Tom Winter und der weiße Hirsch. Nicole Wagner
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Peer und Tom wirbelten herum. Charlies Wangen verfärbten sich dunkelrosa und sie wich ihren Blicken aus. „Da war der Hund, was hätte ich denn machen sollen …“
„Dir ist natürlich nichts anderes eingefallen“, sagte Griselbart spöttisch.
Da dämmerte es Tom. Charlie steckte mit Griselbart unter einer Decke, deswegen hatte sie sich so vehement dagegen gewehrt, dass sie heute Nacht diese Tour machten. Deswegen schien sie irgendwie Bescheid zu wissen. Aber er konnte sich jetzt nicht darum kümmern, er würde später darüber nachdenken …
„Was halten Sie darin versteckt?“, rief er und zeigte aufs Haus. „Denn ich weiß, dass Sie was drin verstecken … ähm … Zauberwesen!“ Irgendwie hatte er es sich anders vorgestellt, wenn er Griselbart endlich zur Rede stellen würde, weniger stopselnd und mehr einschüchternd.
„So … du weißt also, dass ich hier etwas verstecke“, sagte Griselbart leise. „Nun, ich würde sagen, dann hast du jedes Recht zu erfahren, was das ist. Vielleicht lernst du so, deine Nase aus anderer Leute Angelegenheiten rauszuhalten.“ Er drehte halb den Kopf, dass er über seine Schulter blickte und machte eine Handbewegung, die für jemand anderen bestimmt war als die drei. Nach und nach traten sie aus der Sicherheit der Schatten ins Licht. Toms Atem beschleunigte sich, er wusste, was jetzt kam.
Das erste Wesen war faszinierend, aber nicht abstoßend, hochgewachsen wie ein Mensch, aber dünner und zierlicher; es hatte lange seidene Haare, die hinter sehr spitzen Ohren hervorragten. Die Gesichtszüge sahen aus wie gemeißelt, da war keine Falte und keine Narbe in der Haut, die sie entstellen könnte. Gekleidet war es in aus Blättern und Farnen gewebte Gewänder, sogar die Schuhe bestanden aus vernähten Schichten Baumrinde. Es war eine Elfe und Tom meinte, dass es ein Mann war, obwohl er sich da nicht sicher sein konnte, weil weder Körperbau noch Gangart irgendeinen Hinweis auf das Geschlecht lieferten. Der Ausdruck im Gesicht der Elfe war gelinde gesagt finster und er hatte die Arme verschränkt. Hinter ihm folgten zwei Kobolde, deren Aussehen Tom inzwischen gut kannte, sie unterschieden sich tatsächlich kaum von dem toten Exemplar, das Reginald in seinem Keller aufbewahrt hatte, klein und haarig, mit einer fledermausähnlichen Schnauze und grün-gelblichen Augen. Doch anders als ihr toter Artgenosse flogen diese Kobolde, die ledrigen Schwingen auf ihrem Rücken nutzend. An ihnen fiel Tom noch etwas auf und die Worte seines Vaters hallten in seiner Erinnerung wider.
„Es hat etwas mit diesem glühenden Licht direkt über dem Herzen zu tun.“ Reginald hatte damals von der Zauberkraft der Kobolde gesprochen und jetzt sah Tom, was er meinte. In ihrem Körper, da, wo das Herz anatomisch angeordnet war, glomm ein kleines Licht nach außen wie von einer abgedunkelten Kerzenflamme, bei jedem der beiden Tiere in einer anderen Farbe, grün und rot, und es schien für sie so selbstverständlich wie ihre haarigen Ohren. Als Tom sich den vor ihnen gehenden Elf noch einmal genauer ansah, bemerkte er auch an ihm dieses Glimmen, ein kühles Blau, das von seinem Herzen auszugehen schien. Es war der Sitz ihrer Zauberkraft, dachte Tom.
Beim Anblick der Hirsche stockte ihm kurz der Atem. Vor allem das weiße Exemplar zog seinen Blick auf sich. Er war groß, hob beim Gehen stolz die Hufe und schaute ausschließlich Tom an. Der Ausdruck seiner dunkelbraunen Augen war so intelligent, so menschlich, dass der Junge wegsehen musste. Er zitterte.
Neben dem Hirsch stand eine Kreatur, die er nicht gleich einordnen konnte. Zuerst dachte er, es handelte sich um einen großen Vogel, einen Adler vielleicht, aber dann sah er die löwenähnlichen Pranken und den Körper, der von einem Pferd zu stammen schien. Ein Hippogreif. Das Fabelwesen scharrte zornig mit seinen scharfen Krallen in der Erde, wirbelte Staub auf. Plötzlich, ohne Vorwarnung, stieß es sich vom Boden ab, breitete die Schwingen aus - und hielt direkt auf die Kinder zu. Tom konnte nicht mal erschrocken die Arme vors Gesicht reißen, er stand nur da und glotzte. Da bewegte sich das Elfenwesen (oder war es eine zweite Elfe, die weiter hinten gestanden hatte?) und baute sich schützend vor den Jungen auf. Ihr zierlicher Körper strahlte erstaunlich viel Kraft und Autorität aus.
„Wir tun den nichtmagischen Geschöpfen nichts!“, sagte sie mit einer klaren, eindeutig weiblichen Stimme. „Wenn sie uns entdecken, ist es unsere Pflicht, sie aus unserer Welt zu verbannen. So lautet der Kodex. Jedes Leben ist wertvoll … Und - es ist Isabellas Sohn, Kobrat!“
Der Hippogreif, der vor ihr gelandet war, riss den Schnabel auf und kreischte, eine gespaltene Zunge und ein roter, tief liegender Rachen kamen zum Vorschein. Er bewegte sich nicht weiter auf sie zu, als hielte ihn eine unsichtbare Barriere davon ab. Er schüttelte unwillig den Kopf und trat dann ein paar Schritte zurück.
Tom schluckte. Sein Herz hämmerte mittlerweile wie wild.
Dann schob sich ein Wesen aus der hintersten Reihe nach vorne, es überragte die anderen um ein Vielfaches, und bewegte sich schleichend, fast lautlos. In die rot glühenden Augen hatte Tom erst am vergangenen Abend geblickt, jetzt sah er die Gestalt ohne Mantel und erschrak. Es war eindeutig ein Wolf, aber riesig, mit dem Körperbau eines ausgewachsenen muskulösen Mannes und einem Gesicht, das vollkommen haarig war und in einer langen zähnebewehrten Schnauze endete. Am schlimmsten waren die roten Augen, die sich in Toms bohrten und es ihm unmöglich machten, den Blick abzuwenden. Unbändige Kraft sprach aus seinen fließenden Bewegungen.
„Der Mensch weiß zu viel“, sagte das Wesen zischend, wobei seine Zunge gegen die Zähne schlug. Es war offensichtlich, dass er sich für gewöhnlich einer anderen Sprache bediente. „Ich kann mich darum kümmern.“
Toms Gedanken rasten. Ein Werwolf!
„Schon gut, Kuru“, sagte Griselbart und streckte einen Arm aus, wie um ihn zurückzuhalten. „Und du auch, Feydra. Wir werden das Problem aus der Welt schaffen.“
Die Elfe gab ihre Kriegerstellung auf und trat wieder ein paar Schritte zurück zu den anderen Wesen, dabei sah sie aus, als würde sie über das Gras tanzen.
Griselbart blickte die Jungen mit unnachgiebigen Augen an. „Tom und Peer wollen etwas von unserer Magie haben, sie leben in der verblendeten Vorstellung, dass sie Anspruch darauf haben. Also lasst uns ihnen etwas davon geben.“
Nicht nur ein Wesen zischte angriffslustig bei diesen Worten. Der weiße Hirsch machte eine Bewegung, als wollte er dazwischengehen, doch er besann sich.
„Wir werden die Kobolde opfern, sie sind am wenigsten wert, Thalíng und Kuru, ihr übernehmt die Schlachtung.“
Tom meinte, er müsste sich verhört haben. Die Kobolde brachen in aufgebrachtes Quietschen aus, doch ehe sie etwas tun konnten, wurden sie von dem dunklen Elf und dem Werwolf gepackt. Mit ausgebreiteten Pfoten platzierte man sie vor dem Halbkreis der Zuschauer und ignorierte ihr verzweifeltes Strampeln. Der Wolf bohrte seine Krallen in den Oberarm des Kobolds, der ein Wimmern von sich gab. Der Elf zückte einen Zauberstab und hielt ihn dem Kobold vor die Brust. Es war der mit dem grünen Licht über dem Herzen.
„Wartet“, sagte Tom langsam. Wenn sie wirklich das vorhatten, was er glaubte …
Griselbart ließ ihn nicht ausreden. „Natürlich werden wir unsere Magie einem Menschen geben, wenn er danach verlangt. Die Kobolde sind nicht würdig, sie zu besitzen.“
„Ich-“, sagte Tom.
„Das ist, was du dir wünschst.“ Griselbart nickte.
Der Elf schrie einen Zauberspruch, lila Licht blitzte auf; der Kobold quietschte, dann sank er in sich zusammen, die Glieder erschlafft.
„NEIN!“, schrien Tom und Peer gleichzeitig. Sie warteten darauf, dass der Kobold aufsprang und