen.“

      „Dann müssen wir weg, oder? Raus aus der Schule.“

      „Ja, ich denke, diese Angelegenheit ist wichtiger als Schulzensuren“, sagte Kunibert, sah jedoch aus, als hätte er in eine Zitrone gebissen.

      „Das ist okay“, sagte Tom. „Mein Dad, also Reginald wird das verstehen …“

      Peer sagte nichts. Seinen Eltern konnte er nichts über Magie weismachen, sie waren beide Bankangestellte und hatten so viel Fantasie, wie in einen Fingerhut passte.

      „Dann bleibt jetzt nur noch eines zu tun“, sagte Griselbart mit bedeutungsschwerer Stimme. Er blickte in die Runde, ein paar Zauberwesen wichen seinem Blick aus, andere nickten, der schneeweiße Hirsch beispielsweise stieß ein ermunterndes Schnauben aus.

      „Nicht von mir“, grollte Kuru augenblicklich. „Wenn sie ein Gluthien von mir anfassen, bringe ich sie um!“

      Astos, der Weiße

      Tom hob fragend die Brauen und Griselbart erklärte. „Die Lichter, die du über unseren Herzen siehst, nennen wir Gluthien, das bedeutet in deiner Sprache Lichtbehälter. Sie enthalten unsere Zauberkraft und dürfen demnach unter keinen Umständen kaputtgehen.“ Der alte Zauberer hielt kurz inne, um zu sehen, ob Tom ihm folgen konnte. Anscheinend konnte er in dessen Gesicht irgendetwas lesen, das ihn davon überzeugte, denn er sprach weiter. „Du fragst, warum du deine Zauberkraft nicht geerbt hast. Das liegt daran, dass Isabella es nicht wollte. Als Mutter eines nur zur Hälfte magischen Sohnes durfte sie entscheiden, ob dir, sollte ihr etwas zustoßen, ihr Gluthien zukommen sollte. Sie entschied sich dagegen, weil sie dir ein normales Leben ermöglichen wollte.“

      Tom merkte, wie er wütend wurde auf seine Mutter, die er kaum gekannt hatte. „Hat aber nicht viel genützt, oder?“, fragte er mit harter Stimme. „Mein ganzes Leben lang hab ich gewusst, dass irgendwas nicht mit mir stimmt. Und mein Vater ist seinen verrückten Fantasien hinterhergerannt und hat dabei verlernt, zwischen Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden.“

      Griselbart sah ihm aufmerksam in die Augen. „Das hast du sehr gut beobachtet, Tom.“

      Wieder schaltete Kunibert sich ein. „Es gilt als umstritten, ob man Kindern von Normalsterblichen und Zauberern ihr Erbe verwehren sollte oder nicht. Manchen Kindern tut es gut, manchen, wie dir, legt man damit eher Steine in den Weg. Die Forschung ist sich uneinig.“

      Tom schnaubte. Er fand es untertrieben zu behaupten, ihm waren Steine in den Weg gelegt worden.

      „Es ist nicht unsere Pflicht darüber zu urteilen“, sagte Griselbart sanft. „Ich bin sicher, deine Mutter hatte das Beste für dich im Sinn. Willst du hören, was es mit den Gluthien auf sich hat?“

      Tom nickte starr, die Gedanken in Aufruhr.

      „Das Besondere ist, dass wenn man ein freies Gluthien nimmt und einem im Moment nichtmagischen Wesen, zum Beispiel dir, schenkt, dann wandert die Zauberkraft zwangsläufig mit in dich hinein. Jedes Zauberwesen trägt bis zu drei Gluthien mit sich, in ihnen die Seelen der Verstorbenen. Nach etwa zehn Jahren lösen sie sich auf, wenn sie keinen neuen Besitzer bekommen und kehren in die ewige Ruhe ein. Geht es davor verloren oder fällt es Feinden in die Hände, bleibt der Geist ruhelos. Dies gilt es, unter allen Umständen zu vermeiden.“

      „Wo tragt ihr alle eure Gluthien?“, fragte Peer. „Die meisten tragen sie nicht am Körper, oder?“

      Tom kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er sich bemühte, möglichst viel der Theorie zu lernen. Auch verlangte es ihm viel Mut ab, in dieser Situation zu sprechen, die einschüchternd für ihn war.

      „Gut beobachtet“, sagte Griselbart lächelnd. „Man kann die Gluthien in dafür vorgesehenen Behältern zuhause aufbewahren, natürlich, nachdem man mit ausreichend Schutzzaubern für ihre Sicherheit gesorgt hat. Oder an irgendeinem anderen Ort, im Wald unter Baumwurzeln oder versenkt in einem See, Hauptsache, man kennt die genaue Stelle und schaut in regelmäßigen Abständen, ob alles in Ordnung ist.“

      Tom und Peer nickten, gespannt, noch mehr zu erfahren.

      „Bei den herrenlosen Gluthien, die ich hier habe, sind die rechtmäßigen Besitzer verstorben und die Letzten der Familie sind tot; der Kreislauf wurde unterbrochen. Er kann weitergehen, aber dazu muss sich das Gluthien seinen neuen Besitzer selbst aussuchen.“ Griselbart holte unter einem losen Brett im Fußboden eine Kiste heraus, die sehr alt und ehrwürdig aussah. Als er sie öffnete, drang helles Licht von acht unterschiedlichen Farben aus dem Inneren hervor. Sie stammten von acht verschieden großen und einzigartig geformten Gluthien. Manche waren schmal und länglich, andere dick und bauchig, manche weniger und manche aufwändiger verziert. Tom tippte darauf, dass das dunkelblau leuchtende, das die Form einer Eichel hatte, am ältesten sein musste; die fein gearbeiteten Rosenblüten am Flaschenhals und ein grundlegendes Muster, das den anderen fehlte, deuteten darauf hin. Persönlich gefiel Tom das rote Gluthien sehr gut, denn er hatte den Eindruck, dass es viel Kraft im Kampf mit sich bringen musste. Unaufgefordert, von einem inneren Drang geleitet, nahm er nach und nach alle Lichtbehälter in die Hand, sie fühlten sich kalt an und glatt wie Glas. Wann immer er eins berührte, ging ein Zittern durch seine Hand und er spürte in den Gefäßen etwas pochen, als hätte das Innenleben einen eigenen Puls.

      „Wie merke ich, dass es das richtige ist?“, fragte Tom beim dritten.

      „Du wirst es merken“, sagte der alte Zauberer nur.

      Als

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